Der Wischmopp
Ich verbrachte den restlichen Vormittag mit meinem Buch, das bisher ein kärgliches Dasein in Vergessenheit gefristet hatte. In den Garten wollte ich mich nicht setzen, weil immer noch ein schlechtes Karma von José ausging. Die untere Wohnung war ebenfalls tabu, weil Maria herumwirbelte. Trotz meines guten Gehörs konnte ich sie nicht genau orten. Sie schien überall gleichzeitig dem Schmutz und Chaos Beine zu machen.
Als sie im Erdgeschoss fertig war, hörte ich, wie der Lärm kurz darauf die Treppe hochkam. Eilig notierte ich mir einen leiseren Staubsauger für meinen nächsten Aufenthalt.
Dann klapperte es im Nebenzimmer und kurz darauf musste ich mich in Deckung bringen, um nicht von Maria abgestaubt zu werden.
Schließlich verkündete sie, dass sie die Wäsche schon sortiert aber erst abends machen wolle, wenn José nicht mehr zwischen den Leinen herumwuseln konnte. Über Nacht würde sie dann schon so trocknen, dass sie gleich morgen früh das Bügeleisen schwingen könne. Es klang irgendwie nach Entschuldigung, obwohl ich mich mit keiner Silbe beschwert hatte.
Treuherzig schaute sie mich an: Ich muss mich noch ein bisschen frisch machen. In diez Minuten bin ich fertig. Können wir dann los?
Tjoa, warum nicht?
Keine Viertelstunde später klopfte sie an meine Tür. Was da vor meinem Zimmer wartete, hatte ich so nicht erwartet. Seit ich vor einer Woche angekommen war, hatte sie sich immer recht schick unter Weglassen oder Hinzufügen von Kleidungsstücken herausgeputzt. Und nun stand vor mir eine graue Maus, die kaum unscheinbarer sein konnte. Sicher, Maria war eine Frau, der man Putzlappen umhängen konnte und sie wäre immer noch als Schönheit zu identifizieren gewesen, hier war es nicht anders, aber sonst? Ihre wunderschöne Mähne hatte sie zu einem strengen Zopf zusammengebunden, von Make-up keine Spur, das Kleid musste sie ihrer Oma gemopst haben.
Sie sah meinen zweifelnden Blick und schien sogar recht zufrieden damit zu sein.
Okay, dann fahren wir mal los, brachte ich recht tonlos raus.
Genau in diesem Augenblick flog gegenüber die Tür auf: Andrea stand im Rahmen. Es dauerte eine halbe Sekunde, bis sie verstand, wer neben mir auf dem Flur stand.
Heilige Scheiße! Nee, Maria, so gehst du mir nicht aus dem Haus! Es hörte sich so an, als habe man die Dublette einer besorgten Mutter vor sich. Du bist eine Schande für das gesamte Haus! Willst du die jungen Leute erschrecken? Zieh dir was Vernünftiges an!, setzte sie ihre Parodie fort, meinte es aber durchaus ernst.
Zuerst wusste Maria nicht, wie sie darauf reagieren sollte, dann machte sie ein betrübtes Gesicht. Das ist schon gut so.
Nein, isses nicht. Du siehst wie ein ausgewrungener Wischmopp aus.
Das ist hier so. Man macht sich nur zum Ausgehen hübsch, ... wenn eine Fiesta ist, ... wenn man nach Alicante oder Benidorm in die Disco fährt.
Willst du mich verarschen? Was soll der Scheiß? Nun hatte Andrea allmählich genug.
Man soll keine Männer provozieren, kam es tonlos über Marias Lippen.
Sagt wer? Was ist das denn für ein abgefuckter Bullshit?
Das verstehst du nicht, Andrea. Das hier ist ein Dorf. Wenn mich jemand sieht, und meinem Papa erzählt, dann gibt es Ärger.
Jetzt mach mal einen Punkt! Keiner will, dass du im kurzen Fummel auf hohen Hacken die Straße rauf- und runterläufst, aber als Vogelscheuche brauchst du dich auch nicht verkleiden. Wenn sie dich so in ein Feld stellen, dann bringen die Vögel das Korn vom letzten Jahr zurück.
Maria sah mich flehentlich an, aber ich konnte Andrea nur zustimmen.
José hat doch längst gesehen, wie du dich hier anziehst und letzte Woche waren wir zusammen in Santa Pola. Da hast du doch auch was Anderes angehabt.
Unglücklicher konnte ein Mädchen kaum aussehen. Ich glaube, für einen Augenblick quoll eine einzelne Träne bei ihr hoch.
Andrea nahm Maria einfach an die Hand und bugsierte sie wieder zurück in ihr Zimmer. Das Letzte, was ich hörte, waren Andreas tröstende Worte Wir werden was finden. Dann schloss sich die Tür und ich stand wie Klein-Doofi mit Plüschohren auf dem Flur.
Kalte Küche und ein Reibeisen
Ich wartete unten im wunderbar aufgeräumten Wohnzimmer. War es wirklich erst ein paar Tage her, dass ich dort mit Maria einen wunderschönen Abend verbracht hatte? Donnerstagabend, um genau zu sein. Da, auf dem Sofa hatten wir uns geliebt.
Die Kissen lagen ordentlich, allerdings ohne den militärischen Drill, den sie im Haushalt meiner Eltern angenommen hatten. Gemütlich sah es aus. Ein bisschen Wehmut kam auf.
Tatsächlich war es Maria gelungen, die gemeinsam verursachten Flecken weitgehend zu tilgen. Leichte Schatten, die man ohne Weiteres auf Lichtspiele zurückführen konnte, wenn man es nicht besser wusste, waren geblieben. Sie zeigten mir, dass ich mich nicht irgendwelchen Wunschträumen hergab. Alles war real gewesen.
In einer Woche würde ich wieder in meinem normalen Alltagstrott zurückfallen, zu viel arbeiten, weil niemand auf mich daheim wartete, doch die schönen Stunden würde mir keiner mehr nehmen können.
Vielleicht sollte ich einfach öfter mal eine kleine Auszeit nehmen. Meine kleine Tochter hin und wieder entführen und einfach mal Papa sein. Patricia fehlte mir sehr. Ob sie mich auch manchmal vermisste? Und ihre Mama?
Wenn ich das richtig zusammenbrachte, dann war Beate auch nicht glücklich mit ihrem René geworden.
