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Mit Franks derzeitigem Lieblingslied Ein Augenblick in Rot von der Münchner Freiheit wurden sie sanft geweckt. Iset kuschelte sich noch einmal fest an ihn. Heute würden sie Niit und Beat alleine weiterreisen lassen. Frank bedauerte es ein wenig, denn er hatte Niits ungezwungen-burschikose Art schätzen gelernt und auch Beat trockenen Humor würde er vermissen.
Aber bald würde sie ja wiederkommen, genau wie Nebbie und Urs.
Er rechnete in Gedanke noch einmal nach und streichelte dabei Isets Bäuchlein, in dem ihr gemeinsames Baby heranwuchs. Vielleicht würde das Kind schon da sein, wenn sie wiederkämen.
Aber eins nach dem anderen.
Er streichelte liebevoll durch Isets Haar und küsste sie ganz sanft und zärtlich: Schätzilein, wir müssen aufstehen. Heute ist ein wichtiger Tag!
Jeder Tag ist wichtig. Kuscheln ist auch wichtig.
Natürlich. Aber wir haben Termine, und die können wir nicht vom Bett aus wahrnehmen. Also solltet ihr beiden euch erheben und mit mir in die Dusche kommen.
Süß, das 'Ihr beiden' Iset lächelte ihn an Komm, noch ein Kuss!
Frank konnte da natürlich nicht widerstehen und so verzögerte sich ihr Aufstehen doch noch um eine Viertelstunde. Dann aber duschten sie auf bewährte Weise zusammen und zogen sich an, um dann rechtzeitig mit den anderen zum Frühstück fertig zu sein. Überflüssig zu erwähnen, dass die Kleine schon längst fertig war, als Iset und Frank sich widerstrebend aus dem Bett erhoben.
Niit hatte Beat wachgekitzelt, was er mit gespielter Empörung quittierte, beide balgten sich noch etwas im Bett, Niit nutzte seine Morgenlatte aus, um sie sich schnell zu einem Morgenquickie zwischen die Beine zu schieben, danach duschten sie und waren auch zur vereinbarten Zeit fertig.
Niit war in Gedanken schon weit weg, bei Beat zuhause. Wie sie wohl von seinen Eltern aufgenommen würde? Andererseits konnte es ihr ja egal sein, Beat würde auf jeden Fall zu ihr halten, aber
es blieb ein Gefühl von Spannung und Unsicherheit. Ihr war, als würde sie, durch die empfangenen Bilder seiner Kindheit, das Haus schon kennen, und doch, es würde vielleicht heute ganz anders sein?
So war sie beim Frühstück gar nicht richtig bei der Sache und ihre Gedanken schweiften immer wieder ab. Auch Iset junior hatte Hummeln im Bauch. Obwohl sie von ihrer bisherigen Schule das Gefühl der Abwesenheit von Zuhause über längeren Zeitraum ja schon kannte, hier war sie ja in der Fremde, weit, weit weg und kannte niemand. Sie beruhigte sich: Frank hatte ja versprochen, wenn es nicht ging, würden sie sie herausholen. Falls es mit der Sternenstein-Verständigung nicht klappen sollte, ihre Silberschale und den Mondstein, sowie eine Flasche vom heiligen Nilwasser hatte sie dabei. Was sie nicht wusste war, ob die Magie auch über mehrere tausend Kilometer wirken würde.
So hingen sie alle irgendwie ihren eigenen Gedanken nach und die Unterhaltung war entsprechend einsilbig, immer wieder unterbrochen vom Bedienungspersonal, das mit der Kaffeekanne herumging und die Tassen nachfüllte.
So beendeten sie ihr Frühstück in einer merkwürdig gedrückten Atmosphäre, als ob jeder sich irgendwie scheute, ein Gespräch zu beginnen,
Sie trennten sich um ihre Sachen zu packen und wollten sich danach wieder in der Rezeption treffen um gemeinsam zum Bahnhof zu gehen. Hier würden sich ihre Wege dann trennen.
Iset bezahlte die Rechnung für alle mit ihrer Kreditkarte, Frank und die Kleine rollten die Koffer heran. Kurz danach waren auch Beat und Niit zur Stelle.
Iset wendete sich an sie: Wir bekommen ja Kreditkarten auch für dieses neue Konto bei der UBS. Wenn du noch irgendwas an Geld brauchst, sag Bescheid, ich hab noch genug mit.
