Suppers ready
Wenn Andrea so einen Satz raushaut, dann kann ich nicht anders, als beunruhigt zu sein. Die Kombination neue Klamotten, zwei Frauen und ein Schminkkoffer ließ Befürchtungen aufkommen, dass möglicherweise das Konzert ausfallen würde, wenn man tatsächlich vorher noch etwas essen wollte. Da ich aber sowieso nichts ändern konnte, zuckte ich mit den Schultern und ging auf mein Zimmer.
Obwohl die Geschäfte durchweg klimatisiert waren, hing die Hitze doch nach dem langen Sommer in den Hauswänden und veranlassten einen durchschnittlich geprägten Mitteleuropäer kräftig zu transpirieren. Ergo war nun ausführliche Körperpflege dran. Das Wasser prasselte in solchen Mengen auf mich herunter, dass ich später ein schlechtes Gewissen bekam, aber in dem Moment fühlte es sich einfach gut an. Mit einem flauschigen Handtuch trocknete ich mich grob ab und orderte per Telefon einen schönen Tisch auf der Dachterrasse.
Für den Abend hatte ich eine leichte schwarze Hose und ein schwarz-rot gemustertes Seidenhemd dabei. Theoretisch hätten jetzt ein Paar Sneaker meine Garderobe vervollständigt. Und so wurde es zur Gewissensfrage, als es an die Unterwäsche ging. Brauchen würde ich sie nicht. Der kleine Club, in dem später Andreas Lieblingsband ihren Auftritt haben würde, erforderte mit Sicherheit keine wollenen Unterhosen. Erfahrungsgemäß war eher mit saunaähnlichen Temperaturen zu rechnen. Lange Rede kurzer Sinn: Ich verzichtete auf eine Unterhose. Stattdessen durfte wieder einmal mein Rasierwasser nicht fehlen.
So lange von meinen Schönheiten nichts zu hören war, legte ich mich auf mein Bett und ließ mich vom Fernseher berieseln. Nach gefühlten drei Stunden in Wahrheit waren es wohl eher anderthalb klopfte es erst zaghaft und gleich drauf deutlich hörbar an meine Tür.
Stefano, wir sind fertig! Eindeutig Maria.
Man kann ruhig sagen, dass ich schon ziemlich gespannt war, wie sich meine Grazien nun präsentieren würden. Bei Andrea rechnete ich insgeheim mit dem schlimmsten, doch andererseits hoffte ich auf Marias gute Erziehung.
Und so war ich angenehm überrascht, als ich die Tür öffnete. Beide hatten sich auf Rock und Bluse samt passenden Schuhen geeinigt. Ja, wenn ich es mir recht überlege, dann hatten sie den optimalen Kompromiss gefunden, den man für den Gesamtabend erreichen konnte. Ihre Garderobe passte sowohl zu einem guten Essen als auch für den späteren Abend. In Gedanken zog ich meinen Hut. Insgesamt dürfte die Schwarmintelligenz gesiegt haben.
Gut seht ihr aus. Zeigt euch mal in voller Schönheit, begrüßte ich die beiden.
Doch sowohl Maria als auch Andrea verharrten vor dem Zimmer, als hätte ich einen Bannspruch auf die Schwelle gelegt.
Was ist?, erkundigte ich mich neugierig.
Das sieht richtig ... boah ..., versuchte Andrea ihre Sprachlosigkeit zu überwinden und setzte noch einen Spruch drauf: Meine liebe Frau Gospelchor!
Den kannte ich zwar irgendwie mit Herren und Gesangsverein, brachte aber ihre Verwunderung plastisch zum Ausdruck. Musste sich also um ein Update des Ausrufs handeln. Dennoch hatte ich keinen Plan, was gemeint sein konnte.
Was? Ich steckte tief im Tal der Ahnungslosen.
Dein Outfit!
? Meine Ratlosigkeit erreichte ihren Höhepunkt.
Mann, Alter! In den Klamotten müssen wir ja heute Abend auf dich aufpassen. Echt wow, klärte mich Andrea auf.
Na ja, ich muss ja auch mit den hübschesten Mädchen konkurrieren, lenkte ich ein wenig ab. Hunger?
Und wie! Ich könnte ein ganzes Schwein auf Toast verdrücken, meinte Andrea und auch Maria kam nicht umhin, energisch zu nicken.
Ich hakte mich bei beiden unter und führte sie zum Aufzug. Dabei konnte ich aus den Augenwinkeln erhaschen, wie sie in meine Richtung schnüffelten und musste mir ein Grinsen verkneifen.
Gleich nachdem wir den Lift verlassen hatten, kamen wir auch bereits an das Stehpult, an dem die Gäste vom Restaurantchef in Empfang genommen wurden.