Seufzend musste ich mir eingestehen, dass ich an allem schuld war. Dabei hatte ich damals doch nur für meine Traumfrau sorgen wollen. Es hatte an nichts fehlen sollen. Deswegen hatte ich mich reingehangen, Karriere gemacht, Geld verdient und unser Nest gebaut. An welcher Stelle war ich falsch abgebogen, wo war mir das Gleichgewicht abhandengekommen? Wo war der Punkt gewesen, an dem die Waage kippte, an dem es Beate nicht mehr möglich gewesen war, mit mir als Mann und Vater unserer Tochter zusammenzuleben? Wie viele Zeichen hatte ich ignoriert? Wahrscheinlich waren es Massen gewesen. Am meisten beschäftigte mich die Frage, ob ich, wenn ich aufmerksamer gewesen wäre, eine reelle Chance gehabt hätte, die Beziehung zu retten.
Die Umbauarbeiten an Maria zogen sich hin. Mal hörte ich, wie Andrea laut wurde, dann wieder energische Proteste von Maria. Mir konnte es eigentlich egal sein, was die beiden da ausknobelten. Schließlich hatte ich Urlaub. Ich genoss einfach mein Nichtstun und studierte die Einrichtung, während ich allmählich von Spinnweben überzogen wurde.
Als endlich ein Kompromiss ausgehandelt war, beide erschöpft die Treppe herunterkamen und aussahen, als hätten sie gerade nach einem nächtlichen Verhandlungsmarathon den EU-Haushalt unter Dach und Fach gebracht, zeigte ein Blick auf die Uhr, dass sich unsere Ankunft in Santa Pola um weitere zweieinhalb Stunden verzögern würde. Es war nicht meine Erfindung, dass die spanische Gesellschaft als eingefleischter Anhänger einer ausgiebigen Siesta angesehen wurde.
Was für die Geschäfte im Ort galt, hatte auch Josés Leben geprägt. Das Letzte, was ich in den nachfolgenden hundertfünfzig Minuten von ihm sah, war eine fliegende Zigarettenkippe, deren Ziel ein Blumenbeet war. Beim zweiten Tritt knatterte das Moped und verpestete die Luft mit seinen Abgasen.
Und jetzt? Eine überaus kluge Frage von Andrea.
Wir fügen uns den Landestraditionen, schlug ich vor, hielt dann aber inne und erinnerte mich daran, dass Andrea ja von ihrem Ursprungsplan abgehalten worden war. Was hattest du eigentlich vor, als du vor ... einiger Zeit aus dem Zimmer gekommen bist? Du wolltest uns sicher keine gute Reise wünschen.
Stimmt. Kohldampf! Dabei rieb sie sich über den Bauch und verbreitete die Aura einer ausgehungerten Wölfin.
Maria schaute von einem zu anderen und drehte sich um.
He, wo willst du hin?
Ihr wollt essen, ich zieh mich um und mache was in der Küche.
Nix da!, schaltete sich Andrea ein. Eine Scheibe Brot mit Wurst oder Käse und ein Joghurt tun es doch auch.
Mitten in der Bewegung hielt Maria an. Wenn wir das noch haben ... Dann bog sie in Richtung Küche ab. Wir plünderten gemeinsam die Speisekammer und ergänzten die gerade gefutterten Dinge auf Marias Liste.
Gut gesättigt fläzten wir uns im Schatten auf die Liegestühle und warteten auf unseren Zweitakt-Wecker.
Ich hatte gerade die Vorhänge vor mein innerliches Auge gezogen, da vibrierte mein Handy in der Hosentasche. Wenn das nun wieder der unbekannte Anrufer war, dann würde ich ausrasten. Wer immer dahinter steckte, und ich gelobte mir mehr denn je, dass ich es herausfinden würde, konnte mit einer Gardinenpredigt rechnen.
War er aber nicht. Stattdessen hatte ich George am Rohr.
Hallo Stefan er sprach es als Steven aus hier ist George.
Oh, die Reibeisenstimme aus dem Vereinigten Königreich, gab ich noch etwas missmutig über meinen unterbrochenen Schlaf zurück.
Hörst dich reichlich verpennt an.
Danke der Nachfrage.
Mir auch. Also: Die Jungs stehen Gewehr bei Fuß. Die Mädels freuen sich auch schon. Weißt du schon Genaueres?
Nein. Mein spanischer Gärtner versucht, ein Fischerboot zu organisieren. Wenn das nicht klappt, nehme ich einen normalen Kahn. Wegen der Nachsaison habe ich aber keine Bedenken, dass etwas schief gehen könnte. Habt ihr etwas über den Überraschungsgast herausgefunden?
Inzwischen waren natürlich die beiden Damen aus ihrem Dämmerschlaf aufgewacht und versuchten herauszubekommen, über was ich mit wem redete. Ich dachte nicht im Traum daran, auch nur ein bisschen ihre Neugier zu reduzieren, und da sie beide kein Englisch sprachen, konnten sie zwar davon ausgehen, dass es mit der Band zu tun haben könnte, mehr aber auch nicht.
Du meinst Fernando? Nein. Maggie und Sally waren zwar fleißig, konnten aber noch nichts erreichen. Angeblich war niemals ein Fernando am Buffet eingeteilt. Aber so schnell geben die beiden nicht auf.
Okay, bleibt da am Ball. Ich schick dir und Maggie eine SMS, wenn sich hier die Angelegenheit verdichtet. Im Groben dachte ich, dass wir so gegen elf von Santa Pola aus losschippern und irgendwann abends zurückkommen. Passt das bei euch?
Fein. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?
Ja, sagte ich, nachdem ich einen Moment lang gegrübelt hatte, vielleicht könnt ihr Gina und Florentine abholen?
Es wird uns ein Vergnügen sein.
Oh ja, das konnte ich mir vorstellen. Ich hätte diesen Vorschlag allerdings nicht gemacht, wenn nicht auch Sally und Maggie dabei gewesen wären, obwohl ich meinen beiden Engeln durchaus zutraute, sich die Jungs vom Leibe zu halten.
Okay, dann funke ich die beiden mal an. Doch mir gefiel nicht, dass ich hier mal wieder als Durchlauferhitzer agieren sollte. Erst würde ich Floh anrufen, dann wieder George, dann wieder Floh ... Das drohte zu einem Perpetuum mobile zu werden. Quatsch das machen wir anders: Hol mal einen Stift. Ich gebe dir die Nummer von Florentine durch. Dann könnt ihr das unter euch ausmachen.
Schon wenige Sekunden später meldete er sich wieder. Den Stift hätte ich jetzt. Worauf soll ich schreiben?
George?
Ja?
Ist mir egal. Also notier dir mal folgende Nummer ...
Nachdem das erledigt war, beendeten wir das Gespräch und ich fühlte zwei sehr, sehr neugierige Augenpaare auf mir ruhen.
Is was?
Wer war denn das?, erkundigte sich Andrea betont gelangweilt.
Ein Bekannter, grinste ich scheinheilig zurück, Und wir haben uns über das Wetter unterhalten. Innerlich drehte ich ihr eine Nase.