Aber Iset, ich komm sehr gut zurecht. Ich brauche nichts, und nebenbei, meine Ansprüche sichd auch bescheiden.
Fein, ich will nur nicht, dass du zu kurz kommst oder dir etwas fehlt. Und unsere Examenskandidaten wollen wir ja auch etwas untestützen, nicht wahr!
Die brauchen bekanntlich immer was. Ich würde mich auch niemals von Beat finanzieren lassen. Ich hoffe nur, dass er nicht zu stolz ist, von mir was zu nehmen.
Du machst das schon.
Sie brachen zum Bahnhof auf. Beat und Niit fuhren zuerst. Iset-junior sendete wortlos an Beat. Schade, dass du jetzt wegfährst, es wird langweilig sein ohne dich.
Ich komm doch bald wieder, Iset. Pass auf dich auf! sendete er auf gleichem Weg zurück.
Sie sprang regelrecht an ihm hoch, um ihn noch einen Abschiedskuss zu verpassen. Tschüss, Beat
Auch von Niit verabschiedete sie sich mit einem Schmatzer.
Auch Frank und Iset umarmten die Beiden noch einmal herzlich, dann stiegen sie ein und der Zug setzte sich in Bewegung. Für wieviele Monate? Sie wussten es nicht, aber sie würden in ständiger Verbindung bleiben.
Frank lotste sie jetzt zu ihrem Zug, einen Bahnsteig weiter. Das Gepäck wurde in ein spezielles Gepäckfach zwischen den Sitzen geschoben, dann richteten sie sich für die nächste Stunde ein. Frank organisierte eine Zeitung, Iset wollte nichts und schaut lieber aus dem Fenster.
Die Fahrt verging so schnell, dass sie überrascht waren, als der Zug schon in dan Bahnhof einfuhr.
Es kam richtig Hektik auf, denn der Aufenthalt hier war kurz und sie mussten sich mit dem Aussteigen beeilen. Frank wuchtete die Koffer auf den Bahnsteig, dann schlossen sich auch schon die Türen und der Zug fuhr weiter. Ein Taxi war am Ausgang schnell gefunden und dieses brachte sie nach kurzer Fahrt zur dem schlosssartigen Schulgebäude des Inernats-Gymnasiums Auf dem Blumenhügel
Sie waren beim Direktor schon angemeldet und er empfing sie in seinem Büro.
Iset stellte sich, Frank und ihre Tochter vor. Der Schulleiter,Herr Baalmann, ein etwas älterer Herr im korrekten dunklen Anzug lächelte.
Leben Lernen ist der Endzweck aller Erziehung begann er seinen Vortrag über die Schule. Die Schüler sollten hier ohne jeglichen Standesunterschied zu verantwortungsvollen Menschen erzogen werden, bei uns wird Disziplin groß geschrieben, zu diesem Zweck haben wir ein abgestuftes System von Belohnungen und Strafen. Hier ist unsere Hausordnung.
Iset nahm das Heft in die Hand und blätterte durch: Heilige Göttin, das sind ja einundzwanzig Seiten!
Ganz recht Madame. Bei Pünktlichkeit und Sauberkeit fängt es an. Mit dem mindestens einmal wöchentlichen Brief nach Hause hört's auf. Außerdem sind regelmäßige Drogentests obligatorisch, wer erwischt wird, fliegt raus.
Iset fragte: Und wie ist es jetzt mit der speziellen Förderung Hochbegabter?
Wir gehen individuell auf die Fähigkeiten der Schüler ein. Aber für uns macht den lebenstüchtigen Menschen nicht ein Maximum an Bildung aus, wir wollen keine Fachidioten, sondern es geht uns um das Zwischenmenschliche. Verantwortungsgefühl, Kameradschaft, Hilfsbereitschaft stehen hier ganz oben.
Meine Tochter hat in ihrer Heimat einen gesellschaftlich sehr hohen Rang. Wie ist es da mit der Diskretion?
Da können Sie sich ganz auf uns verlassen. In dieser Hinsicht sind wir Weltspitze. Bei uns sind einige Kinder von Staatsoberhäuptern erzogen worden, in Einzelfällen haben wir sie aus Diskretionsgründen mit falschem Namen versehen. Wenn die Sicherheit es erfordert, ist vieles machbar.
