Iset und Frank waren noch im Haus, als der Hilferuf von der kleinen Iset eintraf. Iset fragte Awadalla nach einem Raum, wo eventuell das Gefängnis für den Drachen sein könnte, aber sie konnte nicht weiterhelfen. Auch von Erket kam keine Hilfe, niemand hatte je davon gehört. Frank sagte: Dann lass uns doch mal die Kleine fragen, wie sie dort hineingekommen ist!
Iset schlug sich an die Stin. Auf das Nächstliegende kommt man zuletzt! Sie konzentrierte sich auf ihre Tochter Hallo Iset, wie bist du dort hineingekommen?
Und Iset-junior berichtete von dem Bronzedrachen, der Kralle und der Hand, wie die Tür sich geöffnet hatte und dann die Treppe zur Rutschbahn wurde. Also lasst Euch nicht verführen, den Weg über die Treppe zu versuchen!
Wie tief, schätzt du, bist du heruntergerutscht?
Zwei bis drei Etagen bestimmt, wenn nicht noch tiefer.
Siehst Du eine Tür oder etwas in der Art?
Moment, ich mach mehr Licht! und nach einer Pause:
Da ist die Rutschbahn, wo ich gekommen bin und an einer Wand, rechts neben der Rutschbahn ist eine glatte Fläche, wie eine Tür ohne Griff. Sonst ist der Raum absolut leer.
Dann versuch mal, hinter die Tür zu schauen!
Wie geht das? Die ist doch undurchsichtig!
Lass deinen Sternenstein so hell werden, wie es geht, dann schließ die Augen und schau, ob du mit geschlossenen Augen was siehst!
Iset versuchte es. Sie brachte ihren Stein zum Leuchten, bis das Licht gleißend grell war. Dann schloss sie ihre Augenlider und sie sah weiterhin ihre Umgebung, nein, sie spürte sie mehr als sie sie sah, und sie sah die Strukturen innerhalb der Wände, die Stahlstreben. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Fläche, die eine Tür sein musste und... tatsächlich, dahinter war ein Gang und eine Wendeltreppe, die nach oben führe. Das berichtete sie sofort ihrer Mutter, dann richte sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Gorun: So, mein Freund, jetzt gehe ich in die Zwischenwelt und schaue mal nach, ob von dort ein Zugang ist!
Sie setzte sich in tausendfach geübter Meditationshaltung auf den Boden und konzentrierte sich. Ihr Geist verließ ihren Körper, und... sie stieß an eine rot leuchtende Barriere. Ihr Geist fiel in den Körper zurück. Das war's dann wohl mit Zwischenwelt, dachte sie. Das rote Leuchten musste die magische Barriere gewesen sein, die Sinwe um diesen Raum errichtet hatte. Ihr Geist konnte den Raum genauso wenig verlassen wie der Geist von Gorun.
Gorun, ich kann von hier aus auch nicht in die Zwischenwelt, mein Geist ist gefangen wie deiner, wir müssen auf meine Oma warten, sie ist die stärkste Magierin überhaupt, und sie muss die Barriere brechen!
Ihr seid zu gütig zu mir, meine Freunde. Aber lange halte ich es auch nicht mehr aus, mein Geist spürt, wie mein Körper Nahrung braucht.
Wo ist denn dein Körper?
Ich werde ihn suchen müssen, wahrscheinlich in einer Art Wachkoma zurückgelassen in meiner Dimension. Als du versucht hast, mit dem Geist den Raum zu verlassen, habe ich übrigens deine Gestalt gesehen, ganz in blau, wie sie nach oben flog und dann wieder herunter fiel, dann ist sie verblasst und wurde wieder unsichtbar. Offenbar kann ich deinen Geist sehen, aber das ist ja auch kein Wunder, weil ich hier auch nur Geist bin.
Mein Geist hat von dir aber nichts gesehen.
Vielleicht, weil du nicht darauf geachtet hast, es war ja nur ganz kurz, und du bist dann sofort zurückgefallen.
-*-
Nefer-Neferet umarmte ihre Herrin, als diese sich verabschieden wollte: Lass mich mit dir mitfahren, du hast einiges mitgemacht heute, und ich komme um vor Sorge, wenn ich dich alleine fahren lassen muss!
Na dann im Namen der Göttin, fahren wir eben zusammen. Nur, bei der Magie wirst du mir auch nicht helfen können.
Aber seelischen Beistand kann ich dir geben. Danke, dass du mich mitnimmst.
Sie umarmte Iset in eime Aufwallen ihrer Gefühle und küsste sie. Hastig warfen sie sich ihre Kleider über, Iset nahm ihre Taschen mit den magischen Utensilien für alle Fälle, die ise immer bereitstehen hatte, vielleicht am ehesten zu Vergleichen mit einem ärztlichen Notfallkoffer, und sie gingen hinüber zu den Stallungen und verlangten den Bereitschaftsdienst. Mit Reitpferden wären sie zwar schneller, überlegte Iset, aber man wüsste ja nicht, wen oder was man auf dem Rückweg mitnehmen müsste, deswegen ließen sie eine Kutsche anspannen und fuhren. Unterwegs signalisierte Iset ihrer Enkelin schon mal, dass sie bald käme und dann meldete sie sich bei Iset und Frank. Habt Ihr schon eine Idee, wie man das Verlies finden kann? Habt ihr einen Bauplan des Hauses gefunden?