Nee, is klar, und meine Oma heißt Olav. Das war doch einer der Jungs von der Band, oder?
Möglicherweise, Andrea. So richtig elegant war diese Ausflucht nicht, aber nachdem meine letzte Überraschung frühzeitig ihr Geheimnis verloren hatte, wollte ich nun nicht mehr preisgeben. Mal ne Gegenfrage: Könnt ihr schweigen?
Zwei sehr hübsche Köpfchen mit funkelnden Augen senkten sich ruckartig und wollten wohl so eine Bestätigung aussprechen.
Seht ihr: ich auch!
Grummelnd drehten sie sich wieder zurück in ihre Stühle und überlegten sich, unter welcher Folter ich geständig werden würde. Angesichts Andreas Erfahrungen hätte ich ihr da durchaus mehr zugetraut, aber es kamen nur relativ harmlose Ansätze heraus, die einem CIA-Agenten in Guantanamo höchstens ein spöttisches Lächeln entlockt hätten. Aber vielleicht wollte Andrea Maria nur schonen, um sich nicht noch mehr zu verunsichern.
Null-null-Stefan und Miss Marple
Dem fröhlichen Pläneschmieden meiner beiden Mädels war es zu verdanken, dass ich noch einmal wegdämmerte und erst aufwachte, als José tatsächlich ankam. Sofort war ich hellwach und mit einem Satz aufgesprungen. Mir war klar, dass ich zwar die Vorwitzigkeit von zwei auf der Terrasse verbliebenen Wesen durch mein Verhalten richtig anheizte, aber ich brauchte nur einen kleinen Vorsprung für den Fall, dass sie mir folgten.
Als aus dem Auspuff seiner alten Kreidler die letzte toxische Wolke ausgestoßen war und das Motorgeräusch erstarb, stand ich schon neben José.
Ich habe gerade zwei Hobby-Ermittlerinnen auf den Fersen. Warst du erfolgreich?
In aller Seelenruhe griff sich José in die Hemdtasche, holte seine Fluppen hervor, steckte sich eine ins Gesicht und kramte dann einen Zettel aus seiner Hosentasche, den er mir mit einem Zwinkern per Handschlag übergab. Ich fühlte mich wie in einem billigen Agentenfilm, aber es machte Spaß.
Danke.
Gerade noch rechtzeitig verschwand das Papierstück wiederum in meiner Hosentasche.
Während José mit einer blauen Wolke an seinen Arbeitsplatz im Garten zurückkehrte, zog ich mich auf ein stilles Örtchen zurück, um seine Notiz zu lesen. Der Name des Schiffs stand darauf, eine Telefonnummer ebenfalls und eine dreistellige Zahl, die wohl der Preis für den Ausflug sein sollte. Ich fand das Entgelt in Ordnung, war mir aber nicht sicher, was es beinhaltete. Daher beschloss ich nachher, wenn ich Maria abgesetzt hätte, schnell einmal das Schiff zu begutachten und mit etwas Glück konnte ich dabei die offenen Fragen klären. Ansonsten würde ich am Abend ein Telefonat führen.
Den Zettel brachte ich auf meinem Zimmer in Sicherheit und schob ihn unter den Laptop. Dann wollte ich Maria aufscheuchen, aber sie stand schon mit einer großen Einkaufstasche am Fuß der Treppe.
Du verheimlichst doch etwas?
Ich? Nie!
Und warum bist du dann gerade auf dein Zimmer gegangen?
Weil ich den Schlüssel fürs Auto holen wollte?, entgegnete ich mit Unschuldsmiene.
Maria hob ihre rechte Hand, öffnete sie und entlarvte mich damit als schlechten Lügner. Denn darin steckte der Schlüssel, der, wie immer, am Haken im Flur gehangen hatte.
Okay. Lassen wir das, versuchte ich abzulenken. Es geht um übermorgen. Mehr sage ich nicht.
Sie lächelte. Oh Mann. Für dieses Lächeln hätte ich sie meucheln können. Ich war überführt worden. Andrea hatte ich ja schon mal als Sherlock Holmes bezeichnet, zu Maria fiel mir nun Miss Marple ein und hatte auch gleich die Melodie im Kopf. Dazu gefiel mir die Idee, dass ich dann ja so was wie Mister Stringer, ihr Partner im Film, sein musste. Vergnügt pfiff ich das Thema, als ich die Treppe hinunterging.
Kleine Angriffe
Wir verabschiedeten uns von Andrea und machten uns auf den Weg. Wenn ich gewusst hätte, was mich erwarten würde, dann hätte ich sie vielleicht mitgenommen, aber so nahm das Schicksal seinen Lauf.
Gerade noch hatte ich die Einfahrt zu meinem Häuschen sehen können, da verschwand es hinter einer Kurve.
Der Rocksaum, der eben noch züchtig ihre Knie bedeckte, schien an einem Gummiband zu hängen und krabbelte etwa auf Höhe des halben Oberschenkels. Himmel, was war das für eine paradiesische Aussicht!
Ich musste befürchten, in der nächsten Kurve einen Abflug zu machen, wenn sie mir noch länger präsentiert wurden. Also griff ich beim nächsten Schalten nach dem selbstständig agierenden Textilstück und wollte es wieder an seinen Platz bringen.
Dass ich damit Maria voll auf dem Leim gegangen war, merkte ich, als meine Hand abgefangen und sich urplötzlich unter ihrem Rock befand.
Sofort trat ich Kupplung und Bremse, lenkte mit meiner freien Hand das Auto an den Straßenrand und guckte Maria strafend an.
Mache ich dich etwa nervioso? In ihren Augen schimmerte etwas Triumphales durch.
Ja, gab ich zu, um mich im gleichen Moment zu korrigieren. Nein ... das kannst du nicht machen. Wenn uns einer entgegenkommt?, versuchte ich einen mehr als unsicheren Tadel.
Es sieht keiner, dass du deine Hand da hast, Stefano. Eindeutig ein Treffer für die schwarzhaarige Madonna neben mir.
Während ich erklärte, dass das wohl kaum der Punkt sei, sondern mir mein, ihr und das Leben anderer wichtiger wären, als eventuell von jemandem dabei gesehen zu werden, wie meine Hand unter ihrem Rock etwas Unsittliches anstellte, lief der Motor im Standgas weiter.
Maria war clever genug, ihren nächsten Angriff planvoll vorzubereiten: Sie zog die Handbremse an und die Schlüssel ab, wobei sie mich mit ihrem Blick fixierte.
Was soll das?, empörte ich mich.
Du hast gerade gesagt, dass es dir egal sei, wenn dich jemand sähe, wie du einen Finger in meine Vagina steckst.
Nein, habe ich nicht! Ich will keinen Unfall bauen.
... während du mich ...