Was die Schulkleidung betrifft: Ich habe hier vorhin Mädchen mit spitzen Stiefelchen gesehen.
Ich dulde nicht, das meine Tochter gesundheitsschädliches Schuhwerk aufgenötigt bekommt. Können Sie das gewährleisten?
Aber selbstverständlich, Madame. Ich habe noch eine Frage: Wir haben Klassen mit verschiedenen Unterrichtssprachen. Haben Sie da gewisse Vorgaben?
Nein, Meine Tochter spricht alle. Ich denke aber sie sollte den Doppelabschluss anstreben, mit der Schweizer Matura und dem Deutschen Abitur.
Dann schlage ich Deutsch als Klassensprache vor.
Und wie ist es mit dem Überspringen von Klassen? Ist das möglich?
Im Prinzip ja, aber da muss ich mir erst selbst ein Bild machen.
Nun wendete sich Iset an ihre Tochter, die den Dialog aufmerksam verfolgt, aber sich mit eigenen Äußerungen zurückgehalten hatte: Iset, mein Schatz, hast Du noch irgendwelche Fragen?
Ja, habe ich. Herr Baalmann, ich habe einen ganz besonderen Ehrenkodex. Ich lüge niemals und möchte unter keinen Umständen dazu genötigt werden. Und demzufolge sehe ich es als Beleidigung an, wenn jemand Aussagen von mir in Zweifel zieht. Ich wünsche, dass dem Rechnung getragen wird. Mit den anderen Schülern werde ich mich schon einigen, aber ich werde notfalls auch Lehrern deutlich widersprechen. Sollten Sie hierin eine Insubordination sehen und entsprechend sanktionieren wollen, brauchen wir uns nicht weiter zu unterhalten, dann bin ich hier fehl am Platze. Ich erbitte Ihre Stellungnahme.
Herr Baalmann schluckte, bevor er antwortete. Oh, da hab ich es ja mit einer sehr selbstbewussten jungen Dame zu tun. Bei uns kann und soll jeder die Wahrheit sagen. Diese extreme Haltung dazu ist mir zwar noch nicht untergekommen, aber ich kann sie eigentlich nur begrüßen. Ich werde das Lehrerkollegium entsprechend informieren.
Danke, ich habe im Moment keine weiteren Fragen.
Mutter Iset wendete sich wieder an ihre Tochter: Sollen wir es versuchen?
Ja, ich denke schon.
Herr Baalmann ergriff wieder das Wort: Für die Organisatorischen Einzelheiten wenden Sie sich bitte an Frau Schulze, unsere Hausdame, sie wird alles weitere mit Ihnen besprechen. Hier ist schon mal die Kleiderliste und was sie noch so beschaffen müssen, Frau Schulze sagt Ihnen, wo sie was bekommen. Ich darf mich jetzt von Ihnen verabschieden, ich habe gleich noch ein Gespräch.
Er brachte sie zur Tür und zeigte auf das Büro der Hausdame, klopfte dort an die Tür und als Frau Schulze öffnete, stellte er ihr Iset vor als die Neue. Ab dann war er urplötzlich verschwunden.
Mutter Iset blieb noch, um die Kleidungsfrage zu beordnen, dann war Iset-junior auf sich gestellt.
Mhhh, meinte Frau Schulze Wo lassen wir dich wohnen....
Iset antwortete artig, obwohl es wahrscheinlich gar keine an sie gestellte Frage war: Wenn ich eine Bitte äußern dürfte: Ich möchte nicht gern mit einer Muslima zusammen in einem Zimmer wohnen, und auch nicht mit einer sehr religösen Christin, Ich möchte Streit vermeiden, da ich einen anderen Glauben habe und diese Religionen immer meinen missionieren zu müssen.
Ich glaube, dass lässt sich einrichten. Hättest du Vorbehalte gegen eine Russin?
Nein, wenn sie nett ist, nicht.
Ich finde sie ganz nett. Sie spricht aber kein Deutsch und Englisch auch noch schlecht
Damit habe ich kein Problem, ich werde es mit ihr versuchen.
Also gut, dann kommst du zu Tatjana ins Zimmer.
Sie gingen gemeinsam durch verschieden Flure und über Treppen, bis sie im Mädchenflügel waren. Endlich stoppte Frau Schulze an einer Tür und klopfte an.Tatjana?