Buenos tardes!, wurden wir begrüßt, was Maria und mich veranlasste, in gleicher Weise zu antworten. Nur Andrea haute ein Hallöchen! heraus.
Ich nannte meinen Namen und gleich darauf wurden wir zu einen Tisch gebracht, der einen wunderschönen Ausblick über das nächtliche Alicante gewährte. Meine beiden Tischdamen waren erstaunlich maulfaul und wirkten einigermaßen eingeschüchtert von dem gesamten Ambiente, das der gehobenen Gastronomie zu eigen ist. Besonders irritiert zeigten sie sich, als ihr Stuhl zurechtgerückt wurde. Bei Andrea hatte ich den Eindruck, dass sie nahe dran war, der Bedienung eins auf die Finger zu geben, aber ein Blick von mir genügte.
Die frischen Kerzen auf dem Tisch wurden eiligst angezündet und kurz darauf tauchte der Ober mit drei Karten auf. Nur eine war mit Preisen versehen und landete in meinen Händen.
Obwohl Andrea genau wie ich eine deutschsprachige Speisekarte bekam, kam sie nicht zurecht. Vieles war wohl noch nie auf ihrem Teller gelandet. Aber auch Maria blickte mich ratlos an.
Wenn ihr nichts dagegen habt, dann bestelle ich für uns. Die Erleichterung war geradezu greifbar.
Dementsprechend wählte ich eine große Platte mit verschiedenen Vorspeisen und eine weitere mit Fleisch, Fisch und Gemüse als Hauptgericht aus. Dazu passend gab es wieder einmal Wein, wobei ich dem Garçon die Auswahl überließ und Wasser für den Durst. Mit einem charmanten Lächeln wiederholte er die Bestellung, ordnete Besteck und Gläser und eilte von dannen.
Nicht viel später erschien er wieder, entkorkte eine Flasche und ließ mich den exquisiten Wein kosten. Ich hatte noch nicht ganz meine Nase über dem Glas als Andrea sich meldete und ihr Trinkgefäß energisch reckte. Was soll der Krampf? Einmal volltanken! Der verdutzte Kellner schaute erst Andrea und dann mich an.
Keine Bange, Andrea. Es ist üblich, dass ich erst einmal probiere, damit du keinen verdorbenen Wein bekommst. Danach ließ ich die Aromen auf Geruch- und Geschmackssinn wirken. Mit einem Nicken gab ich mein Wohlgefallen kund. Die Dame bitte zuerst, wendete ich mich den Kellner und deutete auf meine glasschwingende Nachbarin.
Zwei Fingerbreit gegorener Traubensaft wanderten in Andreas Glas, was erneut Verwunderung auslöste. Ist man in so feinen Fresstempeln immer so knickrig?
Wieder löste ich das Geheimnis auf. Es wird immer nachgeschüttet aber randvolle Gläser behindern das Bouquet bei der Entfaltung. Ich erntete ein Kopfschütteln von Andreas Seite und im gleichen Atemzug war ihr Glas leer.
Der Servicekraft muss ich Respekt zollen, dass sie nicht die Fassung verlor und erst Maria, dann mir und zum Schluss dann noch einmal Andrea eingoss, bevor sie sich dezent entfernte.
Um das Abendessen nicht in einem Fiasko enden zu lassen, entschied ich mich, einfach die Grundregeln für ein erstklassiges Restaurant zu erklären, ohne den Oberlehrer herauszukehren. Beide lauschten aufmerksam meinen Worten. Also keine Angst, das schaffen wir schon zusammen. Und wenn etwas passiert, womit ihr nicht rechnet, wartet ihr am besten ab, wie ich reagiere.
Wir erreichten dann tatsächlich eine unfallfreie Nahrungsaufnahme, wenn auch meinen beiden Damen sichtlich mit sich zu kämpfen hatten, nicht selbstständig zuzugreifen und Teller und Gläser nachzufüllen.
Schließlich schienen sie fertig zu sein. Boah, guck dir die Bowlingkugel an, die sich durch meine Bluse drückt, forderte mich Andrea auf.
Ein kleines Bäuchlein zeichnete sich keck als Füllstandanzeige ab. Wars denn lecker?
Nicht schlecht, kommentierte Andrea, aber Maria kocht besser und außerdem brauch ich den Zirkus hier nicht.
Ich musste schon grinsen, aber im Prinzip konnte ich ihr nur zustimmen und Maria strahlte für das ehrliche Kompliment über alle vier Backen.
Na, wie wärs denn noch mit einem Dessert?
Nix da, ich bin doch kein Mastschwein, wehrte Andrea ab, während Maria ihren Kopf leicht schüttelte. Nachher bin ich so fett, dass du mich nicht mehr in deinem Bett haben willst.