Woher hatte sie das bloß, dass sie mir jedes Wort im Mund umdrehte? War Andrea schon so abgefärbt? Eine andere Erklärung hatte ich in dem Moment nicht, aber wenn ich es mir heute so überlege, dann war ihr Verhalten so klar wie ein Gebirgsbach.
Mir klappte auf jeden Fall der Mund auf und Maria nutzte die Situation schamlos aus, indem sie sich zu mir hinüberbeugte und frech ihre Lippen auf meine presste. Ihre Haare fielen mir ins Gesicht und der Kuss fühlte sich so verdammt gut an, dass ich für wenige Sekunden vergaß, zu protestieren. Dann jedoch schob ich sie von mir weg.
Maria! Was soll das?, fragte ich sie atemlos.
Nun zuckte sie zurück, als hätte ich sie geschlagen. Augenblicklich schossen ihr die Tränen in die Augen. Verdammt! So verletzlich, wie sie war, musste ich sie gleich wieder in die Arme nehmen und über ihren Kopf streicheln.
Was ist bloß los mit dir?, stellte ich die gleiche Frage, aber deutlich leiser.
Du bist bald wieder weg nach Alemania und wirst mich verlassen, schluchzte sie mir ins Ohr. Ich will doch nur dich.
Nun ergossen sich wahre Sturzbäche über meine Schulter. Wie sollte ich sie trösten? Alles, was sie sagte, entsprach der Wahrheit. In ein paar Tagen würde ich im Flieger sitzen und sie nicht mitnehmen. Mir fiel nichts ein, was ich ihr hätte sagen können, ohne ihre Hoffnungen zu beflügeln oder sie zu verletzen. Ich konnte nur dieses zitternde und weinende Wesen festhalten.
Ich weiß, dass du deine Frau liebst, aber sie ist nicht da. Sie hat dich mit Patricia verlassen. Lass mich deine Frau sein. Vielleicht, eines Tages, wirst du mich so lieben, wie du sie geliebt hast.
Ihre Worte versetzten mir einen brennenden Stich ins Herz. Es klang schon sehr verzweifelt, aber in meinem Leben hatte sie nur den Platz, den sie momentan einnahm. Maria war mir zwar ans Herz gewachsen, aber mehr, als ich ihr hier in den letzten Tagen gegeben hatte, konnte ich ihr nicht bieten. Sie würde nie Beates Stelle einnehmen, einnehmen können. Dazu war ich nicht bereit. Nicht vom Kopf, nicht vom Bauch her. Das hätte ich ihr sagen müssen, doch ich traute mich nicht.
Stattdessen klopfte ich ihr zärtlich auf den Rücken und nahm ihr den Schlüssel ab.
Wir müssen einkaufen, sonst verhungern wir noch. Einen so lauen Scherz hatte ich selten gemacht. Dann wühlte ich aus dem Handschuhfach ein altes Päckchen Taschentücher heraus und gab es ihr stumm.
Ich wartete so lange, bis sie ihre Augen getrocknet hatte, dann startete ich den Motor und fuhr nach Santa Pola.
Agua con gaz
Nachdem ich Maria abgesetzt und ihr versprochen hatte, sie dort wieder abzuholen, fuhr ich hinunter zu der Stelle im Hafen, wo ich das Schiff vermutete. In der Avenida Granada konnte ich das Auto abstellen und ging in den Jachthafen. Fündig wurde ich dann aber bei den Fischerbooten auf der anderen Seite.
Die La Paloma war ein Kahn, den ich in meinem Alter schätzte. Durchaus gut in Schuss. Noch ein Punkt, den er mit mir teilte, wie ich grinsend feststellte. Das weiß gestrichene Schiff war sicher länger als zehn Meter, hatte vorne ein Deck und hinten auch eins. Dort waren auch die Vorrichtungen, um die Netze auszulegen und den Fang einzuholen, was gleich meine Fantasie beflügelte: ein Schleppnetz voll mit Nixen ...
Leider lag es verwaist am Kai, aber für einen ersten Eindruck reichte es erst einmal. Von zu Hause aus würde ich dann abklären, wie das Thema Verpflegung aussah. Mir war es gleich, ob wir unser Zeug nun mitbrachten oder auf Küche und Bar an Bord zurückgreifen konnten.
Als ich Maria abholen wollte, war sie noch nicht da. Ich wartete einige Minuten, dann wurde es mir doch zu dumm. Wer weiß schon, ob sie nicht jemanden getroffen hat?, dachte ich mir. Schließlich war sie aus der Gegend und ich konnte daher annehmen, dass sie auch einige Leute kannte. Wozu hätte sie sich sonst heute Morgen so angestellt?
Zum Glück lag gegenüber unserem Treffpunkt in der Nähe des Castillo Fortaleza ein kleines Straßencafé, in dem ordentlich was los war. In einer etwas versteckten Ecke fand ich noch einen freien Tisch, von dem ich einen guten Blick auf den vor mir liegenden Platz hatte. Wenn Maria auftauchen würde, konnte ich sie problemlos abfangen.
Kaum fünf Minuten später stand ein heißer Kaffee vor mir und seine kräftigen Röstaromen stiegen mir in die Nase. Ich ließ die Seele etwas baumeln, schüttelte nochmals meinen Kopf über Marias Attacke und schaute den Passanten hinterher. Trotz Krise ließen es sich die Spanierinnen nicht nehmen, sich schick zu kleiden und mancher Anblick entlockte mir ein anerkennendes Lächeln.
Gerade hatte ich meinen obligatorischen Löffel Zucker im dampfenden Heißgetränk verrührt und den Löffel abgeleckt, da schien sich das Wetter zu ändern. So kam es mir wenigstens vor. Die Köpfe drehten sich in eine Richtung. Sicher nicht alle, aber es waren auffällig viele. Besonders bei den männlichen Gästen wurde es merklich ruhiger. Ich glaube, einige vergaßen sogar, dass sie gerade telefonierten.
Als ich den Blicken folgte, war mir sofort klar, warum. Eine adrette Dame, sommerlich luftig gekleidet, steuerte auf das Café zu. Ihre dunkelblonden Haare flatterten im leichten Wind unter dem weißen Hut und hinter einer großen, dunklen Sonnenbrille konnte man nur die fein gezupften Augenbrauen bewundern. Sie setzte sich in die erste Reihe, rief den Kellner und sonnte sich in der Bewunderung der Besucher.
Nachdem sich die ersten sattgesehen hatten, stieg der Geräuschpegel langsam wieder an. Die Gespräche und Telefonate wurden fortgesetzt, doch immer wieder ging ein verstohlener Blick in ihre Richtung, wie ich lächelnd feststellte.
