Nachdem ich nun gestern alles gelesen hatte, was Ihr hier hinterlassen habt, bin ich doch erst einmal in die Badewanne und versuchte zu sortieren, was ich hier alles las. Es fällt mir immer noch schwer mich diesmal in die richtigen Worte zu legen, daher wird es eine kleine Geschichte, eine Episode meines Lebens sein, die etwas über Verbündete erzählt:
Ich bin in Luckenwalde, ca. 50 km südlich von Berlin im Sommer of 69 geboren worden und bezeichne mich selber gerne als Kind der Sonne. Ich bin also in der DDR groß geworden und die kleine Geschichte, die ich Euch heute erzähle, mit allem was ich darüber denke, kennt bislang nur meine Frau, zumindest, was meine Gedanken dazu angeht. Die Episode selber, kennen recht viele, da waren ja auch ein paar Menschen drin verwickelt und in dem kleinen Städtchen, in dem ich bis zu meinem 25.Lebensjahr wohnte, konnte man eh nichts verstecken. Bei ca. 6000 Einwohnern würde man heute von einer türkischen Großfamilie sprechen und tatsächlich kam mir das da auch oft so vor ...
Meine Eltern hatten in den 70`zigern die großelterliche Niederlassung übernommen; meiner Oma ging es nach dem Tod meines Opa´s nicht sehr gut und die 800 qm nebst Haus und Nebengelassen waren ihr halt zuviel. In den frühen 80´zigern Jahren musste nun das Dach der Doppelhaushälfte neu eingedeckt werden und bei den Vorarbeiten, dem Abriss sozusagen, tauchte eine mehr als 40 Jahre alte Handfeuerwaffe auf, die mein Opa wohl zur Zeit der Entwaffnung nach dem 2. Weltkrieg in einem öligen Tuch gewickelt, mit viel Schwung offenbar in die letzte Ecke der Traufseite des Daches warf. Eine Radom 9 mm Automatik, eine belgische Militärpistole, die gegen Ende des 2. Weltkrieges wohl zu den fortschrittlichsten Waffen gehörte, wie die Waffenexpertise später aussagte.
Bei uns allen, außer bei meiner Schwester, die davon nichts mitbekam, mache sich eine gewisse Faszination breit und statt das Ding zu der Zeit den Behörden zu übergeben, entschieden meine Eltern dieses Artefakt einzulagern, bis man dann genau wissen würde, wie man das Teil entsorgen würde. So geriet die Pistole ein wenig in Vergessenheit ... aber eben nicht für immer ...
Im Sommer 85, es war Anfang der Schulferien, war einer meiner Freunde zu besuch und wir hatten uns über irgendeinen blöden Film der Tage zuvor unterhalten, einen Film, in dem die Waffen im Halfter locker saßen und wie das so ist, ein Wort ergibt das Andere und ca. 30 Minuten später stehen wir auf unserem Hof und wickeln das trotz Öllappens verrostete Teil aus und schauen es uns genau an ... Der so genannte Freund war etwas Geltungsbedürftig und brauchte wohl immer einen extravaganten Auftritt und bot sich daher an, die Waffe zur Polizei zu schaffen und ich müsste mir keine Sorgen machen. Gesagt getan, drei Tage später holte er die Radom ab und in groben Zügen erklärte er, was er für eine Geschichte erzählen wollte.
7 Tage später besuchte mich dann unser Dorfsheriff und zumindest für erste nur im Schlepptau einen echten Kerl der Nachmittags sogar noch, oder eben gerade wieder eine fürchterliche Alkoholfahne vor sich herschob und sich dann mir gegenüber, die Säufernase mir ins Gesicht steckend, als der leitende Beamte einer Ermittlung im Bezug auf einen Verstoß zum Waffengesetzt outete. Ich möge ihnen doch folgen, man hätte da die Eine oder Andere Frage an mich. Auf dem Revier angekommen war dann mit der aufgesetzten Freundlichkeit Schluss und ich dürfte als erstes einen langen Bericht darüber schreiben, was ich über eine Pistole wüsste, wo die herkam blah blah blah blah ... Mit meiner ersten Abhandlung, die ich mir in 2 Stunden so rausquälte, war man nicht sehr zufrieden, immerhin wurde mir, statt einem Kaffe, oder einer Cola (lach Vitacola), der Knüppel aus dem Sack angeboten, an dem sich noch Hut- und Fleischreste des letzten Unwilligen befinden würden ... Ich habe dann mit etwa Geschick, na ja, der Kerl war halt besoffen, in etwa herausfinden können, was diese Nummer hier sollte und vor allem, von welchen Aussagen die ausgingen ... Da ging es mir auf Einmal ganz schlecht, denn der besagte Freund hatte nicht nur eine absurde abenteuerliche Geschichte erzählt, sondern in seiner Vernehmung auch noch so getan, als wäre ich ein Geschäftsmann, zumindest wenn es um Stich- und Handfeuerwaffen ging.
