KAPITEL 12. Ralf erzählt:
Rauschend schlägt das Wasser über mir zusammen und ich versinke in den bläulich diffusen Fluten. Wo ist Silke? Ich reiße unter Wasser die Augen auf, doch sie ist nicht zu sehen. Um mich herum nur Tausende von kleinen Bläschen und immer dieses Rauschen. Langsam kriege ich Panik. Mit kräftigen Zügen schwimme ich unter Wasser weiter, bemüht sie zu finden, doch nichts als dieses diffuse Blau ist auszumachen.
Immer tiefer sinke ich und meine Lungen schreien nach Luft. Tief atme ich ein und schwimme wie in Trance weiter.
Aber das geht doch nicht! Unter Wasser! Und dieses Rauschen! Schlagartig komme ich zu mir und reiße die Augen auf.
Das Rauschen ist immer noch da, doch ich schwimme nicht im Pool, ich liege in einem Bett! Verwirrt richte ich mich auf, und ein messerscharfer Schmerz schießt mir durch das Gehirn.
Was ist passiert?
Dann ist das Rauschen plötzlich zu Ende, und ein paar Minuten später steht eine lächelnde, grün gewandete Nofretete neben mir am Bett.
„Na, geht’s wieder?“
Maria aus dem „El Sombrero“.
Mir fehlen die Worte und ich stottere: „Ging schon mal besser.“
Die Gedanken quälen sich endlos langsam durch mein Gehirn.
„Was ist denn passiert?“
Ich bekomme vorerst keine Antwort, sondern ein Glas mit einer milchigen sprudelnden Flüssigkeit. Meine Kehle ist wie ausgedörrt und ich trinke das bittere Zeug mit hastigen Zügen.
So langsam geht es mir besser. Klappernde Geräusche dringen peinigend an mein Ohr, doch wenig später zieht ein wohltuender Kaffeeduft durch den Raum.
Maria hat noch immer ihren Frotteeturban auf dem Kopf und lächelt mich an. Vorsichtig setze ich mich auf und schaue sie fragend an.
„Was ist passiert?“
„Eigentlich nichts. Ihr wart mal gerade 10 Minuten weg, und da kamst du schon wieder. Gesagt hast du nichts, aber einen Schnaps nach dem anderen hast du gekippt, bis zum bitteren Ende.
Der Heinzel wollte dich schon vor die Tür setzen, aber ich konnte ihn überreden, dich bis zur Sperrstunde in eine Ecke zu verfrachten, denn Geld für ein Taxi hattest du nicht mehr.
Na ja, und da habe ich dich eben mit zu mir genommen. War ja nicht so weit.“
Ist mir das peinlich! Hoffentlich habe ich mich einigermaßen benommen. Ich stelle einen kompletten Filmriss bei mir fest. Aber wie bin ich in den Pool gekommen? Alles nur Einbildung, nur ein Traum?
Das gibt es doch gar nicht. Aber ich liege hier, in einem Bett. Also muss es schon so sein.
Ich muss einen bemitleidenswerten Eindruck machen. Maria schaut mich freundlich an.
„Die beiden hatten wohl andere Pläne. So was soll ja vorkommen.“
„Und hier? Bei dir? Muss ich mich für irgendetwas entschuldigen?“
„Keine Sorge. du warst sehr pflegeleicht. Und da ging gar nichts“, fügt sie mit einem Lächeln hinzu.
Ich rappele mich endgültig hoch. Meine Sachen bis auf die Unterwäsche liegen ordentlich zusammengelegt auf einem Hocker, und ich ziehe mich vorsichtig an. So richtig bin ich in der Welt noch nicht wieder angekommen.
Ich schleiche zum Tisch und nehme dankbar den heißen Kaffee entgegen. Mann, oh Mann, so eine Scheiße!
Nach einer schweigsamen Viertelstunde stehe ich auf.
„Ich glaube ich gehe jetzt besser.“
Maria erhebt sich ebenfalls und ich nehme sie zum Abschied in die Arme. „Danke. Wie kann ich das nur wieder gut machen!“
Sie schüttelt nur leicht den Kopf und ihre warmen dunklen Augen sehen mich freundlich an. Ein Küsschen rechts und links auf die Wangen.