Kaum, dass ihr Wasser serviert worden war, griff sie zu ihrer Handtasche und holte ihr Handy hervor. Automatisch ging auch meine Hand zum mobilen Kommunikationsgerät. Nennen wir es Intuition, dass ich es rasch auf stumm schaltete, denn in der nächsten Sekunde vibrierte es in meiner Hand. Unbekannter Anrufer stand im Display. Jetzt würde derjenige, oder soll ich besser sagen: diejenige, sich aber mächtig wundern.
Ich stand auf, ließ es klingeln und schob mich durch die engen Stuhlreihen, bis ich an dem Tisch in der ersten Reihe ankam. Mein Schatten fiel genau auf ihr Gesicht.
Hallo Beate!
Die Angesprochene zuckte zusammen.
Habe ich dich also erwischt, grinste ich belustigt und hielt ihr mein Handy unter die Nase.
Stefan, so ein Zufall.
Genau. Du kannst die Gebühren sparen und gleich mit mir sprechen.
Oh, ich fühlte mich gerade unwahrscheinlich überlegen. Da sie mir keinen Stuhl anbot und mein Kaffee nun ruhig kalt werden konnte, setzte ich mich einfach ungefragt an ihren Tisch, in dem ich einen Stuhl hervorzog, ihn umdrehte und meine Arme auf der Lehne ablegte.
Hast du in den letzten Tagen versucht, mich zu erreichen?
Vielleicht bin ich versehentlich an einen falschen Knopf gekommen ...
Beate, im Flunkern warst du noch nie gut. Aber vielleicht helfe ich deiner Erinnerung auf die Sprünge. Gestern am späten Abend, heute Morgen gleich zweimal und gerade eben.
Beate nippte an ihrem Agua con gaz und blickte unschuldig über den Brillenrand. Ich lachte mir ins Fäustchen. Das hatte sie schon immer gemacht, wenn ich ihr auf die Schliche gekommen war und sie nach einer plausiblen Ausrede suchte.
Neulich abends war richtig nett, eröffnete sie das Spiel geschickt. Dagegen konnte ich nichts sagen. Und?
Ich dachte, wenn du schon hier unten bist, ..., ach vergiss es.
Was soll ich vergessen? Ich kann mich an nichts erinnern, was ich vergessen könnte. Weder im Guten noch im Schlechten.
Du bist ja anderweitig beschäftigt. Es klang angesäuert und spielte eindeutig auf mein Geständnis von neulich an.
Im Moment nicht, wie du siehst.
Allein unterwegs? Beate versuchte ungeschickt ihre Neugier zu tarnen, indem sie ihr Handy wieder in der Tasche verstaute.
Nicht ganz. Ich warte auf Maria. Sie ist einkaufen. Ich soll sie hier wieder abholen.
Immer noch der Shopping-Muffel?
Nun war es an ihr, zu grinsen. Ja, ja, abgesehen von den Pflichteinkäufen zum Geburtstag, zum Hochzeitstag oder zu Weihnachten hatte ich es immer vermieden, ein Geschäft von innen zu betrachten. Selbst Klamotten ließ ich mir während unserer Beziehung von Beate kaufen. Sie kannte meine Größe und hatte Geschmack. Warum sollte ich dann ihr Vergnügen beschneiden? Ich gebe es ungern zu, aber einmal habe ich sogar meine Sekretärin losgeschickt, um für Patricia ein Geschenk zu besorgen.
Es geht um Verpflegung für drei Personen, und das sollte diejenige machen, die auch kocht.
Von Beate kam ein wissendes Lächeln. Nie um eine Ausrede verlegen.
Danke gleichfalls. Also: Was dachtest du dir, weil ich nun gerade hier unten in Spanien bin?
Mit einer sinnlichen Bewegung führte sie ihr Wasserglas an ihre Lippen und entfachte in mir den Wunsch, gerne mit dem Glas tauschen zu wollen.
Ich dachte, wir könnten uns vielleicht mal einen Abend treffen, um über Patricia zu reden.
Ach so, ja gut. Wenn es um Patricia geht ... Ich war enttäuscht, weil ich eigentlich gehofft hatte, dass sie über uns beide reden wollte. Meine Erwartungen, dass sie möglicherweise zu mir zurückkehren wollte, hatten mit dem eigentlichen Thema einen Dämpfer erhalten.
Wie geht es ihr? Wo ist sie eigentlich?
So weit geht es ihr gut. Sie entwickelt sich prächtig. Sie lächelte, als sie von unserer Tochter sprach. Meine Mutter kümmert sich um sie.
Ihre Mutter, meine Ex-Schwiegermutter, war nicht unbedingt die Lösung, die mir als Babysitterin vorschwebte. Wir hatten uns anfangs nicht so gut verstanden, im Laufe der Jahre aber zusammengerauft, aber nach der Scheidung flüsterte sie Patricia Sachen ein, die immer zu meinen Lasten ausgingen. Sicher, in einigen Punkten hatte sie wohl kaum unrecht. Als Ehemann hatte ich versagt, bessere Väter gab es an jeder Ecke, aber ich war kein schlechter Mensch. Egal, was meine Schwiegermutter sagte: Ich liebte meine beiden Prinzessinnen.
Beate sah, was in meinem Kopf vorging. Ich weiß, dass du sie nicht magst, aber wäre es dir lieber gewesen, ich hätte Patricia bei René gelassen?
Natürlich nicht, aber sie redet oft schlecht von mir in Gegenwart der Kleinen.
Ich habe mit ihr gesprochen und klargemacht, dass wir immer noch Freunde sind. Was sie dir vorwirft, ist das Gleiche, was ich auch immer gesagt habe: Du warst nicht da. Immer ging dein Job vor. Du hast keine Ahnung, wie sich das für mich angefühlt hat. Mama hat oft gesehen, wie ich gelitten habe, wenn ich Patricia wieder einmal sagen musste, dass der Papa arbeiten muss, wenn sie nach dir fragte.
Ich schluckte und setzte eine reuige Miene auf.
Wenn du mehr als Lippenbekenntnisse zustande gebracht hättest, ...
Was dann? Wenn ich weniger gearbeitet hätte, wäre alles gut gewesen? Ist es das? Eine etwas simple Lösung für ein komplexes Problem. Warst du es nicht, die mich ermuntert hat, mich auf den Job zu bewerben? Ich höre heute noch deine Worte: Wenn es einen gibt, der das kann, dann bist du das. Stimmts? Und als ich die Stelle bekam, hast du die Party zur Beförderung ausgerichtet und überall erzählt, wie stolz du bist. Das Haus war deine Idee. Woher sollte denn die Kohle kommen?
Sie nickte, machte aber eine traurige Miene dabei. Ich wusste nicht, dass es der Anfang vom Ende war.
Das ist doch Blödsinn.