Ihr war glatt entgangen, dass der nette Kellner bereits wieder am Tisch stand und nun große Augen bekam. Maria kicherte, als es Andrea dann auch auffiel. Uups!
Ich verlangte nach der Rechnung und als wir ausgetrunken hatten, stürzten wir uns ins Nachtleben.
Schießbude
Mit dem Schuhwerk, das die Mädchen trugen, kamen wir nicht sonderlich rasch voran, was mir aber die Gelegenheit gab, in ihrer Mitte zu stolzieren. So brauchten wir allerdings eine geschlagene halbe Stunde, um den Club zu erreichen.
Er war schon gut besucht, als wir eintraten. Ich suchte und fand einen strategisch günstigen Platz, was im Klartext bedeutete, dass weder Bar noch Toiletten allzu weit entfernt waren und zudem einen guten Blick auf die Bühne garantierte. Hier fühlte sich zumindest Andrea schon wieder viel wohler. Besonders, weil es hier deutsches Bier in der Halbliterklasse gab. Maria konnte ich von Sekt überzeugen und ich selbst wählte einen leichten Cocktail.
Dadurch, dass wir relativ spät gekommen waren, war die Zeit bis zum Auftritt der Band recht kurz. Bereits nach wenigen Minuten ging das Licht aus und das uns schon bekannte Intro begann. Natürlich waren die Verhältnisse hier deutlich beengter, sodass man auf aufwendige Beleuchtung und Pyrotechnik verzichten musste. Dennoch kochte der Saal mit ein paar Hundert jungen Leuten, als die Jungs endlich auf die Bühne stiegen. Besonders frenetisch wurde George empfangen, der beherzt in die umgehängte Klampfe griff.
Andrea hatte sich beim ersten Ton ins Getümmel gestürzt und wollte wohl näher an die Bühne. Meine spanische Haushälterin war zwar angetan und wiegte sich im Takt, sodass mein Herz einen Satz bei ihrem Anblick machte, aber ich war mir sicher, dass sie sich erst einmal akklimatisieren musste.
Nach dem kraftvollen Opener kam eine langsame Nummer, die von den anwesenden Frauen lautstark mitgesungen wurde. An den passenden Stellen erhellte sich der Saal mit kräftigen Scheinwerfern, die aufs Publikum ausgerichtet waren und so dem Damenchor ihren Einsatz signalisieren.
Thank you, ladies. Mit diesen Worten bedankten sich George bei dem vielstimmigen Chor und blickte von dunkler Bühne in den hell erleuchteten Club. Auf einmal blieb sein Blick an mir hängen. Er winkte mir kurz zu, ich winkte zurück und dann wandte er sich an Jimmy.
Nach der nächsten flotten Nummer stand dieser auf, schnappte sich das Mikrophon und räusperte sich. Sinngemäß kam dann etwa folgende Ansprache: Meine Damen und Herren. Pig Day freut sich heute Abend hier in Alicante zu sein. Das ist eine Premiere im doppelten Sinn. Nie zuvor durften wir in Spanien spielen und noch nie hatten wir Gastmusiker auf der Bühne bei unseren Auftritten. Begrüßt mit mir den fantastischen Jazzschlagzeuger Stefan!
Scheiße! Jimmy, George, Harold und William winkten heftig in meine Richtung. Die Meute blickte mich erwartungsvoll an. Ich soll da rauf? Nee! Die spinnen wohl!
Mir ging der Arsch auf Grundeis. Doch ich konnte mich nicht verdrücken, weil eine rothaarige Endzwanzigerin aus einem Seiteneingang auf mich zukam und mich einfach am Arm packte. Stefan, Im Sally. And now its your part on the drums.
Kacke! Der kleine Feuerlöscher schob mich so energisch durch die Gänge auf die Bühne, dass ich mich überhaupt nicht wehren konnte. Plötzlich fühlte ich die Hitze eines Spots auf meinem Gesicht, die Menge applaudierte und zwei Stimmen stachen daraus eindeutig hervor, auch wenn ich sie nicht einordnen konnte.
Doch zunächst wurde ich mit Handschlag und Schulterklopfen von der Band begrüßt und schließlich von Jimmy an sein Arbeitsgerät gebracht.
Es war eine Ewigkeit her, dass ich als Langhaariger Musik gemacht hatte. Seinerzeit hatte ich zwar die Trommeln und Becken etwas anders angeordnet, aber für eine einfache Nummer würde es sicher gehen. Jimmy steckte mir einen Satz Stöcke zu und forderte mich auf, einfach mal sein Drumkit auszuprobieren. Sie lagen seltsam gut in meinen Händen und irgendwie juckte es mich in den Fingern. Also spielte ich der Reihe nach alle Trommeln und Becken an.