Nach ca. 8 Stunden endete dieser Tag mit einer Hausdurchsuchung zu Hause, die besagten Stichwaffen lagen ordentlich sortiert hübsch Nebeneinander im Besteckkasten und bis auf Papa´s Luftgewähr, war auch sonst nirgendwo was zu finden ... Diesen ekelhaften Säufer hab ich nie wieder gesehen, der Fall würde dann von höherer Stelle bearbeitet, wenn ich nicht irre, war der dafür zuständige Beamter sogar stellvertretender Bereichsleiter, oder sogar der Cheff direkt. Naja, das Unheil nahm dann seinen Lauf ... In dem Rest der Sommerferien war ich gut beraten mein Leben noch ein wenig zu genießen, denn ab September, dem neuen Schuljahr, würde ich noch mit ganz anderen Widerständen kämpfen müssen. Nun bin ich ja als 15/16 Jähriger quasi ein richtiger Rebell gewesen und die Einzigste, die immer noch einen Draht zu mir hatte und mich mal anrufen konnte, war meine Mutter. Noch kurz vor Ende der Ferien mussten dann meine Eltern ebenfalls zum Interviewtermin. Sie haben mir erst sehr viel später erzählt, was da gesagt wurde.
Wie erwartet, gab es dann in der Schule, einer sozialistischen polytechnischen Oberschule, von den Mitgliedern der SED Fraktion, sozusagen der gesammelten Lehrerschaft richtigen Druck, böse Vorwürfe, Argwohn und alles was man sich noch so denken konnte, nebst Androhungen dafür zu sorgen, dass ich in ein Heim für Schwererziehbare Querdenker man nannte das Jugendwerkhof, einzuweisen wäre. Ich schrieb auch keine normalen Arbeiten mehr und in Wirklichkeit hatte ich in der Schule nur einen Verbündeten, einen von dem ich nie erwartet hätte, dass er sich das ganze Jahr hindurch schützend vor mich stellen würde. Es war mein Russisch Lehrer, der sich doch sehr oft für mich einsetzte und es eben nicht darauf anlegte, mir zu zeigen, dass ich nichts können würde ...
Also ab September glich mein Zuhause eher einem Bienenstock, ständig kündigte sich irgendwer an, mal die Jugendgerichtshilfe, mal irgendwelche Sozialarbeiter, mal jemand aus der Schule und alle mussten irgendwelche Berichte anfertigen und stets und ständig kamen alle mit den selben blöden und bescheuerten Fragen um die Ecke, deren Antwort man nie so fassen konnte, dass am Ende nichts Negatives in diesen Berichten stehen würde. Es wurde eine gute Gewohnheit immer in Physik zu fehlen, weil da wieder jemand da war, der wie Columbo noch eine Frage hätte oder ich recht förmlich aussehende Einladungen von der KriPo bekam und das Septembergespräch, eines von wenigen Gesprächen, dass ich mit meinem Ermittler hatte, ist mir für immer im Gedächtnis geblieben:
An einem Dienstag Morgen im September musste ich zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen, lach, der Klassiker, Fotos mit Maßband an der Seite und Fingerabdrücke und und und. Aber bevor es da hin ging, hatte ich 8 Uhr bei meinem Ermittler ein Gespräch. Ein väterlicher Typ, zudem man schnell Vertrauen aufbauen konnte. Er erzählte mir dann, was meine Eltern zu Protokoll gegeben hatten und erzählte mir auch, wie es dazu kam:
Wenn man nämlich der Einleitung hier folgt, dann kommt man ja sehr schnell zu dem Schluss, dass das Verschulden (falls es da überhaupt jemals gab und nicht der so genannten Willkür entsprach), eigentlich ja auf der Seite meiner Eltern lag, aber eben nicht bei mir ... In der ersten Vernehmung mit dem Säufer hatte ich nämlich eine sehr plausible Geschichte erzählt, die sich in groben Zügen sogar an dem echten Geschehen orientierte, halt nur mit dem Unterschied, dass meine zu Hause Leute (Mama, Papa und Schwester) den Waffenfund überhaupt gar nicht mitbekommen hatten. Mir war in der ersten Vernehmung schon klar, dafür hatte der Säufer ja auch gesorgt, dass wenn ich hier bedingungslos die Wahrheit sagen würde, es schlimme Konsequenzen nicht nur für mich hätte. So hatte ich die Geschichte eben so dargestellt, wie ich es für den Moment erst einmal für richtig hielt, natürlich war ich mir über meine eventuellen Konsequenzen nicht wirklich im Klaren.
