Als ich ziemlich abgehetzt nach Hause kam, war er schon da. Waren sie schon da. Er hatte seine Freundin mitgebracht. Na, Schröter? Das hat aber gedauert! Er hob sein Glas und hielt es in meine Richtung. Ich brauchte nicht nachzusehen. Ich wusste auch so, was drin war. Mein schöner, alter Linlithgow. Arthur Schindler wusste was gut und teuer war. Dieses Gebräu kam aus den Lowlands. Ein echter Single Malt, von Douglas Laing abgefüllt und einfach nur großartig. Und dieser Ignorant schüttete dieses Wunderwasser ins sich hinein, als wäre es ein Korn.
Auch ansonsten war Schindler kein Mann von Stil. Seine Kleidung war sicher von einem erstklassigen Schneider angefertigt, aber er kombinierte sie falsch. Wie konnte man zu einem dunkel blauen Anzug nur ein grünes Hemd und eine pinkfarbene Krawatte tragen? Überhaupt war Schindler nicht der Mann von Welt für den er sich selbst so gerne hielt und noch viel lieber ausgab. Im Gegenteil, er blieb das, was er schon immer gewesen war. Ein kleiner, dicker, schmieriger Drecksack, der mit einem exzellenten Verstand ausgestattet war. Und er war mein Boss. Leider! Von Haus aus studierter Metallbauer, hatte er vor zehn Jahren die zündende Idee. Inzwischen produzierte er in großem Stil, nannte zwei Werke sein eigen und gab an, wie sonst etwas. Und ich hatte das Pech sein Prokurist zu sein.
Schröter, setz dich her und iss was. Das Zeug schmeckt verdammt gut. Deine Frau hat echt was drauf! Damit grapschte er auf die Platte, nahm zwei der Schnittchen auf einmal und schob sie sich in seinen großen Mund. Aber deine Frau kann nicht nur kochen! Mit großen Glupschaugen sah er zu Manuela hin. Herr Schindler..., begann ich, doch er unterbrach mich mit vollem Mund. Schröter, lass den Quatsch heute abend. Ich will nichts vom Geschäft hören. Deine Frau langweilt sich sicher auch dabei! Und wieder ging sein Blick zu Manuela hin. Ein gieriger Blick, ein lüsterner Blick.
Sollte er doch glauben was er wollte. Diese kleine Episode zeigte wieder einmal, dass Schindler alle Menschen völlig egal waren. Auch die, die in nächster Nähe von ihm arbeiteten. Sonst hätte er sich nämlich gemerkt, dass ich nicht verheiratet bin, dass Manuela meine Schwester ist und ich mit ihr zusammen lebe. Sie ist nämlich auch nicht verheiratet. Und das Haus unserer verstorbenen Eltern hat uns beiden einen Hort der Zuflucht vor der rauen Wirklichkeit gegeben.
Frau Schröter, setzen sie sich doch zu mir. Oder müssen sie schon wieder in die Küche? Eine seiner Hände patschte seiner Begleitung auf das Knie. Das ist hier anders als bei uns Hasi. Frau Schröter kann nämlich kochen und geht nicht nur in die Küche um sich was zu trinken zu holen. Dann lachte er laut los. Ach übrigens Schröter, das ist Hasi, meine aktuelle Flamme. Dumm wie Bohnenstroh, aber für bestimmte Dinge gut zu gebrauchen. Wieder lachte er los. Sein Lachen klang wie das meckern einer Ziege.
Manuela war einfach stehen geblieben, hatte seinen Blicken stand gehalten und war dann mit einem Lächeln auf den Lippen in die Küche gegangen. Ich folgte ihr. Mit den Händen auf die Arbeitsplatte aufgestützt, sah sie durchs Küchenfenster. Ich trat von hinten an sie heran und legte meine Arme so um sie, dass sich die Hände vor ihrem Bauch schlossen. Sanft drückte ich sie an mich. Tut mir leid, Schwesterchen! Ich weiß, er ist ein Schwein und hat keine Manieren. Aber ich hätte nicht gedacht, dass er auch zu dir so ist. Ich bin es ja schließlich gewöhnt. Manuela drehte sich in meiner Umarmung um. Ernst sah sie mir in die Augen.
Es wird schon gehen. Weißt du, wenn ich ihn so erlebe, weiß ich, dass meine Entscheidung richtig war! Ich wollte etwas sagen, doch sie legte mir den Zeigefinger auf die Lippen. Geh wieder zurück und halte ihn bei Laune. Ich mach das hier schon! Sanft drückte ich Manuela einen Kuss auf die Wange und ging ins Wohnzimmer. Schindler hatte die Flasche mit dem Whiskey in der Hand und goss sich großzügig ein. Hast du noch Eis, Schröter? Ergeben ging ich zurück, um es aus der Küche zu holen.
Während sich Manuela um das Essen kümmerte, versuchte ich, umeine Gäste zu unterhalten. Einfach war das nicht. Schindler hatte nur einen begrenzten Horizont und war einfach strukturiert. Die meisten Themen interessierten ihn nicht. Hasi trug überhaupt nichts zur Unterhaltung bei. Sie saß nur stumm da und sah stur auf einen Punkt. Jeder Versuch, sie in das Gespräch mit einzubeziehen, wurde ein Fehlschlag. Ich war froh, als uns Manuela ins Speisezimmer rief.