Okay? Ich nickte. Jimmy stellte sich direkt neben mich an zwei große Tongas und gab den Takt vor, auf den ich locker einstieg. Nichts außergewöhnliches. Ein Viervierteltakt im oberen Mitttempobereich. Und ehe ich mich versah, setzte die Band ein.
Mit jedem Takt fühlte ich mich wohler und nachdem ich festgestellt hatte, dass ich es noch konnte, streute ich einige Betonungen ein, die mir an der jeweiligen Stelle passend erschienen. Die Jungs rockten den Saal und mir ging es richtig blendend.
Die zweite Strophe des Songs war vorüber, als George seinen Kollegen ein Zeichen gab, worauf diese bis auf Jimmy schlagartig mit dem Spielen aufhörten. Jimmy grinste mich frech an. Solo für dich!
Oh Mann! Der hatte echt Nerven! Soli am Schlagzeug waren und sind immer noch eine Herausforderung für jeden Drummer. Okay!, dachte ich mir, dann spiele ich halt mal den Club leer. Selbst schuld.
Ich verließ mit Zwischenschlägen den Grundrhythmus und bearbeitete die Felle vor mir, wie ich mir das eben so vorstellte. Dann baute ich die Becken ein und schließlich schepperte die Schießbude nur noch. Ich bekam überhaupt nicht mit, wie das Publikum, aufgestachelt von der Band, ausflippte und jeden Wechsel mit Szenenapplaus bedachte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam ich wieder runter und zurück in den ursprünglichen Takt. Mit Jimmys Zeichen setzte auch die Band wieder ein. Als der Song endete, legte ich die Stöcke aus der Hand und stand vorsichtig auf. Erst jetzt bekam ich das Johlen der Menge mit und die Band verneigte sich vor mir.
Himmel, scherzte Jimmy, du musst mir Nachhilfe geben.
In dem Moment, wo ich noch einmal nach vorne zur Vorstellung auf die Bühne geschubst wurde, hörte ich zwei Mädels meinen Namen kreischen. Obwohl mich die Scheinwerfer blendeten, konnte es sich unmöglich um Doppelgängerinnen handeln. Vor mir standen eine schwarzhaarige und eine blonde Frau, die mir seltsam bekannt vorkamen: Gina und Floh!
SMS
Wo kamen die denn her? Und zugleich drängte sich mir der Gedanke auf, was an diesem Abend noch alles passieren konnte. Sie warfen mir Kusshändchen zu, die ich erwiderte. Ich stehe hinten an der Bar!, konnte ich ihnen noch zurufen, als Sally mich abholte.
Das war großartig, Stefan. Du bist herzlich zur Aftershowparty eingeladen.
Tja, ich bin nicht allein hier und habe noch zwei Damen in Begleitung. Und wie es aussieht, sind noch zwei weitere im Publikum.
Okay. Wo ist das Problem? Ich hole dich nachher einfach an der Bar ab. Vier Frauen wären mal eine gute Verstärkung für uns.
Mir blieb keine Zeit ihren letzten Satz zu überdenken, da fand ich mich auch schon wieder mitten im Club. Und nun waren auch sämtliche Zweifel verflogen, denn ein Quartett stand frech grinsend als Empfangskomitee bereit, von denen mich gleich zwei stürmisch umarmten.
Oh Stefan, was habe ich dich vermisst, säuselte mir Gina in das eine und Floh Du siehst toll aus in das andere Ohr.
Andrea verfolgte grimmig die Begrüßungszeremonie mit eigentlich nicht öffentlichkeitstauglichen Küssen und Maria blickte ein bisschen verloren drein.
Um keinen Verdruss aufkommen zu lassen, machte ich Floh und Gina mit Maria bekannt, orderte eine Flasche spanischen Schaumweins und dirigierte den Hühnerhaufen in eine ruhigere Ecke an einen Tisch, wo sich die Neuankömmlinge gleich links und rechts neben mich setzten.
Im Laufe des folgenden Gesprächs konnten wir einige Fragen klären. Meine beiden Engel Floh und Gina waren auf Urlaub in Benidorm und wollten natürlich genau wissen, wie Andrea nach Spanien gekommen war. Während Gina inzwischen etwas Geld beiseite legen konnte, war Andrea nämlich wegen ihres Lernens nicht dazu gekommen, nebenbei zu arbeiten und bei Buchung der Reise leider ziemlich abgebrannt gewesen.
Andrea hat mir eine Mail geschickt, weil sie Handwerker im Haus hatte, antwortete ich mal für die Gefragte. Sie wollte bei mir lernen, damit sie ihre Prüfung sicher schafft.
Darf ichs erzählen?, bettelte Andrea.
