Das große Panoramafenster bot einen guten Blick hinaus auf den Garten. Nur viel zu sehen gab es nicht. Nebelschwaden trieben, vom Wind getrieben, durch den grauen Herbstnachmittag, verfingen sich an den kahlen Ästen der Bäume und zogen weiter auf ihrer Reise durch Zeit und Raum. Es war Oktober geworden. Nach einem schönen Sommer und einem golden September, hatte die feuchte Kälte das Land fest im Griff.
Eigentlich mag ich den Herbst. Ich liebe den Wind, der die Blätter von den Bäumen holt und ich mag die Stille am frühen Morgen oder Abend, wenn der Nebel das Land in Watte packt und alle Geräusche verschluckt. Ich mag die Astern, deren Köpfe sich in eben diesem Wind neigen und ich liebe die Aussicht auf die bald kommenden Festtage. An solchen Tagen zieht es mich hinaus ins Freie. Wenn ich Zeit dazu habe! Ich wandere durch die Wälder und schalte ab von der Hetze meines Berufes.
Auch heute war ich früh los gezogen. Auf dem Rücken den Rucksack. Außer der Thermoskanne mit dem heißen Tee, war noch nichts drin gewesen. In dem kleinen Ort, in dem ich mein Auto abgestellt hatte, hatte ich mir erst ein Paar deftige Würste und später zwei Brötchen geholt. Dann war ich los marschiert. Immer der Nase nach. Mit jedem Schritt hatte ich gemerkt, wie die Anspannung von mir abgefallen war. Ich hatte Hügel erklommen, war durch kleine Täler gestreift. Kein Mensch war mir auf meinem Weg begegnet. Als ich, Stunden später, wieder am Parkplatz gewesen war, hatte ich mich auf die Abschrankung gesetzt und genüsslich meine Wegzehrung verspeist. Dann war ich zurück gefahren und hatte mir ein langes, heißes Bad gegönnt. Ich zog mir meinen Bademantel an und kam, meine Haare mit einem Handtuch trocken rubbelnd, aus dem Bad.
Jetzt stand ich also am Fenster, das Handtuch wie eine Stola um den Hals gelegt und sah hinaus. Ein anderer Samstag fiel mir ein. Das war im Juni gewesen die Sonne hatte schon am frühen Morgen vom Himmel gebrannt und ich hatte im Garten das Nötigste erledigt. Nach einer erfrischenden Dusche war ich auch damals im Bademantel aus dem Bad gekommen und hatte meine Haare trocken gerubbelt. Doch damals hatte es geklingelt. Als ich die Türe geöffnet hatte, stand mein Nachbar davor. Mit einem breiten Grinsen war er herein gekommen und hatte mich eingeladen.
Wenn du heute noch nichts vor hast Jens, komm doch nachher rüber. Wir wollen grillen. Die Aussicht, einen gemütlichen Abend mit Willi und Sabine zu verbringen, hob sofort meine Stimmung. Ohne zu zögern, nahm ich die Einladung an und versprach trotz des Protestes von Willi, einen Salat mit zu bringen. Willi lachte und verschwand wieder. Also, dann bis sieben Uhr. Das Bier wird kalt sein! Versprach er noch, dann war er weg. Ich brauchte nicht lange, um meinen berühmten Lie-Rum-Salat zusammen zu rühren. Liegt rum und passt, das war meine Devise für diesen Salat und so kam alles hinein, was mir opportun erschien.
Kurz nach sieben machte ich mich auf den Weg. Ich nahm, die Abkürzung und ging durch den Garten. Der kleine Zaun war mehr Dekoration denn Trennung der Grundstücke und stellte kein Hindernis dar. Ich überstieg ihn einfach. Mit großem Hallo wurde ich empfangen. Sabine hatte schon die unverderblichen Sache, wie Brot und Soßen bereit gestellt und Willi stand bereits am Grill. Ein herrlicher Duft war wahrnehmbar. Mit dem Kopf wies Willi in eine Ecke. Ich wusste die Bedeutung der Bewegung. Dort stand ein kleiner, eigentlich ausrangierter Kühlschrank. Wenn die beiden festelten waren dort die Getränkevorräte. Ich ging hin und griff zu. Das eiskalte Bier floss mir durch die Kehle. Wie hatte doch vor Jahren der Werbespruch einer Brauerei gelautet? Der erste Schluck, ist der Beste! Wie wahr!
Ich setzte mich auf meinen angestammten Platz und sah mich um. Vier Teller? Kam noch jemand? Zu sehen war niemand. Über den Tisch hinweg, unterhielt ich mich mit Willi, der ganz auf sein Tun konzentriert war. Also stand ich wieder auf und ging auf ihn zu. Neben ihm stehend und eine Zigarette rauchend, unterhielten wir uns und sahen dem diversen Grillgut beim gar werden zu. Wie weit ist das Fleisch? Sabine rief es vom Tisch her. Beide drehten wir uns um. Fast fertig, meinte Willi. Ich sagte nichts, denn Sabine stand nicht alleine am Tisch. Neben ihr stand eine Frau, vielleicht vier oder fünf Jahre jünger als Sabine. Ich nickte der Unbekannten grüßend zu. Das Nicken wurde erwidert. Willi drückte mir eine Platte in die Hand legte mit der Zange die fertigen Würste und Steaks darauf.