Ist es nicht. Natürlich war ich stolz darauf, dass du es geschafft hast. Natürlich wollte ich ein Haus, in dem unsere Kinder aufwachsen können. Aber vor allem wollte ich, dass du glücklich bist. Du wolltest nicht in der zweiten Reihe den Karren aus dem Dreck ziehen müssen, den die hohen Herren reingefahren haben. Du wolltest und konntest es besser machen. Deswegen habe ich dir den Rücken gestärkt. Ich dachte, es reicht mir, dich zu unterstützen. Ich habe mich getäuscht. Verdammt! Ich brauchte dich genauso wie deine Firma. Zum Schluss kamst du irgendwann abends heim und hast mich gar nicht mehr wahrgenommen. Wenn ich Glück hatte, dann gab es einen Gute-Nacht-Kuss und am Sonntag lief mal was zwischen uns. Über Probleme haben wir uns überhaupt nicht mehr unterhalten. Patricia kannte dich doch nur noch von Bildern. Stefan, das ist mir zu wenig. Ich bin eine Frau und brauche auch mal ein Kompliment, eine starke Schulter zum Anlehnen, jemanden, der mir zuhört, der mich auch mal verführt. Ich bin weder hässlich noch dumm.
Tja, damit ist dann wohl alles gesagt. Ich bin an allem schuld, gab ich leise zurück.
Jetzt bist du es, der es sich ein bisschen einfach macht. Sie machte eine Pause, nippte an ihrem Glas und schaute mich an. Weißt du, setzte sie wieder an, weißt du, was mich am meisten verletzt hat? Du hast nicht um mich gekämpft, als ich dich verlassen habe. Du hast einfach dein Scheckbuch gezückt und das wars dann. War ich dir so egal, war ich es nicht wert?
Meine Kehle war zugeschnürt. Dabei wäre es der richtige Moment gewesen, ihr meine Liebe zu gestehen, sie anzuflehen, es noch einmal mit uns zu probieren. Tausend Gedanken wollten auf einmal hinaus, sodass es am Ende nur ein klägliches Kopfschütteln wurde.
Ich riss meinen Blick von ihr los und sah auf der anderen Straßenseite jemanden mit einem Haufen von Einkaufstaschen stehen. Maria. Sie musste schon eine ganze Weile da stehen und uns beobachtet haben. Trotz ihrer Bräune schien sie aschfahl im Gesicht zu sein.
Ich muss los.
Beate war meinem Blick gefolgt. Ist das einer deiner Gespielinnen?
Mich ärgerte der herabwürdigende Ausdruck. Und wenn es so wäre? Werfe ich dir vor, dass du mit René schläfst? Wir sind geschieden.
Hastig stand ich auf und ging ohne Abschiedsgruß zu meinem Tisch zurück, um zu bezahlen.
Einsam am Abend
Die Rückfahrt verlief schweigend und zu Hause verschwand Maria, gleich, nachdem sie die Einkäufe verstaut hatte, auf ihr Zimmer. Ich brauchte nicht zu raten, dass es ihr nicht gut ging. Aber auch ich war fertig. Der Tag war so komplett anders gelaufen, als ich es mir vorgestellt hatte.
Ich flüchte mich ins Organisatorische und verschickte die SMS an George und Maggie, bevor ich die Nummer wählte, die mir José aufgeschrieben hatte.
Als abgenommen wurde, nannte ich meinen Namen und schilderte mein Anliegen. Auf Deutsch. Dumm nur, dass der Mann am anderen Ende der Leitung meiner Sprache nicht mächtig war. Mist! Ich saß in der Zwickmühle. Jetzt hätte ich José oder Maria gebraucht, nur dass José Feierabend hatte und Maria aus bekannten Gründen nicht zur Verfügung stand. Nach einem Moment der Ratlosigkeit verabschiedete ich mich höflich und rief José zu Hause an.
Freundlicherweise, wenn auch ein wenig knurrend, übernahm er die Verhandlungen und rief mich kurz darauf zurück. Gegen einen angemessenen Aufpreis war sein Kumpel bereit, Essen und Trinken zu stellen. Zumindest das war geregelt.
Als es Zeit für das Abendessen wurde, schlich ich mich herunter in die Küche. Von den Mädchen war nichts zu sehen. Zu essen stand auch nichts bereit.
Ich ging wieder hoch und horchte nach Lebenszeichen. Nichts. Das Klopfen an Andreas und Marias Zimmertüren brachte auch nichts. Schließlich überwand ich mich und steckte meinen Kopf in ihre Zimmer. Sie blieben verschwunden.
Allmählich wurde ich unruhig. Wo steckten die beiden? Im Haus jedenfalls nicht. Aus diesem Grund erweiterte ich mein Suchgebiet auf den Garten. Terrasse und Pool lagen verlassen. Nun wurde es mir zu bunt. Ich rief abwechselnd ihre Namen, aber es tat sich nichts. Dann eben nicht.
Noch einmal spähte ich in der Küche nach Futter, machte mir ein paar belegte Brote und zog mich mit einer Flasche Rotwein auf mein Zimmer zurück.
Mir war nicht klar, was da vorging. Hatte ich etwas falsch gemacht oder waren die Damen einfach zu einem Ausflug aufgebrochen, den sie nicht angekündigt hatten? Auch das zweite Glas des schweren spanischen Rotweins brachte keine Erleuchtung.
Dafür schwemmte die Erinnerung die letzten Worte Beates nach oben, kurz bevor ich Maria gesehen und aufgebrochen war: ... weißt du, was mich am meisten verletzt hat? Du hast nicht um mich gekämpft, als ich dich verlassen habe. Du hast einfach dein Scheckbuch gezückt und das wars dann. War ich dir so egal, war ich es nicht wert? Warum hatte ich mit einem Kopfschütteln reagiert? Es war so dumm. Beate musste glauben, dass sie es nicht wert war. Mein Gott! Dabei wollte ich ihr doch sagen, dass sie mir nicht gleichgültig war, dass ich einfach in einen schwarzen Schacht gefallen war, wo ich kein Licht mehr gesehen hatte. Ich seufzte schwer.
Mein Handy schien mich verhöhnen zu wollen, wie es auf dem Schreibtisch lag. Die unbekannte Anruferin hatte mit mir über unsere Tochter sprechen wollen, rief ich mir ins Gedächtnis. Das hatten wir nicht getan. Wir hatten uns gestritten, aber das eigentliche Thema war nicht angeschnitten worden. Beate hatte sich mit mir verabreden wollen. Vielleicht war das der Grund gewesen, aber sicher hätten wir das auch noch nach unserem Urlaub in Deutschland besprechen können. Warum also hier? Warum eine Verabredung, die an einem Abend mit guten Essen stattgefunden hätte? Ich konnte mir nicht helfen, aber es sah eher nach einer diplomatischen Annäherung auf neutralem Boden aus. Ganz langsam keimte in mir ein Verdacht auf.