Da.
Tatjana, dies ist Iset, deine neue Zimmergenossin. Ich hoffe Ihr werdet euch gut vertragen.
Tatjana schaute nicht gerade sehr erfreut auf Iset, kam aber auf sie zu und reichte ihr die Hand und sagte auf russisch: Hallo, ich bin Tatjana. Du kannst das Bett an der Tür haben. Unterschwellig hatte Iset in ihren Gedanken gelesen: Mist, krieg ich doch noch eine ins Zimmer, ich hätte es lieber allein gehabt.
Iset antwortete unter Einsatz ihrer Magie: Danke für den freundlichen Empfang Tatjana. Vielleicht können wir das Bett ja auch mal tauschen
Die Miene Tatjanas hellte sich sofort auf, als sie meinte auf russisch angesprochen zu werden, sie hatte gar nicht mitbekommen, dass Isets Mund etwas ganz anderes gesagt hatte, als in ihrem Verstand angekommen war. Du kommst auch aus Russland?
Nein ich bin aus Ägypten.
Frau Schulze machte Stielaugen, als sie den Dialog sah. Sie verstand gar nichts mehr. Tatjanas Russisch gegen Isets Ägyptisch. Sie sah aber, dass die beiden sich offenbar verstanden und entfernte sich mit einem Kopfschütteln.
Wie kommt es dann, dass ich dich verstehe, Du sprichst doch ein astreines Russisch!
Nein, ich habe nur den Sinn meiner Worte in deinen Kopf gesendet, und ich lese dort das, was du mir sagst. Ich bin Iset, und ich bin anders. Iset sagte es so, als ob das alleine schon alles erklären würde. Aber Tatjana war damit nicht zufrieden. Ihre Miene verfinsterte sich wieder etwas.
Wie kann das angehen? Kannst du mir das mal erklären? Stöberst du in meinen Gedanken herum?
Liebe Tatjana! Du braucht keine Angst zu haben, ich lese nicht in deinen Gedanken in der Form, dass ich in deinem Kopf herumschnüffle. Es ist anders. Wenn du etwas sprichst, dann formulierst du es in deinen Gedanken und richtest es an mich, und nur diese ohnehin an mich gerichteten Gedanken lese ich. Das geht sogar ohne Worte, versuch es mal: Denk an mich, als ob du sprichst und formuliere einen richtigen Satz. Wichtig ist, dass du den Satz wirklich an mich richtest.
Tatjana verharrte etwas und formulierte: Kannst du mir erklären, wie du das machst?
Iset antwortete ohne Worte: Nein, ich kann es einfach, schon immer, es ist eine besondere Gabe unserer Familie. Ich habe sie dir gezeigt, weil sie unser Zusammenleben erleichtern kann, aber bitte sag es nicht weiter, denn ich möchte hier nicht als Hexe verschrien werden. Das bin ich nämlich nicht, auch wenn ich noch andere besondere Fähigkeiten habe.
Was für welche?
Das kann ich dir erklären, wenn ich sie verwende. Ich kann zum Beispiel Geschriebenes und Gedrucktes in jeder Sprache lesen.
Iset packte ihre Sachen in den Schrank. Ihre Silberschale und die Flasche mit dem heiligen Wasser versteckte sie ganz hinten im Schrank.
Sie war mit dem Einräumen gerade fertig, da klopfte es wieder und Frau Schulze stand an der Tür um sie zu einem Rundgang abzuholen: Ich zeige dir die Schule, damit du weisst, wo du überall hin musst. Zum Beispiel den Speisesaal, die Klassenräume, die Gemeinschaftsräume.
Iset fragte Kann ich hier auch Musik lernen? Ich würde gern ein Instrument spielen. Ich hatte sonst immer nur ein Sistrum, aber das ist ja nur ein Rhythmusinstrument. Ich möchte auch ein Melodieinstrument beherrschen.
Ja, das kannst du. Du kannst Klavierunterricht bekommen oder Gitarre oder Harfe lernen.
Harfe würde sehr gut in die Tradition unserer Kultur passen.
Dann werde ich dich auf die Interessentenliste eintragen.