Was sollte ich sagen? Bankrott und Flug nach Spanien passten nicht so richtig zusammen. Nun brauchte Andrea sich auch nicht an ihr Ehrenwort gebunden fühlen. Die Tarnung war aufgeflogen. Jetzt half sowieso nur noch die Wahrheit. Ich hoffte nur, dass sie den Einkaufstrip mit Maria nicht auspacken würde. Aus Gerechtigkeitsgründen hätte ich mich gezwungen gesehen, Floh und Gina ebenfalls auszustaffieren. Mit einem Seufzer signalisierte ich schweren Herzens meine Zustimmung.
Und dann erzählte Andrea ihre Variante der Geschichte. Als arme, gehörbelastete und lerngestresste Kreatur hätte sie noch nicht einmal die Zeit zum Packen gehabt. Boah echt. Da stand schon das Taxi vorm Haus, als ich noch nicht mal meine Slips eingepackt hatte.
Seit wann trägst du denn Unterwäsche?, grätschte Gina dazwischen.
Etwas irritiert blickte Andrea sie an. Eigentlich immer. Du verwechselst mich mit Floh. Die hat doch selten was drunter, wenn sie auf die Piste geht.
Herrlich, wenn sich gute Freundinnen so prima blamieren. Ich grinste, gönnte mir einen Schluck von meinem Cocktail und hätte mich bei der nächsten Äußerung beinahe verschluckt.
Mit dieser Neigung bin ich nicht allein, trumpfte Floh auf. Stefan mag es auch pur auf der Haut. Vier Augenpaare blickten mich an, zum Teil sehr erstaunt.
Ach du liebes bisschen. Ja, das hatte ich mal gesagt. War ja ein chaotisches Wochenende gewesen und ich hatte im Eifer des Gefechts tatsächlich meine Unterhose vergessen. Dass Floh aber auch ein solches Elefantengedächtnis habe musste. Mann! Und so richtig doof war es, dass ich heute wieder so unterwegs war. Welchen Eindruck mussten sie von mir wohl haben? Seriös war definitiv anders. Mein Kommentar zu der Bemerkung bestand dementsprechend aus einem blöden Gesichtsausdruck mit resignierendem Schulterzucken.
Gina pfiff durch die Zähne, Maria schaute schüchtern auf ihre von Andrea frisch lackierten Fingernägel, während ihre Wangen den Sonnenaufgang simulierten.
Auf jeden Fall hat Stefan mir ein Ticket in der ersten Klasse gebucht. Nix Holzschemel, fuhr Andrea fort.
Das stimmt zwar, aber ich hätte dir auch einen Klappstuhl gebucht, wenn er denn frei gewesen wäre, verteidigte ich meinen Griff ins Portemonnaie.
So ist das also? Ich dachte, du wolltest mich verwöhnen?
Davon war nie die Rede. Du wolltest Lernasyl und ich musste dich in einem Flieger unterbringen. Von Luxusurlaub war nicht die Rede. Wir sind ja überhaupt heute das erste Mal ganztägig unterwegs.
Stimmt! Nur einmal hat er uns mal in eine Taverne eingeladen. Danke Maria. Jetzt stand ich als Geizhals da.
So richtig konnten die beiden Pauschalurlauberinnen nicht glauben, was sie hörten. Gott sei Dank ließ sich Andrea nicht von ihren Schilderungen abbringen. Sie hatte eine Story, es war danach gefragt worden und nun wurde die durchgezogen. Komme, was da wolle.
Das Haus von Stefan ist geil, versuchte sie die Geschichte fortzuschreiben.
Aber die Äußerung brachte Gina wieder auf den Plan. Mit Wasserbetten?
Nein. Kanongesang in Dolby-Surround. Die Einigkeit zwischen Maria, Andrea und mir wurde eindrucksvoll akustisch transportiert.
Das war damals gut. Stefan und ich im Wasserbett. Hat so schön gegluckert und geschaukelt. Ganz Prima, Gina. Damit wäre Maria auch über diese Nummer informiert.
Soll ich erzählen oder nicht? Andrea war ungehalten.
Natürlich!, beteuerten die Tischdamen rechts und links neben mir.
Tatsächlich kam eine halbwegs treffende Schilderung meiner Bleibe, und zusammenfassend meinte Andrea, dass sie es sicherlich besser getroffen hätte wie in einer Billigbude in Benidorm. Da zog bereits eine Zwangseinladung der beiden Spanientouristinnen herauf, so neidisch guckten sie aus der Wäsche.
Just in diesem Moment kam die Bedienung vorbei und ließ mir die Chance neue Getränke zu bestellen.
Und?, erkundigte sich Gina bei Andrea überhaupt nicht neugierig, wie viel SMS hattest du schon?
Ich habe kein Handy dabei, antwortete sie verunsichert.