Nein, Mama, sagte Iset, wir sind jetzt bei dem Drachenstandbild und haben die Treppe, die zur Rutschbahn wird, freigelegt. Notfalls könnte man sich über diesen Weg abseilen. Vielleicht wird die Treppe ja auch nicht zur Rutschbahn, wenn jemand die Tür offen hält!
Geht bitte kein Risiko ein. Ich bin gleich da, dann sehen wir weiter.
Frank und Iset warteten an der Haustür, als der Wagen vorfuhr. Iset schaute ihre Mutter besorgt an:
Ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht darauf geachtet habe, wo die Kleine ist!
Sie ist mit dem Wagen mit den Wächtern gekommen, und dann hat sie auf eigene Faust herumgestöbert. Sie ist nun mal abenteuerlustig. Aber vielleicht ist ihr die eine Lehre!
Iset lachte gequält auf: Aber auch nur vielleicht!
Nun zeigt mir erstmal den Raum mit dem geheimen Treppeneingang.
Sie gingen hinein und standen bals darauf vor dem Bronzedrachen. Die Geheimtür hatte sich inzwischen von selbst wieder geschlossen.
Da sie den Mechanismus inzwischen kannten, dauerte es nur Sekunden, bis sich die Tür wieder öffnete. Iset rief hinunter: Hallo, Iset, hörst du mich?
Keine Antwort.
Sie nahm mentale Verbindung auf: Hallo, Iset, ruf mal bitte laut in den Eingang der Rutschbahn!
Leise hörten sie jetzt aus der Tür Hallo, Mama!
Das hört sich ganz schön weit weg an meinte Iset-senior. Die Kleine hat gesagt, rechts von der Rutschbahn sei die Tür, das heißt von uns aus auf der linken Seite muss es abwärts gehen. Lass und mit dem Sternenstein nach verborgenen Türen suchen!
Ihr Sternenstein flammte hell gleißend auf und sie schloss die Augen. Sie sah jetzt die Struktur der Wände. Langsam bewegte sie sich nach links. Da war nichts außergewöhnliches. Aber da, im Fußboden, unter dem Teppich war der Anfang einer Treppe!
Sie stoppte und öffnete die Augen. Hier lag ein kostbarer chinesischer Teppich mit dem Bild eines Drachen. Sie rollten ihn zusammen und fanden eine hölzerne Falltür mit einem schweren Eisenring als Griff, der im Ruhezustand bündig an der Oberfläche anlag. Frank musste alle Kraft aufbringen, um die Tür zu öffnen. Iset-senior sagte: Nefer-Neferet, du bleibst hier und passt auf, dass die Tür nicht durch irgendeinen Mechanismus zuklappt. Wir drei gehen jetzt runter!
Ja, Herrin. Bitte seid vorsichtig!
Versprochen!
Im Licht des Sternensteins tasteten sie sich die Wendeltreppe nach unten. Sie schien überhaupt nicht enden zu wollen, so tief mussten sie hinabsteigen. Die Wände waren hier aus grob behauenem Stein, unverputzt, der Gang machte einen gespenstischen Eindruck. Endlich hatten sie die Sohle erreicht. Dort hinten musste die Tür sein, die in das Verlies führte.
Halt! sagte Iset, Hier muss irgendwo die magische Barriere verlaufen, da will ich nicht unvorbereitet hindurch!
Wieder schloss sie die Augen und untersuchte die Struktur: Ich fühle das Böse, das hier am Werk war. Um die Tür liegt ein orangefarberer Schein, dort muss die Barriere sein, wenn wir sie zu öffnen versuchen, kann irgendetwas unvorhergesehenes geschehen! Ich muss die schwarze Magie zuerst neutralisieren!
Iset griff tief in ihre Bereitschaftstasche und entnahm ihr eine Streudose mit rotem Korallenpulver, damit streute sie vor der Tür ein Pentagramm auf den Boden. In die Mitte stellte sich eine Kerze und murmelte einige Beschwörungsformeln. Auf der Tür zeigte sich ein rötlicher Schimmer, wie von Glut, der aber zu eime rötlichen Nebel wurde und sich auflöste.
Iset prüfte nochmals: Der Durchgang ist sauber! Ich gehe jetzt rein! Frank, du hältst bitte die Tür offen, sie hat innen keinen Griff!
Als Iset die Tür geöffnet hatte, fiel ihr die kleine Iset stürmisch um den Hals: Oh, Oma, ich freue mich, dass du da bist!! Dann sah sie ihre Mutter dahinter, die sie Stern anschaute Sie ließ sich von dem Blick aber nicht beirren und umarmte sie auch Sei nicht böse Mama, ich bin hier nur so hereingerutscht, und ohne das wäre Gorun verloren!