Iset war nicht zum normalen Beginn einer Schulperiode gekommen, aber Frau Schulze hatte gesagt, das das nichts ausmachen würde. Sie zeigte ihr ihren Kassenraum, in dem grade Unterricht stattfand: Hallo, Kinder, dies ist Iset, sie ist neu hier. Seid bitte nett zu ihr. Vorstellen kann sie sich selbst.
Iset kam nach vorne zur Lehrerin. Hallo zusammen. Ich bin Iset und komme aus Ägypten.
Mehr sagte sie nicht. Die Lehrerin setzte sie in die vorletzte Reihe neben ein Mädchen, das wie sie lange, schwarze Haare hatte und eine ähnlich braune Haut. Als sie sich setzte, sagte diese: Hallo, ich bin Consuela aus Brasilien, herzlich willkommen: Schön, dass ich nicht mehr alleine sitzen muss.
Iset freute sich über den warmherzigen Empfang und wollte gerade etwas erwidern, als die Lehrerin, Miss Morris, mit strenger Stimme zum weitermachen ermahnte: We had been interrupted, let's continue the Lesson
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Beat hatte sich schon gewundert, dass niemand auf dem Bahnhof war, um sie abzuholen, und so hatten sie sich ein Taxi genommen. Beat hatte ein komischen Gefühl im Bauch, Bisher war er immer vom Bahnhof abgeholt worden, warum heute nicht?
Sein ungutes Gefühl verstärkte sich, als er den Rettungswagen vor der Haustür stehen sah. Er sprang sofort aus dem Taxi Niit übernahm die Bezahlung und er stürmte mit lange Schritten nach drinnen. Was ist passiert? Eine Frau lag blutüberströmt auf dem Boden und ein Sanitäter bemühte sich um sie. Sein Vater stand dabei und wusste nicht was er tun konnte. Hallo Be, da bist du ja, Mama ist gestürzt und hat sich dem Kopf aufgeschlagen und ist dann bewusstlos geworden.
Beat schaute genauer hin. Ja, es war tatsächlich seine Mama. Vor lauter Blut hatte er sich gar nicht erkannt. Er sprach den Sanitäter an: Wie sieht es aus? Atmung, Blutdruck, Puls, Kreislauf?
Sind sie Arzt? Fast. Unmittelbar vor dem Examen. Darf ich mal sehen?
Beat kniete sich neben seine Mutter und konzentrierte sich, sein Sternenstein begann zu leuchten.
Zum Sanitäter sagte er: Bitte schauen Sie nicht hin, das Licht könnte sonst Ihre Augen schädigen, Am besten schließen Sie die Augen und halten zusätzlich die Hand davor!
Er hielt die Hand mit dem Sternenstein-Ring ganz dicht über den Kopf und schloss seinerseits die Augen, um die normal-visuellen Eindrücke auszublenden. Nun sah er die Dinge, die unter der Oberfläche lagen.
Eine subdurale Hirnblutung, ich muss sie unbedingt zum Stehen bringen!
Niit kam dazu, schaute sich um und hatte sofort den Überblick. Sie hockte sich neben Beat und aktivierte gleichfalls ihren Stein. Jetzt, mit ihrer vereinten Magie, sah Beat klarer. Das gerissene Blutgefäß, das Blut,das immer noch daraus hervor sickerte. Niit sagte: Lass mich das machen!
Sie griff mit ihren Gedankenkräften tief in das Gewebe hinein, das Blutgefäß schloss sich. Wir müssen den Druck ableiten! sagte sie in Gedanklicher Verbindung zu Beat. Fällt Dir was ein? Trepanieren können wir hier nicht. Können wir die Resorption über das Blutgefäßsystem beschleunigen?
Lass es uns gemeinsam versuchen.
Tatsächlich, es gelang ihnen, zuerst fast unmerklich löste sich das schwärzliche Blut auf, es wurde heller zwischen Hirnhaut und Gehirn. Beats Mutter schlug die Augen auf und flüsterte: Beat, ich hab gschpürt, dass du da bischt.
Bleib ruhig liegen, Mama, du darfst dich jetzt nicht bewegen. Mach die Augen zu.
Sie machten weiter, bis das Gehirn im Kopf normal aussah und kein Blut mehr in der Hirnflüssigkeit zu sehen war. Dann kümmerten sie sich um die Platzwunde. Auch die konnte sich mit der vereinten kraft ihrer Magie bald schließen. Der Sanitäter stand fassungslos daneben, als Beat und Niit ihr Werk vollendet hatten. Beat sagte: So, Mama, jetzt kannst du aufstehen!
