Mein Feindbild entsteht
Nach all den vielen Jahren, kann ich mich noch immer sehr gut an meine Schulzeit entsinnen.
Heute noch, sorgen die Erinnerungen an jene Zeit dafür, das mir, an Tagen an denen ich schlecht drauf bin, Tränen in die Augen steigen. Tränen der Wut, Tränen der Enttäuschung und Tränen die der Antrieb für meine fortwährende Rache sind.
Immer dann, hole ich diesen kleinen vergilbten, schon arg zerknitterten Zettel aus meinen Portmonee, auf dem handgeschrieben Namen stehen. Die meisten sind Namen meiner damaligen > Schulkameraden <.
Ein paar davon sind durchgestrichen. Diese zu lesen, bringen meine Tränen dann aber rasch wieder zum versiegen und zaubern mir statt dessen ein schadenfrohes, nein, ein teuflisches Lächeln auf meine vollen, verführerischen, roten Lippen.
Die anderen sorgen dafür, dass sich meine Hände zu Fäusten balle. So fest, dass die Knöchel weiß hervortreten > Euch kriege ich irgendwann auch noch <, zische ich dann in meiner Wut und packe den Zettel wieder weg.
Ich, Karin, war schon im Kindergarten ein kleines Moppelchen aber mit einem sehr hübschen Gesicht und langen, blonden Zöpfchen.
In diesem Alter achten Kinder, zumindest war es damals noch so, recht wenig auf Äußerlichkeiten. Ich hatte viele Freunde im Kiga und war sehr beliebt.
Dies sollte sich aber schlagartig ändern als ich in die Schule musste.
Schon in der ersten Klasse wurde mir > Du fette Sau < an den Kopf geworfen und zwar genau von dem Jungen, Lothar, dessen Name ich dann voller teuflischer Genugtuung als erstes auf meiner Liste mit einem roten Stift durchgestrichen habe.
Je älter ich wurde, um so ordinärer und aggressiver wurde ich von meinem Mitschülern wegen meiner üppigen Figur gemoppt.
Aufgrund meiner Fettleibigkeit kam ich relativ bald in die Pubertät. Viel früher als die anderen Mädchen meiner Klasse. Die nach außen hin sichtbaren Veränderungen meines Körpers machten mich jetzt noch mehr zur Zielscheibe für das Gespött der Jungs.
Aus den verbalen Übergriffen wurden mit der Zeit ungeniertes Gegrapsche. Das Ganze hatte aber damals, wir waren ja erst in der fünften Klasse, noch keinerlei sexuellen Hintergrund. Sie nannten es immer > Schinken klopfen < und > Speck zwicken < und die > fetten Pechsau < ärgern.
Ich war jedes mal wie paralysiert, nicht mal ansatzweise fähig mich zu wehren und ließ alles über mich ergehen.
Was mich dann aber am meisten enttäuschte, war letztendlich das Verhalten meiner Mitschülerinnen.
Irgendwie stand ich, zwar völlig ungewollt, aber dennoch, bei den Jungs mit den > größten Klappen < den > coolen Typen < halt, fast immer im Mittelpunkt.
Es gab drei Mädchen, Birgit, Susanne und Astrid, die damals schon ein krankhaft übersteigerte Geltungsbedürfnis hatten und die ebenfalls auf meinem Zettel notiert sind. Den Drein war es ein Dorn in den Augen, dass mir, der > dicken Kuh < soviel Aufmerksamkeit zu Teil wurde.
> Was wollt ihr bloß immer von dieser schmierigen, fetten Sau...< hörte ich sie oft genug hetzen.
Doch die Jungs nahmen ihr Gegeifer gar nicht wahr. So wollten lieber Spaß mit der > dicken Kuh <.
Rasch wurden, die angeborenen Waffen einer Frau zum Einsatz gebracht. Lügen wurden über mich verbreitet, üble Nachrede wurde mir angedichtet und schon bald waren alle Mädchen gegen mich aufgehetzt. Bis auf die dicke Elisabeth und die mehr als mollige Ramona.
> Wir Dicken müssen doch zusammenhalten < meinte Elisabeth immer.
Ich schätze die beiden, für ihren Beistand in jenen Tagen, auch heute noch sehr.
Ich bin gewiss kein Freund von Sprüchen wie > Dick ist gleich doof < Aber bei den Beiden trifft dies leider voll und ganz zu.
Aber zu diesem Zeitpunkt hat dieser Spruch auch ganz gut für mich selbst gepasst. Meine schulischen Leistungen waren aufgrund dessen, was mir in der Schule alles widerfuhr, dermaßen abgesackt, das sogar meine Versetzung zeitweise gefährdet war.
Deswegen hatte ich jetzt zu allen Überfluss, auch noch Stress mit meinen Eltern.
Irgendwann nah ich dann mal meinen ganzen Mut zusammen und bat meinen Lehrer, Herrn Rauh, um Hilfe. Er war damals noch sehr jung und pädagogisch eine absolute Niete.
> Ach Mädchen, du bist doch selber Schuld, friss nicht so viel, dann bist du auch nicht das Gespött der ganzen Klasse. Ich kann dir auch nicht helfen und weist du, petzen ist für mich sowieso das Allerletzte... <
Wortlos und mich völlig unverstanden fühlend, verließ ich mit Tränen in den Augen das Lehrerzimmer. Draußen holte ich meinen Zettel hervor und zu notierte auch seinen Namen.
In der sechsten Klasse machten wir einen Schulausflug nach Nürnberg in den Tiergarten.
Der Bus ergatterte auf einem geschotterten Parklatz den letzten freien Stellplatz. Leider war ausgerechnet neben dem Ausstieg eine große, schmutzige Pfütze.
Als ich an der Reihe war auszusteigen ertönte hinter mir die ungeduldige Stimme von Erika > Ja jetzt mach doch endlich. Los beweg deinen fetten Wabbelarsch <
Ich fühlte wie ich geschupst wurde und fiel zur Tür hinaus, genau in die dreckige Pfütze.
Im nu stand meine ganze Klasse um mich herum, sie zeigten mit den Fingern auf mich und bogen sich vor Lachen.
Birgit kniff grinsend ein Auge zu und streckte > Daumen hoch < Erika den Arm entgegen.
Da wusste ich, dass ich mit Absicht geschubst wurde.
> Was ist denn hier...< Herr Rauh schob sich durch die johlende Menge >...na klar, hätte ich mir ja denken können. Karin. Wieder mal! So nehme ich dich aber nicht mit in den Zoo, sonst sperren die dich noch zu den Hängebauchschweinen ins Gehege <
Ich musste alleine beim Busfahrer auf dem Parkplatz warten und hab die ganze Zeit geheult.
Zuhause schrieb ich dann auch Erika auf meine Liste.