Der väterliche Ermittler konfrontierte mich mit der echten Wahrheit, die im Übrigen auch meine Eltern so sagten, die sich auch bei deren Interview damals schützend vor mich stellten, aber dieser Ermittler sagte dann nach einigen Stunden zu mir: René, wir bleiben bei der Geschichte, die Du erzählt hast. Geh jetzt erst einmal in die zweite Etage, in ca. 1 Stunde sehen wir uns wieder, da wird der Staatsanwalt da sein, der hat auch noch ein paar Fragen. Ich nickte und entschwand für eine Stunde.
Der Staatsanwalt hatte keine Fragen sondern ließ den Ermittler sprechen. Der Ermittler erklärte mir die Konsequenzen dessen, was hier entweder auf meine Familie bzw. auf mich zukommen würden, daneben saß immer der besagte Staatsanwalt, schaute und nickte etwas gelangweilt und wenn ich es nicht besser wissen würde, weil ich dabei war, würde ich sagen, der Typ hat ein Kreuzworträtsel gelöst. Aber irgendwann schaute er auf, sah mir direkt in die Augen und meinte: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Bevor ich mich dann verabschiedete, bekam ich eine Adresse eines Anwaltes, mit dem ich mich, bzw. meine Eltern sich unbedingt in Verbindung setzen sollten und falls es tatsächlich schon einen Anwalt geben würde, der meine Vertretung übernommen hätte, oder übernehmen wird, sollten wir zu diesem Anwalt wechseln.
Ich selber habe den Anwalt, der ebenso ein väterlicher sympathischer Typ war, nur zwei Mal gesehen. Beim allerersten Gespräch und am Tag der Sitzung, ansonsten wollte er immer nur mit meiner Mutter reden.
In der Folgezeit wurde es auch in der Schule hässlich, denn nicht überall konnte sich mein Russischlehrer reinhängen und hin und wieder hatte ich mir den einen oder anderen Stress auch selber zuzuschreiben. Eines Tages musste ich ins Sekretariat, gegen 10 Uhr und auf unserem Schulhof, ist mir diese Botschaft wohl mit Absicht erst 10 Uhr übermittelt worden, so war ich mal glatt 12 Minuten zu spät, dass zog ein riesen Tam Tam nach sich, mein Direktor, wohl der Führer der Kreisverwaltung der Staatssicherheit, hatte eh schon ein sehr unsympathisches Auftreten, aber an dem Tag schoß der einen noch größeren Vogel ab als sonst und donnerte mich, einen gerade 16 Jährigen wegen 12 Minuten derart zusammen, dass man mich danach hätte locker in einer Plastiktüte hatte raustragen können. da hörte ich aus dem Nebenzimmer eine bekannte Stimme die sehr ruhig aber sehr deutlich und unmissverständlich mit einem einzigen Satz den tobend wütenden Direktor seines Büros verwies, der im übrigen für die ganze folgende Gesprächszeit, immerhin 1 1/5 Stunden auf dem Schulhof stand und darauf wartete wieder in sein eigenes Büro gerufen zu werden. Ich schüttel heute noch mit dem Kopf, weiß ich auch heute noch nicht, wer da welche Position an welcher Stelle hatte,. wer da Inhaber von Macht war und diese gerade einsetze und weshalb ein ca. 45 Jähriger im Leben stehender Mann sich nicht getraut hat dem Verweis des eigenen Büros gegenzuhalten und sich damit auch vor mir total lächerlich machte ...
Im Nebenzimmer saß der Ermittler, der noch ein par Fragen hatte und auch sonst noch sehr viel zu erzählen hatte ...
Im Dezember dann war nun die Verhandlung. Offiziell geladen waren:
-Ich
-meine Eltern
-meine Klassenlehrerin
-eine Vertreterin der Klasse
- ein Sachverständiger
-Jugendgerichtshilfe
Am Morgen fragte mich meine Mutter, ob ich nicht lieber das FDJ Hemd anziehen wollen würde, Mama!!! war das einzigste was ich zu sagen hatte und es war klar, normale Klamotten.
Eine Woche zuvor bekam ICH Post von meinem/unseren Anwalt. In dem Brief bat er mich, mir die anliegend verschlossenen Fragen anzuschauen und mich darauf vorzubereiten, was ich auch tat.