Wie haben sie das gemacht? fragte der Sani. Neue ausländische Methode, bei uns noch nicht zugelassen, antwortete Beat, aber in diesem Notfall fühlte ich mich dazu verpflichtet, sie einzusetzen. Es ist noch streng geheim, wird aber vielleicht in ein paar Jahren zum Standard werden.
Nun konnte Beat seine Mutter endlich in die Arme schließen. Da bin ich ja jerade rechtzeitig gekommen. Mama, das ist Niit. Wir haben beschlossen, dass wir miteinander leben wollen.
Dann komm her und lass dich küssen, Mädel! Herzlich willkommen bei uns. Wir vertrauen darauf, dass Beat richtig gewählt hat und freuen uns, dich kennen zu lernen. Sie breitete in einladender Geste die Arme aus und Niit nahm die Einladung gern an. Sie küssten sich auf beide Wangen und dann auf den Mund.
Ich bin die Anna, und das ist der David, mein Mann.
Sie machte eine halbe Drehung und gab Niit gleich weiter an David, der sie genauso herzlich umarmte.
Der Sanitäter bestand darauf, Anna zur Untersuchung ins Spital mitzunehmen und David stimmte dem zu. Beat sagte zwar, dass es nicht nötig sei, es sei alles in Ordnung, aber angesichts der Bewusstlosigkeit wollte niemand ein Risiko eingehen, Beat und Niit fuhren im Rettungswagen mit, David im PKW hinterher. Vielleicht muss er jemanden mitbringen, damit die Fahrt bezahlt wird, sendete Niit. Nein, das ist es nicht, die Leerfahrt wird auch nach Kilometern abgerechnet. Aber in so einem Fall werden sie wohl immer zur Sicherheit ein MRT machen.
Wir müssen nur aufpassen, dass sie wegen unserer Methode nicht neugierig werden.
Das ist zu befürchten. Wir müssen uns einsilbig geben und im Zweifelsfall mit Geheimhaltung herausreden.
Es war das Spital, in dem Beat auch sein Praktikum gemacht hatte, un der diensthabende Arzt kannte ihn noch aus der Zeit. Hallo Beat, was ist passiert?
Ich kam erst etwas später dazu. Mutter ist gestürzt, mit dem Kopf aufgeschlagen und war bewusstlos. Gehirnerschütterung. Jetzt scheint alles in Ordnung, aber vielleicht wollt ihr zur Sicherheit doch ein MRT machen.
Ja, wir schieben sie gleich durch die Röhre.
Wenn alles in Ordnung ist, könne wir sie doch gleich wieder mitnehmen,oder?
Ja, da hab ich keine Bedenken, wenn aber irgendwelche Verschlechterung eintritt, Bewusstseinstrübung, Gesichtsfeldausfall oder sowas, dann muss sie sofort hierher zurück.
Das ist ja wohl selbstverständlich!
Und was macht eigentlich dein Studium?
Ich stehe unmittelbar vor dem Examen.
Willst du deine Assistenzarztzeit nicht bei uns machen? Tüchtige Leute können wir gut gebrauchen
Nein, vielen Dank, ich habe schon eine Stelle im Ausland. Ich glaube, dort werde ich dringender gebraucht.
Schade, wir hätten dich gerne gehabt.
Die Prozedur mit der Magnetresonanztomographie war in einer halben Stunde abgeschlossen, der Befund hätte besser nicht sein können,hatte der Arzt gesagt. Von der äußeren Kopfverletzung hatte er überhaupt nichts mehr bemerkt, und dass es eine Hirnblutung gegeben hatte, war in der Tomographie überhaupt nicht mehr zu sehen. So fuhren sie dann zu viert wieder nach Hause.
Beat, es tut mir ja leid, dass wir euch nicht abholen konnten, aber wir sind dir ja so dankbar, dass du so gut helfen konntest.
Das ist doch selbstverständlich. Ich bin dafür aber auch dankbar, das konnte ich vor meinem Ägyptenaufenthalt noch nicht. Diese Methode gibt es hier in Europa nicht, und wer weiß, wie es Mama sonst gehen würde. Aber Papa, bitte erzähl niemandem etwas davon, eigentlich hätte ich das noch gar nicht gedurft. Aber der Notfall rechtfertigte die Maßnahme.
