So ist das nun mal. Als alleinerziehende Mutter hat man es nicht unbedingt leicht. Schon gar nicht, wenn der Sprössling, um den man sich liebe- und verständnisvoll kümmern soll, gerade mal sechzehn Jahre und weiblich ist! Neben allen anderen Problemen, die man als allein stehende Frau Ende Dreißig so hat, kommen noch die Sorgen, die einem pubertierende Mädchen bereiten. Damit meine ich nicht, dass Nina eine Null-Bock-Einstellung gehabt hätte. Keinesfalls! Sie besuchte das Gymnasium in der Nachbarstadt und war eine wirklich gute Schülerin. Also, kein Grund zur Sorge.
Und, was mir fast noch wichtiger war, sie war keine Rumtreiberin. Sicher, sie ging jetzt häufiger mal in die Stadt zum bummeln, traf sich auch hin und wieder mit ihren Freundinnen auf ein Eis, oder ins Kino, aber ansonsten war sie doch sehr häuslich. An Jungs zeigte sie bisher wenig, bis gar kein Interesse und ich wusste, dass ich mich im Zweifel auf sie verlassen konnte.
Ich hatte sie früh aufgeklärt und als sich die Anzeichen der Pubertät einstellten, hatte ich sie nach einem langen Gespräch zu meiner Ärztin mitgenommen. Als sie damals aus dem Sprechzimmer kam, wirkte sie etwas verstört und stieg ziemlich schweigsam in das Auto ein. Erst am Abend, als ich schon im Bett lag, kam sie zu mir und kuschelte sich an meine Seite. Und erst nach langem Schweigen, sagte sie mir stockend, dass sie nie wieder zu so einem Arzt gehen würde. Ich musste die Beine ganz weit auseinander nehmen und die hat mich da unten angefasst. Das war ekelig! Sie schüttelte sich.
Nur langsam konnte ich sie beruhigen. Ihr zu sagen, dass es auch schön sein konnte, da unten angefasst zu werden, unterließ ich. Schließlich war sie damals erst zwölf. Ich erzähle das auch nur um zu erklären, dass solche Mutter-Tochter Diskussionen meist bei mir im Bett stattfinden. Wenn Nina sich mit etwas beschäftigt, kommt sie des Abends zu mir, kuschelt sich an mich und dann erzählt sie mir ihre Sorgen.
Ein wichtiges Wochenende lag vor der Tür. Ich weiß nicht wie lange vorher, uns schon dieser eine Abend beschäftigte. Da war zunächst die Frage, was sie anziehen würde. Diese Frage konnte man nicht einfach durch betrachten des Kleiderschrankes beantworten. Nein, hierzu mussten einige Konferenzen auf höchster Ebene stattfinden, was soviel heißen soll, dass Lisa, Marie, Sophie und Nelly in unterschiedlichen Besetzungen bei uns aufkreuzten und Ninas Kleiderschrank durchwühlten. Manchmal wurden Outfits zusammengestellt, die mir die Haare zu Berge stehen ließen. Wenn ich diese Gedanken vorsichtig zum Ausdruck brachte, sah ich in erstaunte Augen. Da fehlt natürlich noch ein Schal (Tuch, Kette Stola), aber die bringe ich morgen vorbei, sagte dann ganz bestimmt eine der Grazien.
Schließlich konnte ich es nicht mehr mit ansehen und ging mit Nina einkaufen. Klar, dass unsere Vorstellungen auseinander gingen, aber wir fanden dann doch nach einigen aufreibenden Stunden und mehreren Kilometer Fußmarsch ein Kleid, auf das wir uns einigen konnten. Wenn ich es genau nah, sah es an Nina richtig niedlich aus, fast schon wieder zu süß. Sie würde darin die Jungs anziehen, wie der Honig die Bienen.