Hexensabbat, würde ich sagen und ich stand auf dem Scheiterhaufen. Zu erst befragte mich der Staatsanwalt, der hatte sogar die Reihenfolge der Fragen, auf die ich mich vorbereiten sollte eingehalten. Dann fraget ein wenig mein Anwalt und gab sich besonders viel Mühe mich in einem doch recht guten Licht dastehen zu lassen. Dann würde etwas technisches zur Waffe vom Sachverständigen erzählt und zum Schluss hin, würde meine Klassenlehrerin befragt. Selbst Mutter von Kindern, selbst wissend, wie schwierig das manchmal sein kann, denn die Söhne waren gerade 1 und 2 Jahre älter und es gab nichts, was ich offenbar in den letzten 5 Jahren gut und richtig gemacht hätte. Eine Hasstirade von allerschlimmsten ging da über mich nieder, ich sei asozial, hätte ein schlechtes Umfeld, mein Elternhaus total zerrüttet, meine schulischen Leistungen unter aller sau, ich sei das Schlimmste was der Klasse passiert sei ... Ihr glaubt nicht, was ich da gehört habe und ihr glaubt noch viel weniger, was ich dann aus dem Munde der Vertreterin meiner Klasse hörte, da ging das Ganze weiter nur aus der Sicht des Klassenverbundes ...
Nach dieser Fragerei, hielten sich auch die Schöffen nicht mehr zurück und hackten vehement an dem Gesagten der Klassenlehrerin ein und fragten und fragten und fragten ...
Die Richterin begann die Verkündung des Urteils mit den Worten:
Das Gericht kommt nicht umhin ...
Heute weiß ich was das bedeutet, bei dieser Konstellation nämlich, dass die Meinung der Richterin durch die der Schöffen überstimmt wurde. Als sie dann das Strafmaß verlass (14 Tage gemeinnützliche Arbeit), hatte ich das Gefühl, dass sie mir zuzwinkerte ...
Mal zu der Geschichte, die der besagte Freund erzählte, die letztendlich etwas in Rollen brachte, was ohne ein paar mit Rückrad, Weitsicht und Eloquenz versehende Menschen, auch komplett hätte gegen den Baum laufen können und es bleibt die bittere Erkenntnis zurück, dass nicht Jeder, der Dir gut gesonnen gegenüber steht, das auch so meint.
Jedenfalls ist die Radom folgendermaßen bei der Polzei gelandet: Angeblich wurde der Freund von einem russischen Jeep geschnitten, immerhin so sehr, dass mein Freund mit seinem Moped ganz doll ins rutschen kam und schlitternd inder Nähe meines damaligen Wohnortes zu Fall kam und er Glück hatte, dass ihm bei doch immerhin 60 km/h nichts passiert sei. Der Russenjeep hätte jedenfalls gewendet, kam wohl mit Vollgas zurück und legte vor ihm ein hollywoodreifes Stopmanöver hin. Es sprangen dann zwei lockig blonde (lach) Russen aus dem Jeep, die irgendwas auf kyryllisch brüllten und drückten Ihm die Waffe an die Schläfen. Er flehte wohl um sein Leben und mit nasser Hose, Tränen in den Augen ließ die russische Mafia ab. Brüllte irgendwas Nationalsozialistisches in den Nachthimmel und warf die Waffe mit aller Kraft auf die gut geteerte Straße und entschwand schließlich ohne Licht am Jeep im nahen Horizont der Nacht bis dann schließlich auch kein Motorgeheule mehr zu hören war ... (klingt wie eine Buchvorlage).
Mit tatsächlich dann vollgemachten Hosen, soll der besagte Freund bei einem IM aufgetaucht sein, diese sau blöde Geschichte erzählt haben und aus der Hosentasche die Radom auf den Tisch gelegt haben.
Tchai, dass alles also nur, weil es Einen gab, der mit seinen eigenen Minderwertigkeitskomplexen offenbar überhaupt nicht klarkam und sich daher nur aus reiner eigener Sensationslust, möglicherweise in der Hoffnung, dafür einen Orden zu bekommen, sich so in Szene setzte und dabei selber vergaß, was er da anrichtet. Im übrigen hat er später auch nicht eingeräumt hier fürchterlich übertreiben zu haben und es hätte schon den Richtigen getroffen ... Das war das letzte was ich von Ihm hörte.
Ach so, ja, das ist noch wichtig: In der Schule versuchte man ja mir zu zeigen was ich alles nicht kann, daher bekam ich ja immer andere Klassenarbeiten als die Anderen, lach. Ich habe diese Schule mit einer sehr guten 2 verlassen und mich nie wieder umgedreht und der einzigste der von mir noch gegrüßt wurde, war mein Russischlehrer ... (ich kann immer noch kein russisch, lach)
Später dann der Rest des Restes, heute gibt es wohl ganz viel zusagen, immer und immer wieder ...
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