Ist das der Drache, von dem du berichtet hast? fragte Iset, milder gestimmt. Sie war glücklich, ihre Tochter wieder hein und unversehrt bei sich zu haben.
Ja, aber nur sein Geist ist hier, während sein Körper irgendwo in einer anderen Dimension verhungert, wenn wir den Geist da nicht wieder hinschaffen!
Wir müssen auch erstmal versuchen, mit ihm zu sprechen.
Iset-senior machte den Anfang, schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihren Stein. Nun sah sie den Raum in blauem Licht, aber die Wände schimmerten noch orange. Hallo Gorun! Verstehst du mich?
Ja, Ich sehe jetzt drei blaue Lichter, aber ich kann euch nicht sehen. Ich bin hier.
Gut, ich werde jetzt die magische Barriere entfernen. Dann können wir sehen wie wir die nach hause bringen!
Ihr seid zu gütig zu mir. Ich danke euch für eure Bereitschaft mir zu helfen. Es ist schön, Freunde zu haben!
Iset streute wieder ein Pentagramm aus und entzündete ihre Kerze darin. Wieder murmelte sie die Beschwörungsformel und das rötliche Licht verflüchtigte sich, nachdem es sich in eine rötliche Nebelwolke verwandelt hatte.
Nun lasst uns drei Isets einen Zauberkreis bilden!
Sie setzten sich so hin, dass sie das Pentagramm genau zwischen sich in der Mitte ahtten und fassten sich bei den Händen. Sie alle drei konzentrierten sich auf ihre Sternesteine, die mit blauen Licht grell leuchteten. Wieder sahen sie ihre Körper unter sich bleiben und schwebten als blaue Geitwesen zur Decke. Iset-junior fragte die anderen: Seht ihr was von Gorun, beziehungsweise von seinem Geist? Er kann unsere Geistwesen nämlich sehen!
Dann schau mal runter! Er füllt den ganzen Raum aus, richtig hineingepfercht ist er.
Und nun sah Iset es auch: Der Drache passte gerade so in den Raum hinein. Da er aber nicht körperlich dort war, hatte sie nicht gespürt, dass sie quasi den gleichen Raum verwendeten.
Komm, wir heben ihn hoch! Kaum war der Gedanke formuliert, waren sie auch schon unten bei Gorun und zogen an einen Flügeln.
Das kitzelt sagte Gorun, und sein Körper bewegte sich nach oben, mit den anderen Drei durch die Decke hindurch, sie verließen des ganze Gebäude und waren dann alle vier in der blauen Welt, der Zwischenwelt.
Gorun war überglücklich, schlug mit den Flügeln und flog eine Runde um die Dreiergruppe herum. Jetzt sahen sie, wie riesig der Drache war in seiner eigentlichen Gestalt. Iset senior ermahnte ihn: Wir müssen zusammenbleiben, und uns anfassen, sonst haben wir uns in der Zwischenwelt sofort verloren. Gorun, weisst du, wie du von hier aus nach Hause kommst?
Wenn ich von meiner Welt in die Zwischenwelt kam, dann konnte ich einfach zurückkehren, wenn ich nur an meine Heimat dachte. Aber wir sind ja nicht von dort gekommen!
Das macht nichts! Konzentriere dich auf dein Zuhause, dann bist du gleich da. Wir begleiten dich, dazu müssen wir dich anfassen!
Sie griffen nach dem schuppigen Kamm, der über seinen Rücken verlief und Goruns Gedanken führten sie weit, weit weg, sie sahen die Welt jetzt von ganz oben und stürzten zurück auf eine Insel, die Immer größer wurde, im Nordatlantik. Irgendwo bei Island musste das sein. Vulkane rauchten und Geisire sprühten Fontänen aus Wasser und heißem Dampf in die Luft. Hier zwischen den bergen lag ein liebliches Tal, und mitten drin lag ein Drache, wie tot, der Körper leuchtend grün mit goldenen Schuppen. Goruns blauer Geistkörper schwebte auf ihn zu und verschmolz mit ihm.
Iset probierte, ob sie immer noch mit seinem Geist verbindung aufnehmen konnte: Gorun, wie geht es dir?
Der massige Körper des Drachen belebte sich wieder. Er rappelte sich auf die Füße, schüttelte seinen schuppigen Körper und sprang einmal mit den Vorderbeinen, dann mit den Hintebeinen hoch vor Freude.
Hurra, wieder daheim! jubelte er Danke, es geht mir gut! Ich kann euch jetzt nicht mehr sehen, aber ich weiss, dass ihr da seid. Vielleicht treffen wir uns einmal wieder in der Realität!
Auf wiedersehen Gorun! Wir kehren jetzt um und gehen auch nach hause! Pass auf dich auf!
Auf wiedersehen, Iset, Tochter von Iset! Ich werde immer an euch denken!