Es war gerade halb acht Uhr, als ich schwungvoll mit meinem Mountainbike die kleine Auffahrt zum Grundstück der Familie Ocker hinauffuhr. Eine halbe Stunde hatte ich noch, denn pünktlich um 08.00 Uhr erwartete mich Herr Ocker, seines Zeichens Präsident und Mehrheitsgesellschafter der UMAG-Werke. Herr Ocker war ein angenehmer Chef. Zumindest für mich, der ich hier nur einen Ferienjob hatte. Horst Koffler, der normalerweise diesen Dienst versah, war zur Kur und hatte meinem Vater, mit dem er seit Jahrzehnten befreundet war vorgeschlagen, dass ich ihn vertreten solle. Warum auch nicht? Semesterferien hatte ich und einen Führerschein auch.
Dennoch war es gewöhnungsbedürftig, als ich mich das erste mal hinter das Steuer dieses Riesenschiffes setzte. Aber bald schon stellte ich fest, dass der Wagen gut zu fahren war. Und einparken musste ich ihn ja nicht. Der Job war klasse. Ich begann um 08.00 Uhr und fuhr erst einmal den Chef zur Arbeit. Meist fuhr ich wieder zurück und musste dann mit seiner Frau in die Stadt fahren. Das konnte dauern. Manchmal holte ich den Chef für eine längere Mittagspause ab, manchmal aber fuhr ich auch mit ihm zu irgendwelchen Terminen. Ich kam schön rum, verdiente gutes Geld und hatte einen leichten Job.
Ich stellte mein Fahrrad in den Schuppen und ging durch den Garten in das Haus. Im Untergeschoss befand sich mein Aufenthaltsraum. Durchaus angenehm, mit Stereoanlage, Fernseher und DVD-Player. Ein Schrank und ein Bett vervollständigten die Einrichtung. Auf meinem Weg dahin, kam ich an der großen Garage vorbei und blieb einen Moment stehen. Ein netter kleiner Flitzer stand da neben dem großen Gefährt, dass ich Tag für Tag durch die Gegend schaukelte. Mit dem knallroten Porsche wäre ich nur zu gerne mal durch die Gegend geheizt. Aber das Auto war Tabu. Es gehörte der Tochter des Hauses, die zur Zeit zu Studienzwecken im Ausland weilte.
Ich zog mich um. Eine Livree musste ich zum Glück nicht tragen, aber auf einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und deine dezente Krawatte bestand Herr Ocker. Die Mütze ersparte er mir. Punkt acht klopfte ich an die große Tür zum Speiseraum. Frau und Herr Ocker saßen beim Frühstück. Herr Ocker wischte sich mit einer Damastserviette den Mund. Andreas, nehmen sie einen Moment Platz. Ich möchte mit Ihnen reden. Ich verbeugte mich und setzte mich auf die Kante des Stuhles. Frau Ocker goss mir eine Tasse Kaffee ein. Ich war gespannt, was er von mir wollte.
Herr Ocker kam gleich zur Sache. Andreas, wenn Sie mich nachher in die Firma gefahren haben, fahren Sie bitte nach Frankfurt an den Flughafen. Unsere Tochter kommt für die Ferien nach Hause. Ich wünsche, dass Sie sie abholen. Stumm verbeugte ich mich. Selbstverständlich Herr Ocker! War mal was Neues. Ich trank meinen Kaffee leer. Auch Herr Ocker war fertig, stand auf und verabschiedete sich von seiner Frau. Gemeinsam gingen wir zur Garage. Ich öffnete ihm die Tür. Herr Ocker nahm im Fond Platz und vertiefte sich in seine Zeitung. Die Fahrt würde etwa eine halbe Stunde dauern.