„Hast du Lust mit mir Essen zu gehen? Ich lade dich ein.“
Ihre Augen leuchten, wenn sie lächelt.
„Gerne.“
„Ok, ich melde mich bei dir.“
Noch eine zärtliche Umarmung und ich mache mich auf den Heimweg.
Draußen ist es frischer Vormittag und nach einer kurzen Orientierung schlage ich den Weg zu unserer Tiefgarage ein. Hoffentlich geht das gut, bei dem Restalkohol im Blut.
Aber es geht gut, und nach einer halben Stunde bin ich zu Hause.
Ich kann immer noch nicht glauben was passiert ist.
Ein verkatertes Restwochenende steht mir bevor.
Zwei Wochen später in der Reha.
Mitunter waren die Erinnerungen wiedergekommen.
Offenbar hatte Silke nach Verlassen des Mexikaners doch der Mut zum Abenteuer verlassen. Jedenfalls wollte sie nicht mehr mit und winkte sich ein Taxi heran.
Leon hatte die gleiche Richtung und stieg mit ein. Ein schneller Abschied, und weg waren sie.
Was sollte einem da schon anderes in den Sinn kommen, als zurück in die Kneipe.
Nach so einer verkorksten Geschichte vergräbt man sich am besten in der Arbeit. Die Routine lenkt ab und lässt den inneren Frust so langsam verstummen, obwohl ja eigentlich außer einem Essen gehen nichts versprochen war.
Wir sind hier in unserer Einrichtung echt gut ausgestattet und machen alles, angefangen von den reinen Reha-Maßnamen bis hin zu Wellnessleistungen und Schönheitspflege. Je nach Geldbeutel eben.
Meine Bekannten faseln immer von meinem tollen Job.
Da kannst du schöne Frauen wieder einrenken und massieren und so.
Doch der Alltag sieht anders aus. Die meisten Probleme haben nun mal die Älteren und Alten, und so sehen auch die Patienten aus. Selten ist mal „was für’s Auge“ dabei, doch auch dann gilt es strenge Disziplin zu halten, keine Regungen, nur freundliches, kühles Therapeut-Patient-Verhältnis, sonst ist der Job ganz schnell weg, für immer.
Es ist später Nachmittag und nur noch ein paar Patienten sitzen im Wartezimmer. Ich mache gerade eine kurze Kaffeepause. Marianne, meine Kollegin, steckt den Kopf zur Türe rein. Kommst du mal, dein Typ wird verlangt, eine Daniela Schröder verlangt nach dir. Sie hat deine Karte.“ „Daniela Schröder? Kenne ich nicht. Sag ihr, ich komme gleich.“
Noch ein paar Züge an der Zigarette und den letzten Schluck Kaffee, dann gehe ich zur Annahme.
„Hallo Ralf“, und ein bezauberndes offenes Lächeln.
Jetzt bin ich doch etwas perplex. Dani, die Freundin von Silke steht am Tresen und hält mir eine Überweisung hin.
„Mein Arzt hat mir noch mal 10 Einheiten aufgeschrieben, und da ich deine Karte noch hatte, bin ich halt mal zu euch gekommen.“
„Hallo Dani.“
Ich nehme ihr den Zettel ab. Fango, Massage und Dehnübungen am rechten Oberschenkel, stehen da in fachärztlicher Schmiererei.
„Kein Problem. Willst du gleich heute anfangen? Ist nämlich nicht mehr viel los.“
„Wenn es geht, gerne.“
„Ok, setz dich da solange hin, ein Weilchen wird es noch dauern.“
Ich schreibe sie noch schnell ein und rufe den nächsten Patienten auf.
Im Behandlungsraum sieht mich Marianne mit so einem verstehenden Blick an, als wüsste sie etwas.
„Deine neue Private?“
Ich winke nur ab.
“Nein, Kasse.“
Die soll nur nicht dumm rumquatschen. Sie ist schon über 50 und hört ihrer Meinung nach das „Gras wachsen.“
Na soll sie von mir aus.
Nach etwa 20 Minuten bin ich soweit und rufe Frau Schröder rein.