Ich langte gerade nach meinem Handy, als es an der Tür klopfte.
Gesellschaftsnachmittage
Fluchend verwarf ich meinen gerade gefassten Entschluss und öffnete die Tür. Schon wollte ich lospoltern, dass ich mir Sorgen gemacht hätte, da sah ich mich zwei grimmig dreinblickenden Gestalten gegenüber.
Wir müssen reden!, eröffnete Andrea das Gespräch.
Allerdings. Wo habt ihr eigentlich die ganze Zeit gesteckt? Ich habe mir richtig Sorgen gemacht.
Nee, ist klar. Wahrscheinlich hat dich dein schlechtes Gewissen wegen Maria gezwickt.
Bei der Erwähnung ihres Namens guckte Maria traurig weg.
Warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben? Ich habe meine Frau zufällig im Café getroffen und mit ihr geredet. Steht das jetzt schon unter Strafe?
Darum geht es nicht.
Schön! Warum dann?
Lass uns rein und wir erklären es dir. Ist ja wohl kein Thema, dass man zwischen Tür und Angel besprechen sollte.
Noch bevor ich etwas antworten konnte, schoben sich Andrea und Maria an mir vorbei ins Zimmer. Erst jetzt bemerkte ich einen kleinen, alten Reisekoffer, den Andrea feierlich auf den Schreibtisch stellte.
Kennst du den?
Er kam mir vage bekannt vor, aber mit mir hatte er nichts zu tun. Deshalb antwortete ich ehrlich, dass ich ihn schon gesehen hätte. Dann erinnerte ich mich. Stand er im Gartenhäuschen?
Allerdings. Da habe ich auch Maria gefunden.
Nun wusste ich wenigstens, wo die beiden gesteckt hatten, konnte mir aber immer noch keinen Reim darauf machen, weswegen dieses Ding Gesprächsbedarf bei den beiden ausgelöst hatte.
Andrea ließ die Kofferschlösser aufspringen, nahm ein dickes Notizbuch heraus und gab es mir.
Erkennst du die Handschrift?
Einen Moment lang brauchte ich, um sie zu identifizieren. Es musste sich um Beates Tagebuch handeln. Ganz eindeutig.
Es gehört wohl meiner Ex-Frau.
Es gehörte deiner Ex-Frau, verbesserte mich Andrea. Sonst hätte sie es wohl kaum zurückgelassen.
Moment! Was willst du damit sagen?
Beate ist wie lange von dir geschieden? Lange genug, würde ich sagen. Wenn sie wert darauf gelegt hätte, dann hätte sie es längst zurückgefordert.
Etwas war an Andreas wirrer Theorie dran, aber es bestand immerhin die Möglichkeit, dass sie ihn schlicht vergessen hatte, worauf ich Andrea auch hinwies.
Na schön. Dann hat sie vor Jahren etwas vergessen. Wenn man etwas vergisst, kann es nicht wichtig gewesen sein. Zumindest nicht für die Person, die es vergessen hat. Es kann aber auch etwas ganz Anderes dahinterstecken, orakelte Andrea.
Und was soll das sein?
Sie wollte, dass du ihn findest.
Andrea, was ist das für eine wirre Fantasie?
Sie beachtete meinen Einwand gar nicht, entwendete mir das Notizbuch wieder und schlug die erste Seite auf. Gedanken für Stefan ...
Gib das her!, forderte ich empört.
Warte! Der Untertitel lautet: Dinge, die ich ihm nicht erzählen kann. Selbst wenn ich dir das Buch jetzt gebe, wir haben längst darin gelesen. Andrea grinste frech in meine Richtung.
Jetzt war ich richtig sauer. Ihr solltet jetzt schleunigst abhauen!, flüsterte ich. Und lasst euch bis morgen früh nicht mehr blicken. Das ist ein Vertrauensbruch, den ich euch nicht zugetraut hätte. Raus!
Maria schaute mich noch trauriger an als eben. Dann nahm sie Andrea das Buch aus der Hand und gab es mir. Ich bitte um Verzeihung!
Dann lief sie mit einem lauten Schluchzen aus dem Zimmer. Andrea mit einem Achselzucken hinterher. Ich würde trotzdem gerne mit dir darüber reden.
Das werden wir. Worauf du dich verlassen kannst.
Als die Tür von Andrea zugezogen worden war, setzte ich mich auf den Bettrand und begann zu lesen.
Nie hätte ich mir vorstellen, einst eine solche Beichte in mein Tagebuch zu schreiben, aber mein Gewissen will entlastet werden. Beginnen will ich damit, dass ich schon einige Zeit mit Stefan in dem schönen Haus gewohnt habe. Patricia war gerade auf der Welt und sie nahm mich zwar ganz schön in Anspruch, aber durch das Kindermädchen hatte ich genügend Freiraum. Mehr als genug. Stefan war oft lange auf der Arbeit und er hat mir selbst empfohlen, dass ich mir Hobbys zulegen sollte.
Damals begann ich also mit dem Tennisspielen. Mit mir begann Ruth den Tennisunterricht und nach einigen Stunden spielten wir zwar nicht gut, aber für uns beide reichte es zum Auspowern. Kaum war unser Match aber vorbei, hatte sie es meistens ziemlich eilig, wegzukommen.
Eines Tages fragte ich sie, warum sie immer so schnell wegmüsse. Wir könnten ja auch zusammen den restlichen Nachmittag verbringen. Sie guckte mich an und grinste. Ein anderes Mal vielleicht.
Ein paar Wochen später lud sie mich dann auf einen Kaffee ein. Bei dem Gespräch, das sie steuerte, kam schnell das Thema Sex auf. Ganz offen erkundigte sie sich, ob ich genug bekäme. Genauso offen antwortete ich, dass ich mit Stefan viel zu selten welchen hätte.
An der Stelle schluckte ich. Mir war nie in den Sinn gekommen, dass Beate zu kurz gekommen sein könnte. Bei genauerer Betrachtung allerdings ... Ich las weiter.
Ruth lächelte wissend. Du bist nicht die einzige Frau eines erfolgreichen Manns, die vernachlässigt wird. Obwohl es sich nach einem billigen Erotikroman anhörte, hatte Ruth wohl recht. Sie treffe sich regelmäßig mit ein oder zwei Freundinnen. Ob ich einmal mitkommen wolle. Im ersten Moment war ich erleichtert, denn ich hatte befürchtet, dass sie mir einen Liebhaber oder Call-Boy vorschlagen wollte. Doch dann stellten sich mehr Fragen als zuvor. Ruth lächelte nur. Du kannst es dir überlegen.