Plötzlich raschelte die Zeitung. Andreas? Ja, Herr Ocker? Ich möchte, dass Sie sich etwas um Sandra kümmern, wenn sie hier ist. Sie hat so wenig Kontakte, ist so ernst und studiert immer nur. Sie kenne sich doch hier aus. Unternehmen Sie was mit ihr, zeigen Sie ihr die Gegend. Sorgen sie dafür, dass sie nicht immer nur in ihrem Zimmer hockt. Wie Sie wünschen, Herr Ocker! Dann war unser Gespräch beendet. Wir kamen in der Firma an.
Ich ließ Herrn Ocker aussteigen und reichte ihm seine Tasche. Die Maschine landet um 11.00 Uhr. Seien Sie bitte pünktlich, nicht dass Sandra warten muss. Ich versprach es. Ich hatte ja noch eine Menge Zeit. Auf der Fahrt nach Frankfurt dachte ich über Sandra Ocker nach. Trotz des extravaganten Autos stellte ich sie mir als kleine, schüchterne Husche vor. Eine junge Frau mit festen Schuhen, praktischer, aber unmoderner Kleidung, dunkler Hornbrille und die braunen, stumpfen Haare zu einem Dutt gedreht. Prost Mahlzeit.
Gegen halb elf, stellte ich den Wagen in das Parkhaus und ging zur Ankunftshalle. Mir blieb Zeit genug für einen Kaffee und einem Sight Seeing für die Augen. Viele interessante Menschen liefen an mir vorbei. Ich hörte Stimmen in den Sprachen aller Herren Länder. Dann wurde es Zeit, zum Gate zu gehen. Die Maschinenanzeige sprang von estematet auf arrived und bald schon würde es soweit sein. Vereinzelt kamen schon Passagiere aus der großen Automatiktüre. Nur Fräulein Ocker sah ich nicht. Dafür sah ich etwas anderes. Eine bildschöne, junge Frau kam aus der Tür. An der Frau war einfach alles Klasse.
Groß und schlank war sie, mit langen, blonden Haaren, in die sie eine modische Sonnenbrille gesteckt hatte. Sie trug bequeme, aber trotzdem elegante und wie es aussah, ziemlich teuere Freizeitkleidung. Sie trug eine Tasche von Tommy Hilfinger und ein passendes Bordcase. Suchend sah sie sich um und blieb dann stehen. Sollte ich oder sollte ich nicht? Sie nahm mir die Entscheidung nicht ab. Zwar sah sie immer mal wieder zu mir her, aber sie machte keine Anstalten mich anzusprechen. Immer weniger Passagiere kamen durch die Tür und keiner der weiblichen Fluggäste hatte sich suchend umgesehen.
Langsam ging ich auf sie zu. Frau Ocker? Sie sah mich an und ich ertrank fast in ihren wunderschönen, blauen Augen. Außerdem stellte ich fest, dass Sie Sommersprossen hatte. Nicht viele und auch nicht sehr ausgeprägt, aber Sommersprossen. Ja! Herzlich willkommen zu Hause. Ich bin Andreas Müller, der derzeitige Fahrer Ihres Herrn Vaters. Er hat mich beauftragt, sie abzuholen. Sie sah mich einen Moment an. Wo ist Herr Koffler? Zur Kur. Ich vertrete ihn während der Semesterferien! Sie nahm ihr Bordcase und ich schnappte mir die große Tasche. Ist das Ihr ganzes Gepäck? Sicher. Der Rest wird gebracht! Lets go, Andy! Sie sprach meinen Namen englisch aus. Überhaupt merkte ich in der Folgezeit, dass sie einen süßen englischen Akzent hatte. Nicht viel, nur ein bisschen, aber durchaus reizvoll.