Und da sind dir auch schon bei dem Problem, das ich habe. Es ist nicht Nina, die sich zu den Jungs hingezogen fühlt, sondern es sind die Jungs, die das Haus belagern. Jeden Tag erscheint ein neuer Kandidat, manchmal auch bedeutend ältere, die sich zwar höflich vorstellen, die aber dann doch zu Nina wollen. Nina tut dann meist sehr erstaunt, erklärt mir, wer die Herren sind und führt sie in die Mixed Zone, ins Wohnzimmer. Zumindest ist das so, wenn ich da bin. Aber da ich arbeite, weiß ich nicht so genau, was während meiner Abwesenheit geschieht. Also, wie gesagt, Nina zieht die Jungs magisch an.
Also, Freitag abend, der Abend vor dem großen Ereignis Abschlussball. Ich war rechtschaffen müde von der Arbeit nach Hause gekommen und hatte Ninas Zettel vorgefunden, dass sie mit Nelly und Lisa auf der Shoppingmeile sei und danach mit den beiden noch ins Kino wollte. Sie sei mit dem Bus um Zehn Uhr zu Hause. Kein Problem. Es passte alles! Zehn Uhr war ihre Deadline, also konnte ich nicht meckern.
In einem Haushalt gibt es immer was zu tun. Wäsche waschen, bügeln, putzen, aufräumen und dergleichen mehr. Also wurde mir nicht langweilig. Nur zu den Nachrichten setzte ich mich gemütlich und aß dazu meine Abendessen, bestehend aus einem kleinen Häufchen Salat, einem Joghurt und zwei Scheiben Brot. Danach holte ich die Wäsche aus dem Trockner und bügelte sie, das Bügelbrett vor dem Fernseher und Günther Jauch zuschauend, wie er mit seinen Fragen, die Kandidaten in die Verzweiflung trieb.
Bügeln und Fernsehsendung waren gleichzeitig fertig. Ich hatte mir schon bei der letzten Werbepause ein Bad einlaufen lassen und genoss die Entspannung in vollen Zügen. Bilder meines eigenen Abschlussballs kamen mir in den Sinn. Ich war damals so in etwa in Ninas Alter und auch ich war aufgeregt gewesen. Aus gutem Grund, wie sich später herausstellte. Hatte ich doch dort, auf dem Abschlussball, Rüdiger kennen gelernt. Rüdiger war bei der anderen Tanzschule gewesen. Das beide Tanzschulen in der Stadt Mittelparty und Abschlussball gemeinsam feierten, hatte sich seit ein paar Jahren eingebürgert.
Wie gesagt, Rüdiger war bei der anderen Tanzschule gewesen und somit hatten wir ein Problem. Als er mich ganz galant zum tanzen aufgefordert hatte, stellten wir ziemlich schnell fest, dass wir außer den Grundschritten, nichts gemeinsam tanzen konnten. Jeder der Tanzschulen lehrte andere Figuren. Nicht nur uns ging es so. Aber wir fanden einen Weg. Draußen im Foyer, brachten wir uns gegenseitig die notwenigen Schritte bei.
Ach ja, Rüdiger. Noch immer vermisste ich Ninas Vater. Nach dem Abschlussball hatten wir uns nie wieder ganz aus den Augen verloren. Wir trafen uns mal hier, mal dort zu den sonntäglichen Übungsnachmittagen. Und dann, ich weiß es noch genau, bei Mull Of Kintyre, einem langsamen Walzer, küsste er mich das erste Mal scheu auf den Mund.
Danach war nichts mehr, wie es vorher gewesen war. Jetzt waren wir kein Tanzpaar mehr, sondern das, was alle schon längst vermutet hatten, ein Pärchen. Händchen haltend spazieren gehen im Park. Scheue Küsse unterm Regenschirm in menschenleeren Straßen. Ein Arm, der sich sanft um einem legt, wenn man gemeinsam im Kino sitzt. Wir waren damals noch ziemlich anspruchslos und vielleicht auch etwas weiter zurück.