Schindler schaufelte sich den Teller voll. Und wieder sprach er mit vollem Mund. Ist mal was anderes, wenn man sonst immer nur Hummer und Kaviar frisst. Hausmannskost kann auch gut sein. Vor allen Dingen, wenn man nichts anderes gewöhnt ist. Trottel, dachte ich. Du weißt ja nicht was gut ist. Manuela ist eine ausgezeichnete Köchin und andere Gäste, die uns besuchen, waren immer voll des Lobes. Schindler nicht. Er langte zwar kräftig zu, schwadronierte aber nur über die Restaurants, in denen er sonst als war.
Aber es wurde noch schlimmer. Schon während des Essens fing er an. Manuela anzugraben. Nicht fantasievoll, nicht mit dezenten Komplimenten, sondern direkt und unverschämt. Immer wieder legte er seine Hand auf ihren Arm und immer wieder sah er sie lüstern an. Sein Blick schien sie auszuziehen. Dabei kümmerte es ihn wenig, dass sowohl seine Freundin als auch ich im Raum waren. Der Gipfel seiner Frechheit war, dass er Manuela beim Abschied einen Moment festhielt und ihr ziemlich laut zuflüsterte, wenn Schröter mal wieder auf Geschäftsreise ist, komme ich sie besuchen. Wir machen uns dann einen schönen Abend. Die Art und Weise wie er es sagte, ließ keinen Zweifel darüber was er meinte.
Endlich waren sie fort. Ich half Manuela beim aufräumen und versuchte mich bei ihr zu entschuldigen. Lass es gut sein. Max, sagte sie leise. Ich habe ihn ja nur heute abend erdulden müssen. Aber wie hältst du das aus? Ich zuckte mit den Schultern. Als alles aufgeräumt war, verschwand Manuela in ihrem Schlafzimmer und ich setzte mich vor den Kamin, um mir endlich auch einen Whiskey zu gönnen. Viel war nicht mehr in der Flasche.
Manuela kam. Sie war ausgehfertig. Wohin gehst du noch, fragte ich sie, obwohl ich es zu wissen glaubte. Zu Bea. Und dann, als sie schon fast zur Tür draußen war, Wahrscheinlich komme ich erst übermorgen zurück. Ich nickte. Ich wünsch euch ein schönes Wochenende. Und dann war ich alleine. Durch das Whiskeyglas schaute ich ihn die Flammen und kam ins nachdenken.
Ich mochte meine Schwester. Schon immer. Sie war etwas mehr als ein Jahr älter als ich und der übliche Geschwisterstreit war bei uns völlig ausgeblieben. Wir hatten viel zusammen unternommen und irgendwie waren wir uns so vertraut, dass wir wenige Geheimnisse vor einander hatten. Durch sie kam ich früh in Kontakt mit anderen Mädchen und manch eine ihrer Freundinnen beschäftigte mich in meinen Träumen. Ich weiß nicht, wann es mir das erste Mal komisch vorkam, dass sie mit einer ihrer Freundinnen im gleichen Bett schlief. Vielleicht war das bei Mädchen so üblich, wenn sie sich gegenseitig besuchten. Wir Jungs machten das auf jeden Fall nicht.
Ich kann mich nur noch an den Tag erinnern, als ich Gewissheit bekam. Ich war mir Rosso, meinem Kumpel, im Kino gewesen und kam ziemlich spät nach Hause. Schon als ich weg gegangen war, war Andrea da gewesen. Als ich nach Hause kam, herrschte Stille im Haus. Unsere Eltern waren sicher schon im Bett und Manuela und Andrea wohl ebenfalls fort. Dachte ich zumindest. Ich ging ins Bad um mir die Zähne zu putzen. Als ich die Tür aufmachte, standen sie vor mir. Beide hatten nur noch einen Slip an, knutschen inniglich und hatten eine Hand jeweils im Höschen der anderen. Als ich rein kam, fuhren sie erschrocken auseinander. Beide wurden rot. Für einen Moment standen wir uns gegenüber. Dann murmelte ich Entschuldigung, und machte, dass ich aus dem Bad kam. Die Szene verfolgte mich die ganze Nacht.
Erst zwei Tage später kam Manu zu mir ins Zimmer und fing an zu reden. Sie erzählte mir, dass sie schon lange wüsste, dass sie sich zu anderen Mädchen hingezogen fühlte. Mit Jungs wollte sie nichts zu tun haben. Mädchen sind viel zärtlicher, viel einfühlsamer, als Jungs! Das konnte sein. Aber ehrlich gesagt interessierte mich etwas anderes mehr. Wissen es Mama und Papa? Manu schüttelte den Kopf. Ich werde ihnen nichts sagen! Danke! Hauchte sie, gab mir einen flüchtigen Kuss und verschwand wieder.
In der Folgezeit geisterten erotische Bilder durch meinen Kopf, wenn Andrea zu Besuch kam, aber ich hielt mein Versprechen. Damals war Manu siebzehn. Kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag zog sie von zu Hause aus und zwei Jahre später outete sie sich. Andrea zog bei ihr ein. Für unsere Eltern war es nicht leicht, die Situation zu akzeptieren. Bis zu ihrem Tod bei einem Autounfall herrschte immer eine gewisse Spannung zwischen ihnen und meiner Schwester.
Die Verbindung mit Andrea ging in die Brüche. Erstaunlicherweise war ein Mann daran schuld. Irgendwann zog Manu wieder in ihr Elternhaus zurück. Wir arrangierten uns. Sie hatte ihre Freundinnen, die sie hin und wieder mitbrachte und ich auch. Wir lebten miteinander und doch nebeneinander her. Heute abend würde sie also zu Bea gehen, ihrer aktuellen Freundin. Schon lange hatte ich keine Bilder von lesbischen Frauen mehr im Kopf. Für mich war es völlig normal. Ich trank mein Glas leer und ging zu Bett.