Gina prustete: SMS! Sex mit Stefan!
Nun musste auch Andrea kichern und fing an zu zählen: Da war Nummer eins am ersten Abend. Nicht toll. Dann im Pool ...
Mir war nicht wohl, wie hier mein Liebesleben ausgebreitet wurde. Wieder einmal wurde hier über mich gesprochen, als wäre ich gar nicht dabei.
... Dann die Lehrstunde für Maria. Macht drei. Am Morgen danach ... Tatsächlich stockte Andrea und ein verklärter Gesichtsausdruck ließ erahnen, dass sie ihn in besonders guter Erinnerung hatte. ... und heute Morgen. Fünf SMS. Sie schien richtig stolz zu sein und wurde von den beiden Urlauberinnen auch heftig beneidet.
Aber ich muss auch mal eine Lanze für Maria brechen. Sie ist die tollste Köchin, die es gibt und hat sich von Stefan entjungfern lassen.
Geht das noch indiskreter?, erkundigte ich mich bei Andrea.
Nee!, sagte sie zu mir, streckte mir die Zunge raus und wandte sich an Maria. Und wie oft hast du gesimst? Ich bekomme ja auch nicht alles mit.
Wieder mal grummelte ich in mich hinein. In ihren Schilderungen musste es sich bei uns um eine Dauerorgie handeln, in der ich als Triebfeder fungierte.
Programmgemäß errötete die Angesprochene schon wieder und antwortete geflüstert: Dreimal.
Wieder einmal war es herrlich zu beobachten, wie bei Black Magic Woman, so nannte ich Gina wegen ihrer schwarzen Haare schon mal in Gedanken, die Zahnräder in Schwung kamen. Im Geiste rechnete Gina in hochkomplexen Formeln die Zahlen Fünf und Drei zusammen und nahm dabei ihre Finger zu Hilfe. Achtmal in einer Woche!
Erwartungsvoll blickte sie mich vereint mit Floh an. Was sollte dieser Blick von beiden? So bettelnd und leuchtend?
Nee, nee, meine Damen! Kommt überhaupt nicht in die Tüte, wehrte ich vehement ab, als ich ihn entschlüsselt hatte.
Ein Tütchen hast du auch noch nie bei uns gebraucht, mischte sich Andrea feixend ein.
Nix! Bin doch kein Zuchtbulle! Wie ich euch kenne, habt ihr doch sicher auch eure Urlaubsbekanntschaften gehabt.
Aber zum Schmollen kam ich nicht, weil ein zartes Frauenbein unter dem Tisch mächtig lang geworden war. Der dazu gehörige unbeschuhte Fuß schob sich zwischen meine Schenkel und trat damit in Konkurrenz zu zwei Händen, die links und rechts das gleiche Ziel verfolgten. Nur Marias Hände lagen auf dem Tisch ... und ich dachte erfolgreich an Eiswürfel.
Pah! Diesmal meldete sich die sonst so zurückhaltende Florentine. Kannste vergessen. Zweimal haben wir es versucht. Doch die Kerle waren so granatendicht, dass sie Schwierigkeiten hatten, überhaupt was zu bewerkstelligen. Und dann war viel zu schnell Schluss. Ihr Gesichtsausdruck zeigte Frustration in Reinkultur.
Das Gespräch entwickelte sich überhaupt nicht in die Richtung, die man unter gepflegter Unterhaltung bezeichnen konnte. Also musste ich einen Themenwechsel vornehmen.
Bedauerlich. Wie seid ihr an die Karten für heute gekommen? Nicht gerade eine elegante Überleitung, aber effektiv.
Zufall. Wir haben uns gestern in den Bus gesetzt und haben in Alicante einen Stadtbummel gemacht. Dabei sind wir auf Plakate von Pig Day gestoßen. Tja, und dann waren wir uns schnell einig, was wir heute Abend machen. Floh hatte das Antworten stellvertretend übernommen.
Und wie kommt ihr heim?, wollte ich wissen.
Morgen früh mit dem ersten Bus oder so.
Klarer Fall von erst mal machen und dann überlegen. Ich grinste und dachte an mein gemütliches Doppelbett im Hotel.
Auf jeden Fall brachte und lenkte ich unsere Konversation in unverfänglichen Themen und schon bald war auch eine weitere Flasche Prickelwasser fällig.
Wir waren so im gegenteiligen Austausch von Neuigkeiten vertieft, dass wir gar nicht mitbekamen, dass die Band ihren Auftritt beendet hatte und stattdessen tanzbare Rhythmen aus der Konserve erschallten. Doch auf einmal spitzte Maria ihre Ohren.
Tanzen!
Och nö, kam von mir, Au ja!, von den Tanzmäuschen.