Ist schon, gut Bub, von mir erfährt keiner was.
Du, Beat, ließ sich seine Mutter vernehmen, was war das, als ich da gelegen hab, da hatte ich die Augen zu, aber ich hab dich trotzdem gesehen, ganz in blaues Licht gehüllt.
Das war ich Mama, mir heilendem Licht. Deswegen geht es dir jetzt wieder gut, aber die gleiche Bitte geht auch an dich, sags nicht weiter, wegen der Kompetenzüberschreitung vor dem Examen und so.
Schon gut mein Schatz, und heute abend feiern wir erstmal deine Heimkehr.
Mama, es ist aber nur für kurze Zeit. Ich muss praktisch gleich wieder nach Zürich, und nach dem Examen gehts wieder nach Ägypten, zur Arbeit in Niits Heimat. Ich werde euch dann zwar gelegentlich besuchen kommen, aber mei Lebensmittelpunkt wird drüben bei Niit und dem Baby sein.
WAAAAS? Baby? Und das erfahren wir erst jetzt, so zwischen Tür und Angel? Du Lausebengel, da hättest du sofort anrufen müssen!
Mutter Anna gab ihm mit gespielter Entrüstung einen Klaps auf den Po.
Niit, was sagst du dazu?
Ich freu mich wahnsinnig auf das Baby, dass er nichts gesagt hat, war seine Entscheidung, er wollte euch überraschen. Aber er hat versprochen, ein guter Vater zu werden.
Dieser Bub. Man erlebt doch immer wieder Überraschungen.
Nein, langweilig ist es nicht mit ihm. Und bei uns wird er alle Hände voll zu tun haben.
Und was ist mit heiraten? Wollt ihr, dass das Kind unehelich zur Welt kommt?
Bei uns gelten andere Regeln. Wir brauchen keinen amtlichen Stempel, um miteinander glücklich zu sein. Für das Kind macht es keinen Unterschied. Die Göttin hat unsere Verbindung bereits gesegnet.
Wovon sprichst du?
Von der Göttin, Isis heißt sie bei euch. Sie ist die Göttin der Liebe und damit die Garantin für das Leben schlechthin.
Ich habe schon mal was vom Isiskult gehört, der war bei den alten Römern in.
Wir sind eine kleine Glaubensgemeinschaft, die sich diesen Glauben seit Anbeginn der Zeit erhalten hat. Isis war schon, bevor es die alten Römer gab, seit den Anfängen der Kultur in Ägypten.
Beat ergriff das Wort: Mama, ich weiß nicht, ob du das verstehst, ich habe die Göttin gesehen und ich bin der Gemeinschaft beigetreten. Ich bin von der Richtigkeit meiner Entscheidung überzeugt.
Bub, du hast immer getan, was du für richtig gehalten hast und dir nicht dreinreden lassen. Da werd ich es jetzt nicht versuchen.
Ihr seid natürlich herzlich eingeladen, mehr über unsere Gemeinschaft zu lernen. Alles, was ich bis jetzt erfahren habe, hat mich darin bestärkt, dass meine Entscheidung richtig war. Die Göttin ist übrigens logischerweise die Göttin aller Menschen, auch derer, die nicht an sie glauben. Im Gegensatz zu anderen Religionsgemeinschaften, bedeutet ein anderer Glaube aber nicht zwangsläufig die ewige Verdammnis, sondern es hängt vom Individuum ab. Ich will es jetzt nicht vertiefen, aber ich habe jetzt eine weitere Familie drüben und bei der fühle ich mich genauso wohl, wie ich mich immer bei euch gefühlt habe. Ihr seid auch herzlich eingeladen, uns drüben zu besuchen.
Das nehmen wir gerne an.
Niit wurde durch Beats Elternhaus geführt und verglich die Bilder, die sie von Beat empfangen hatte, mit der Realität. Das Haus wirkte viel kleiner, aber dass soll wohl immer so sein, weit die Erinnerungen eines kleinen Kindes aus einer anderen Perspektive stammen. Im Großen und Ganzen hatte sie es sich aber so vorgestellt.
Anna sagte: Beat, wir haben kein zusätzliches Bett. Du kannst Niit in deinem Zimmer schlafen lassen uns gehst selbst auf das Wohnzimmersofa.