Unsere Freundschaft hielt, wurde anders, intensiver. Und trotzdem passierte zwei Jahre lang nicht mehr, als eben diese harmlosen Sachen. Erst nach der Abiturfeier, die wir beide am selben Tag, aber in verschiedenen Schulen hatten, passierte etwas. Rüdiger galt schon lange als mein Freund und meine Eltern hatten ihn und seine Eltern zu einem kleinen Umtrunk bei uns eingeladen. Als seine Eltern aufrechen wollten, wollte Rüdiger noch bleiben. Er würde zu Fuß nach Hause gehen. Wir beschlossen einen kleinen Spaziergang zu machen.
Und als wir wieder zu Hause waren und uns ganz klassisch im Hausflur küsste, geschah es. Zum ersten mal berührte er meine Brüste. Welch ein aufregendes Gefühl. Das Erregende, das Verbotene! Als er keinen Widerstand von mir spürte, wurde er mutiger und streichelte mich nun richtig. Ich spürte, wie sich meine Nippel stellten und wie es an anderer Stelle kribbelte. Doch soweit war es dann doch nicht.
Es dauerte noch fast einen Monat, bis wir wirklich zärtlich miteinander wurden uns streichelten und dann noch einmal fast einen Monat, bis ich keine Jungfrau mehr war. Wir studierten beide in der gleichen Stadt. Wir hatten zwar getrennte Wohnungen, aber natürlich waren wir immer beieinander. Ich glaube, jeder hat das gewusst, aber niemand hat etwas gesagt.
Nach dem Studium haben wir irgendwann geheiratet. Bald darauf wurde ich schwanger und nach 40 Wochen war Nina bei uns. Eine wirklich herrliche Zeit begann. Rüdiger war ein traumhafter Vater, der sich viel um seine Tochter kümmerte. Meist ließ er mich an den Wochenende ausschlafen und versorgte die Kleine, spielte mit ihr oder las ihr etwas vor.
Als Nina ziemlich genau vier Jahre alt war, kam sie eines Sonntagmorgens zu uns ins Bett gekrabbelt und legte sich zwischen uns. Als ich gegen zehn Uhr wach wurde, lagen eine schlafende Nina und ein toter Rüdiger neben mir. Rüdiger war in der Nacht einem sogenannten plötzlichen Herztod erlegen. Meinten die Ärzte. Von diesem Schock erholte ich mich lange nicht, aber das Leben musste weiter gehen und Nina brauchte mich.
Wie gesagt, ich lag träumend in der Badewanne und dachte an Nina und Rüdiger. Rüdiger. Ein toller Mann, ein aufopferungsvoller Vater und ein äußerst einfallsreicher und zärtlicher Liebhaber. Meine Gedanken gingen an manche Nacht zurück, in der wir keinen Schlaf gefundne hatten. Rüdiger konnte Sex zu einem Fest machen. Er liebte ein ausgiebiges Vorspiel, das nicht nur pro forma diesen Namen trug. Zumindest für mich. Denn Rüdiger ließ mich oft, sehr oft, schon dabei kommen und glücklich sein. Und Rüdiger liebte das Kuscheln danach, was oft genug auch wieder nahtlos in ein Vorspiel mündete. Rüdiger war mein erster Mann und bis zu seinem frühen Tod auch mein einziger Mann gewesen, aber ich hatte nie etwas vermisst.
Jetzt schon. Mit gerade mal achtunddreißig Jahren ist man noch nicht so abgeklärt, dass man keinen Sex mehr braucht. Aber es dauert doch schon eine Weile, bis man dieser Tatsache ins Auge sieht.. Als ich Witwe wurde, war ich sechsundzwanzig. In der ersten Zeit brauchte ich keinen Sex, wollte ich keinen Sex. Dann brauchte ich ihn, wollte ihn aber nicht. Es gab genügend Herren aus meinem Bekanntenkreis, die sich rührend um mich kümmerten. Verheiratete und Singles. Und manch einer sagte mir mehr als deutlich, dass er mit sich kümmern nicht nur meine Seele, sondern auch meinen Körper meinte.