Und wie nicht anders zu erwarten, wurde ich aufs Parkett geschleift. Vier gegen einen ist ja so unfair! Beschweren konnte ich mich nicht. Schließlich war mir ja bekannt gewesen, dass es sich um eine Disco handelte, als ich die Karten abholte. Dennoch kam ich mir wie ein Tanzbär vor, den man unfreiwillig vorführte und dachte auch noch daran, wie mich noch am Morgen Maria genannt hatte. Hüftkrank. Mit Prothese. Autsch! Aber dann erinnerte ich mich an einen Spruch, der in solchen Situationen immer half: Du musst ein Gesicht aufsetzen, als wolltest du gar nicht tanzen und dann so tun, als würdest du Kippen austreten! Das Patentrezept ging auch auf, zumal Teil eins hundertprozentig zutraf.
Meine Mädchen allerdings wirbelten wie aufgedreht über die Tanzfläche und zogen natürlich sämtliche Blicke auf sich. Waren ja auch Prachtexemplare.
Gina hatte ihre üppigen Formen wieder hübsch verpackt und ließ ihre Äpfelchen ohne chen verlockend hüpfen. Mein blonder Engel steckte in einem kurzen Kleidchen, kürzer als eine Sekunde, würde ich sagen, das mehr zur Schau stellte als es verdeckte. Und zu sehen gab es bei ihr eine Menge, was Sabber produzieren konnte. Alleine ihre wohlgeformten Beine würden wohl so manchen Mann den Schlaf geraubt haben. Die Blusen-Rock-Fraktion in hohen Hacken konnte ebenfalls ordentlich punkten.
Babylon
Gott sei Dank wurde ich nach drei Tänzen erlöst. Das rothaarige Geschöpf von vorhin wühlte sich durch die Menge und tat einen beruhigten Ausruf. Da seid ihr ja! Ich dachte, du wartest an der Bar.
Darf ich euch Sally vorstellen?, brüllte ich gegen die Musik an.
Ja und?, brüllte Andrea zurück.
AFTERSHOWPARTY!
Sofort waren drei Köpfe sehr aufmerksam, während Maria wohl noch nicht begriffen hatte, was nun anstand. Machte allerdings nichts. Ihre neue Freundin nahm sie einfach an die Hand und nun machte sich der ganze Tross auf, die Tanzfläche zu verlassen.
Wir kehrten noch einmal zu unserem Tisch zurück, rafften unsere Sachen und dann übernahm Sally die Führung.
Da ich direkt hinter ihr war, konnte ich sie mir näher anschauen. Alles in allem war sie eine etwas zu gedrungene Gestalt, um als Schönheitskönigin durchzugehen. Im Gegensatz zu meinen drei Engeln und Maria passten ihre Proportionen nicht ganz zusammen. Ihre Hüften waren etwas zu breit und die Beine eine Spur zu kräftig, um elegant wirken zu können. Doch ihre scheinbaren Makel machte sie durch ihr Wesen mehr als wett. Die typisch britisch weiße Haut war gesprenkelt mit Sommersprossen und ein Grübchen zierte ihr Gesicht, wenn sie freundlich grinste. Zudem war ich mir sicher, dass sich hinter ihrer dicken Sonnenbrille ein paar fröhliche und wache Augen versteckten.
Nun ja, Sally führte uns durch den Ausgang hinter die Bühne, wo sich die Jungs schon wieder frisch gemacht hatten. Was war das für eine Freude, als sie auch noch meine drei Engel erkannten! Und auch Maria wurde mit mehr als einem Blick bedacht. Sie wurde gleich von jedem geherzt.
Trotzdem herrschte auf einmal babylonisches Schweigen. Die Jungs und Sally sprachen nur englisch, meine drei Engel deutsch, während Maria sich zwar mit mir und den Mädchen verständigen konnte, aber nicht mit Sally und der Band.
Das konnte nun wirklich zwei Wendungen nehmen: Party oder Enttäuschung. Meine Befürchtungen waren allerdings unbegründet. Wo Sprache versagte, wurden eben Hände und Füße eingesetzt und was soll man falsch verstehen, wenn die Gastgeber zum Aufbruch riefen?
Auf dem Weg nach draußen wurde die Truppe noch größer. Neben meiner vierköpfigen Damenriege und der Band war natürlich Sally mit von der Party. Aber eben auch sonst alles, was sonst noch so für die Show gebraucht wurde. Die Roadys sollten nachkommen, wenn das Equipment verladen war.