Stumm liefen wir nebeneinander her. Als wir in ans Auto kamen, öffnete ich die hintere Tür und wollte sie einsteigen lassen, doch sie ignorierte meine Geste, öffnete die Beifahrertür und setzte sich ohne Umstände ins Auto. Ich verstaute die wenigen Gepäckstücke und fuhr vorsichtig aus dem Parkhaus. Frankfurt Flughafen ist manchmal etwas verwirrend, ich schaffte es aber doch, die richtige Ausfahrt zu finden und bald schon waren wir auf der Autobahn. Sandra Ocker drückte auf die Knöpfe der Audioanlage. Irgend ein Violinkonzert erklang. Fie! Machte sie und drückte weiter Knöpfe, bis sie einen ihr genehmen Sender gefundne hatte. Irgend etwas rockiges war zu hören. Wir schwiegen beide. Aber ich machte mir Gedanken über sie. Sie war so ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Eine taffe junge Frau, selbstbewusst und unheimlich schön anzusehen. Auf einmal kam mir die Aussicht, Zeit mir ihr zu verbringen gar nicht mehr so schlimm vor.
Schließlich bog ich auf die Auffahrt der Ockers ein. Während der Fahrt hatten wir kaum ein Wort gewechselt, schon gar nichts persönliches. Ich trug ihr Gepäck ins Haus und sie begrüßte ihre Mutter. Die beiden Frauen verschwanden in den Wintergarten und ließen sich Tee bringen. Für mich lagen keine weiteren Aufträge vor. Also stellte ich den Wagen in die Garage und ging in meinen Aufenthaltsraum, um etwas fern zu sehen. Die Talkshows am Nachmittag finde ich ätzend und auch über die Zooserien kann ich nicht wirklich freuen. Trotzdem vertrieb ich mir die Zeit damit und nickte irgendwann ein.
Ich wurde wach, weil mich jemand an der Schulter schüttelte. Ruckartig riss ich die Augen auf und sah in das grinsende Gesicht meiner Juniorchefin. Hey, Andy! Oh, Entschuldigung. Ich muss wohl das Telefon überhört haben! Ich rappelte mich hoch. Welches Telefon? Ich habe nicht angerufen. Ich habe gesunde Beine und kann laufen! Natürlich! Was kann ich für Sie tun? Sie können mit mir zu Werkstatt fahren. Mein Porsche macht Mucken! Ich zog meine Jacke an und wir gingen zur Garage. Sie stieg in den Porsche und ließ den Motor aufheulen. Mit quietschenden Reifen fuhr sie vom Grundstück und ich zuckelte hinterher.
Der Wagen würde wohl für zwei Tage in der Werkstatt bleiben müssen. Sie war ziemlich angefressen, als sie das hörte und stieg mürrisch zu mir in den Wagen. Dann scheuchte sie mich von einer Boutique zur nächsten, ließ mich Tüten mit Klamotten ins Auto verfrachten und dämlich rumstehen, als sie in einen Straßenkaffee einen Latte trank. Ich stellte fest, dass sie nicht nur taff war, sondern auch ein verwöhntes Gör, das mich spüren ließ, in welchem Verhältnis wir zueinander standen. Mir war dass egal. Ich blieb gleichbleibend höflich und machte gute Miene zum bösen Spiel. Schließlich brachte ich sie wieder nach Hause. Die Taschen können Sie in mein Zimmer bringen! Ich verbeugte mich stumm. Keine Ahnung, wo die hochherrschaftliche Kemenate war.
Ihr Zimmer war eine Überraschung. Da hatte sich seit mindestens 15 Jahren nichts getan. Eine Disneytapete mit Zwergen und Prinzessinnen schmückte die Wand. Die Möbel waren typisch Schulmädchen. Ich verkniff mir ein Grinsen. Hierher würde sie keinen Freund mitbringen. Der würde Albträume bekommen. Ich stellte die Tüten auf das mit allerliebster Schneewittchenbettwäsche bezogene Bett, verbeugte mich stumm und ging nach unten. Frau Ocker fand ich in der Küche. Haben Sie noch einen Wunsch, Frau Ocker? Sie schüttelte den Kopf. Mein Mann kommt später mit Herrn Scheuer nach Hause. Wenn sie wollen, können Sie gehen! Sehr freundlich, dachte ich. Ich bin schon eine Stunde über meine Zeit! Bis morgen dann, Frau Ocker! Und fort war ich.