In der Woche darauf hatte ich meine Entscheidung gefällt. Ich war einfach neugierig, was passieren würde. Stefan war gerade mal wieder auf einer mehrtägigen Tagung, da wurde ich für einen Samstag zu einem Treffen eingeladen. Damit verbunden war die Bedingung, dass ich meine beste Unterwäsche anziehen solle. Schon früh wurde ich von Ruth abgeholt. Nach ein paar Kilometern hielt sie auf einem Parkplatz an und verband mir die Augen mit einer Schlafmaske. Wir hatten das vorher ausgemacht. Wenn ich regelmäßig kommen wollte, dann sollte ich mich nach dem Samstag zur Verschwiegenheit verpflichten. Dann würde ich erfahren, wo die Treffen stattfänden. Ansonsten würde ich zurückgebracht.
Für mich dauerte die Fahrt ewig, obwohl wir vielleicht höchstens eine halbe Stunde unterwegs waren. Schließlich hielt Ruth an und brachte mich ins Haus. Wo es sich befindet, werde ich nicht sagen, aber als ich die Maske abnehmen durfte, war ich von der Einrichtung ganz angetan.
Die anderen waren schon da. Ich nenne sie einfach mal Nathalie und Jessica. Nathalies Mann war an der französischen Botschaft beschäftigt und Jessica war die Frau eines amerikanischen Managers, der in Deutschland lebte und arbeitete.
Mir fiel auf, dass alle drei die gleichen kurze, schwarze Röcke und halbtransparente Blusen trugen, unter denen sich ihre BHs abzeichneten.
Zur Begrüßung gab es einen großen Cocktail, den wir im Wohnzimmer tranken. Schnell war ich ein bisschen beschwipst, und den anderen schien es auch nicht anders zu ergehen. Sie kicherten wie ich, bis Nathalie aufstand und ein paar Kistchen holte. Jessica, deren dunkle Hautfarbe einen reizvollen Kontrast zu ihrer weißen Bluse bildete, ging an den Fernseher, um ihn einzustellen. Dann legte sie eine DVD ein und kurz drauf begann ein Film zu laufen. Nathalie reichte jeder von uns ein Kistchen und setzte sich zu Jessica.
Ich war nicht geschockt, als ich auf den Bildschirm guckte und zum ersten Mal nach langer Zeit einen Porno sah. Der letzte war ziemlich billig gewesen, was ich von dieser Produktion nicht sagen konnte. Ruth und ihre Freundinnen begannen, sich zu streicheln, während ich gleichzeitig angezogen und abgestoßen ihnen dabei zusah. Es wird nicht verwundern, dass der Film für mich in den Hintergrund trat, denn was ich an jenem Nachmittag zu sehen bekam, entsprach dem vollen Klischee, das in entsprechenden Büchern und Filmen immer wieder propagiert wurde.
Die erste Szene war vielleicht etwa zur Hälfte gelaufen, da zogen sie sich allmählich bis auf die Unterwäsche aus. Nun kamen auch die Kistchen ins Spiel. In ihnen befanden sich verschiedenste Spielzeuge für große Mädchen. Ich selbst besaß damals nur einen kleinen Dildo, den ich schon mal nutzte, wenn ich abends auf Stefan wartete. Diese Sachen waren anders. Alle aus sehr edlen Materialien hergestellt und sicher nicht billig. Ruth favorisierte einen Godemiché aus Glas, die kleine Französin nutzte einen Vibrator aus schwarzem Kunststoff und Jessica legte sich einen Schmetterling an, der mit verschiedenen Riemen befestigt wurde.
Als ich mein Befremden langsam in den Griff bekam, spürte ich, wie sehr mich die Atmosphäre in ihren Bann zog. Es war Ruth, die mich ansprach, dass ich mitmachen solle. Ich dürfe alle Spielzeuge benutzen, die gerade frei wären. Vorher solle ich mich aber ausziehen. Zwar spürte ich sofort meine Scham, aber als einzige Angezogene kam ich mir auch wie ein Fremdkörper zwischen den anderen vor. Ich begann mich langsam vor ihren Augen auszuziehen und sie spendeten mir leisen Applaus. Wie eine Burlesque-Tänzerin drehte ich mich. Den BH hatte ich bereits ausgezogen, aber ich wollte die Show noch toppen, indem ich mich vor ihnen mit gespreizten Beinen auf den niedrigen Couchtisch kniete. Nicht gerade meine genialste Idee, weil die drei Freundinnen begeistert auf den feuchten Fleck in meinem Slip reagierten.
Hastig beendete ich meinen Auftritt und die anderen nahmen gleich auch wieder ihre Selbstliebkosungen auf. Ich war heiß und schob meine Hand in den Slip, um mich zu streicheln. Animiert von dem leisen Stöhnen um mich herum, beobachtete ich Ruth aus den Augenwinkeln dabei, wie der Glaskolben zwischen ihren Beinen verschwand. Der Anblick weckte in mir das Verlangen, es ihr gleich zu tun. Ich überwand meine Hemmungen, zog auch das verräterische Höschen aus und inspizierte das Kästchen, was mir Nathalie überreicht hatte.
Aus dem Sortiment sprach mich ein Massagestab an, der weder zu groß noch zu dick oder sonst etwas war. In meiner Hand fühlte er sich gleich vertraut an, sodass ich ihn schließlich auch mit ein bisschen Gel befeuchtete und mich ihm hingab.
Ich war so vertieft darin, mich immer mehr dem Gipfel zu nähern, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, dass sich die drei anderen Frauen vom Sofa auf einen großen Teppich verlagert hatten, wo sie sich nun gegenseitig unterstützten. Im Klartext: Ruth hatte Jessica ihren Schmetterling abgenommen und stieß mit zwei Fingern in sie hinein. Jessica übernahm einfach Nathalies Vibrator und diese wiederum den Dildo von Ruth.
Erst als ich einen ruhigen aber kraftvollen Höhepunkt erreicht hatte, sah ich den drei bei ihrer Beschäftigung zu. Wieder dachte ich, dass es Zeit sei, zu gehen, und wieder blieb ich zunächst in der Betrachterrolle. Doch schließlich gab ich mir einen Ruck und gesellte mich zu ihnen.
Mit einem Lächeln wurde ich aufgenommen und von da an gehörte ich zu ihnen.
Ich las noch, dass Beate am gleichen Tag mit allen Frauen geschlafen hatte, und dass sie, immer wenn es ihre Zeit erlaubte, an den Gesellschaftsnachmittagen dienstags und samstags teilgenommen hatte.
Starker Tobak! Meine Frau Beate gab sich der lesbischen Liebe mit anderen Frauen hin. Das entwarf ein völlig neues Bild von ihr, eins, das ich nicht kannte und mich ein bisschen beunruhigte. Und warum das Ganze? Die Antwort hatte sie gleich eingangs gegeben: weil sie einsam war.