Draußen wartete ein Reisebus und nahm uns alle locker auf. Ich fragte mich, wie es doch zu dieser Steigerung an Luxus gekommen war. Ich ließ mich in einer freien Sitzreihe nieder. Die prompte Antwort erhielt ich von einer weiteren Dame, die sich mir als Maggie OHara vorstellte und gleich von vier eifersüchtigen Augenpaaren argwöhnisch betrachtet wurde. Sie sprach ein ganz passables Deutsch mit nur leichtem Akzent, der sie als Engländerin enttarnte.
War ja ein toller Auftritt von dir, eröffnete sie das Gespräch und ließ sich neben mich plumpsen, wobei sie mir einen Whisky mit Eis in die Hand drückte. Eiswürfel im Whisky! Was für ein Sakrileg! Nicht gerade unauffällig wurde die Kühlung im Aschenbecher entsorgt. Hatte die Kiste wirklich. Wahrscheinlich um Brandlöcher im Boden zu vermeiden.
Andrea nahm sofort mit Maria die Plätze hinter uns ein, während Floh und Gina sich vor uns platzierten und uns über die Rückenlehne hinweg zuschauten.
Danke.
Ich bin vom Tourneeveranstalter und fand deine Einlage echt beeindruckend. Wo hast du so Schlagzeugspielen gelernt?
Als Jugendlicher habe ich in einer kleinen Band gespielt, nachdem ich bereits ein paar Jahre Unterricht hatte. Du kennst das sicher, dass man sich dann häufiger umorientiert und schließlich war ich in einer Kapelle, die verdammt gut und schrecklich erfolglos war.
Kenne ich wirklich. Leider bleiben einige der besten Bands ihr Leben lang unentdeckt. Warum hast du die Musik aufgegeben?
Na ja, mein Studium endete, ich hatte eine feste Freundin, die ich heiraten wollte und schließlich musste ich Geld verdienen.
Jetzt ist er Manager, schaltete sich Gina ein.
Wegen seiner Arbeit hat er aber jetzt keine Frau, wurde von Floh ergänzt.
Und er ist ein richtig netter Kerl, der mir aus der Patsche geholfen hat, kam von der anderen Seite. Als Sprecherin identifizierte ich Andrea.
Auch ihre Banknachbarin musste sich äußern: Und auch sonst ein sueño, wie heißt das auf deutsch? Ich glaube Traum.
Damit hatte Maggie nun ungefragt ein Rundumbild erhalten. Verstehe. Aber du hast einen jungen Fanclub.
PFFFT! Kann ich nix für!
Wohl! Ein vierstimmiger Chor war sich verdammt einig.
Der Busfahrer schob eine Mix-CD ein und drehte die Anlage hoch, während er den rollenden Riesen durch die Altstadt manövrierte und die Aschenbecher nicht unbedingt für Glimmstengel gebraucht wurden. Ein Geruch abgebrannter Kräuter machte sich breit und das war nicht auf die Parfums der Damen zurückzuführen.
Inzwischen hatte sich auch die Band mit Getränken vorsorgt und achtete darauf, dass jeder ein Bier bekam. Wie nicht anders zu erwarten, umlungerten die Jungs meinen Quattro-Turbo, der allerdings Ohren wie Blumenkohlköpfe hatte. Sie hätten ja was verpassen können.
Maggie war zwar über die Gemengelage irritiert, ließ sich aber auch nicht wirklich einschüchtern. Groupies gehörten zum Geschäft und die Band hatte sicherlich auch schon das eine oder andere Girl abgeschleppt. Nur war es normalerweise so, dass sich die Mädchen im Bus um die Band kümmerte und nicht alte Herren wie Motten das Licht umschwirrten.
Trotzdem versuchte ich es einmal mit einer Frage, die eigentlich auf der Hand lag. Maggie, wir sitzen in einem Bus und fahren irgendwo hin. Hast du eine Ahnung, wohin?
Grob. Irgendwo im Hinterland haben die Jungs ihr Ferienlager aufgeschlagen und eine Villa gemietet.
Ein Joint landete vor meiner Nase, fand aber momentan keine Verwendung. Ich gab das Teil zurück an Maggie, die es weiter an Sally gab, die sich wiederum zur Band gesellt hatte und nun am heiteren Gesprächeraten für Engländer teilnahm.
Das wird sicher ganz toll, versuchte ich charmant zu sein. Wie kommen wir eigentlich zurück? Die beiden Nasen, die uns von vorn betrachten, müssen nach Benidorm und wir anderen haben Zimmer in Alicante.
Da sind meines Wissens nach mehrere Limousinen mit Chauffeuren gechartert worden und sollen dann den Rücktransport organisieren. Aber warum entspannst du nicht mal ein bisschen. Die Party geht doch erst los.
Die Fahrt war wirklich nicht von langer Dauer, hatte uns aber eindeutig weg von der Küste und in die Berge geführt. Allerdings lichtete sich der von mir gesichtete Nebel, als wir ausstiegen.