Kommt gar nicht in Frage. Wir brauchen nicht viel Platz, wir gehen zusammen.
Wenn du meinst.
Mama, keine Sorgen, wir schaffen das schon Beat lächelte und Niit grinste breit. Wir sind da sehr genügsam.
Dann werd ich uns erstmal was zu essen machen. Anna verschwand in der Küche, und bald duftete es himmlisch nach Rösti und geschmolzenem Käse.
Beim gemeinsamen Essen redeten sie weiter. Nun Bub, wie lange bleibt ihr? fragte David
Wir wollten nur kurz bleiben, damit ihr Niit kennenlernt, und dann will ich meine Wintersachen mitnehmen nach Zürich. Wenn ich mein Examen in der Tasche haben sollte, dann kommen wir noch ein mal kurz zum Abschied, und dann gehts wieder nach Ägypten.
Schade, ihr hättet gerne noch ein paar Tage länger verweilen dürfen.
Anna wandte sich an Niit: Und was machst du so zuhause, beruflich meine ich?
Ich habe mehrere Funktionen, Ich bin Priesterin, gleichzeitig aber auch für die Rechtsprechung zuständig, man würde das hier als Mischung zwischen Staatsanwältin und Richterin ansehen. Dann habe ich auch noch einige Kenntnisse in der Medizin und Pflanzenheilkunde. Na ja, und weil mich das nicht ganz ausfüllt, sie lachte einmal auf, treibe ich noch ein bisschen Sport und gehe auf die Falkenjagd, die bei uns eine lange Tradition hat. Aber meine Lieblingssportart ist das Bogenschießen. Da gibt es niemanden, der es mit mir aufnehmen könnte.
Davit hatte begeistert zugehört: Ich bin hier im Schützenverein Vereinsmeister im Bogenschießen, mich hat noch keiner besiegt, das würde ich ja gerne einmal testen.
Von mir aus gerne, aber ich habe meinen Bogen nicht dabei. Mit meinem Bogen schieße ich auf hundert Schritt einer Fliege das Auge aus.
Übertreibst du auch nicht?
Beat wird dir bestätigen, dass ich niemals übertreibe. Das Einzige, womit ich manchmal über das Ziel hinausschieße, ist meine Reaktion, wenn ich richtig wütend werde. Dann sollte man mir besser aus dem Weg gehen, sonst kann es böse enden.
Sie tranken noch ein Glas Wein zusammen und sagten sich dann Gute Nacht. Niit konnte es kaum erwarte, mit Beat endlich alleine zu sein. Hier war natürlich nicht wie im Hotel, das Bad direkte an das Zimmer angeschlossen, sondern sie mussten einmal über den Flur. Niit machte das, wie sie es von zuhause her gewohnt war, nackt. Dass die sabei von David gesehen wurde, störte sich nicht im geringsten, sie lächelte ihm zu und gin ungerührt weiter. Beat folgte ihr. Sein Vater nahm ihn am Arm und flüsterte ihm zu: Ihr hättet doch auch einen Bademantel nehme können.
Das findet Niit absolut überflüssig. So ist sie eben, absolut ungezwungen und natürlich, und das liebe ich an ihr.
Geniert sie sich denn überhaupt nicht, sich so zu zeigen?
Nein. Das ist ihr völlig fremd. Und wie ich sehe, genießt du ihren Anblick ja auch.
Beat zeigte auf die Beule in Davids Hose und lachte.
Beat ließ seinen Vater stehen und schloss die Badezimmertür hinter sich. Er drehte aber nicht den Schlüssel herum. Er hatte sich schon so an Niits freie Art gewöhnt, dass es ihm egal war, ob seine Eltern nun hereinkämen oder nicht. Niit hatte keine Zahnbürste mit, also gab Beat ihr seine: Wir haben inzwischen sowieso die gleiche Mundflora, dann kannst du auch meine Zahnbürste benutzen.
Sie duschten schnell zusammen, wobei sie auf übertriebene Intimitäten unter der Dusche verzichteten, die Dusche hier war dafür auch nicht unbedingt ausgelegt. Sie wollten nur so schnell wie möglich miteinander ins Bett, und das schafften sie auch.
Niit kuschelte sich eng an Beat. Eng ist es hier, aber gemütlich.
Sie löschten das Licht und freuten sich auf den Rest der Nacht.