Am Tisch angekommen, meinte Sabine, Gabi, das ist unser Nachbar Jens. Und dann mir zugewandt, Jens, das ist meine Schwester Gabi. Ich stellte die Platte auf den Tisch und reichte Gabi die Hand. Ihr Blick versenkte sich in meine Augen, dann kam ein zögerliches Guten Abend! Wir setzten uns und der Schmaus begann. Die Unterhaltung kam in Gang. Willi wollte wissen, wie die Geschäfte gingen und Sabine interessierte sich dafür, was ich mit dem freigeräumten Beet neben dem Haus vor hatte. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich Gabi ebenfalls an unserem Gespräch beteiligte. Viel sagte sie anfangs nicht, doch was sie sagte war spontan und witzig. Sie schien eine Frau zu sein, die ihr Leben so nahm, wie es gerade kam und es doch per se für lustig und lebenswert hielt.
Das Essen war vorbei und wir saßen gemütlich auf unseren Stühlen und unterhielten uns über alles Mögliche. Sabine war mit Gabi in ein Gespräch vertieft und Willi und ich unterhielten uns über die Qualität des örtlichen Bundesligavereins. So ganz war ich nicht bei der Sache. Immer wieder ging mein Blick zu Gabi. Wie alt mochte sie sein? Irgendwo in den Vierzigern. Ihre braunen Haare waren glatt und schulterlang. Ein paar lustige Fransen des Ponys hingen bis zur randlosen Brille mit roten Bügeln. Die ebenfalls dunklen Augen schienen dauernd zu lächeln. Wenn sie geschminkt war, fiel es nicht auf. Sie trug eine weiße Bluse mit senkrechten Streifen in gedeckten Farben. Die obersten Knöpfe standen offen und ließen so den Blick auf ein schönes Dekollete zu. Ob sie etwas darunter trug, blieb ihr Geheimnis. Schon früher am Abend war mir aufgefallen, dass sie einen halblangen Jeansrock trug. Jetzt in der beginnenden Dunkelheit, wurde mir klar, dass da eine sehr schöne Frau vor mir saß. Und natürlich stieg in mir der Wunsch, sie besser und vor allen Dingen näher kennen zu lernen.
Doch davon war ich meilenweit entfernt. Sicher, sie gab mir Antwort, wenn ich etwas fragte, aber von sich aus, sprach sie mich nie an. Dabei hätte ich sie gerne zum sprechen gebracht. Schon ihre ersten Worte hatten verraten, dass sie lange Zeit in Österreich gelebt hatte, vielleicht immer noch dort lebte. Sie sprach mit dem leicht singenden wienerischen Idiom, das mich so anzog. Willi muss gemerkt haben, dass der Hauptteil meiner Aufmerksamkeit seiner Schwägerin galt. Denn jetzt verließ er plötzlich die Geschicke unseres Fußballvereins und begann sich in das Gespräch der beiden Damen mit einzubringen. Und nach einer Weile, war auch ich daran beteiligt. Ich erfuhr eine ganze Menge in diesem Gespräch. Gabi lebte tatsächlich in Wien. Sie war der Liebe gefolgt und fühlte sich inzwischen heimisch. Auch nach ihrer Scheidung war sie dort geblieben und hatte sich eingerichtet. Je dunkler es wurde, umso mehr nahm ich mich aus dem Gespräch zurück. Ich saß in meinem bequemen Stuhl und betrachtete Gabi, deren Gesicht vom Schein der flackernden Kerzen in ein aufregendes Spiel von Licht und Schatten getaucht wurde.
Ich ertappte mich bei dem Wunsch, mit ihr alleine zu sein. Jetzt stand sie auf, um eine neue Flasche Wasser aus dem kleinen Kühlschrank zu holen. Obwohl sie nur wenige Schritte gehen musste, sah ich doch, dass sie einen sinnlichen Gang hatte. Nicht aufreizend, aber weiblich. Als sie sich nach vorne beugte, spannte sich er Stoff des Jeansrockes über ihrem schmalen Hintern und ich ertappte mich da dabei mir vorzustellen, wie dieser Anblick wohl ohne störende Textilien wäre. Vor meinem geistigen Auge sah, ich, wie zwischen den fast geschlossenen Schenkeln, eine süße kleine Muschi hervorlugte. Ich schüttelte den Kopf, um diese Bilder loszuwerden. Doch ich schaffte es nicht. Denn Gabi drehte sich herum und kam auf uns zu. Und wieder war da die Vorstellung, alle Textilien wären verschwunden. Eine schöne Vorstellung. Sehr schön sogar.
Es war ein wunderschöner Abend, den ich da mit meinen Nachbarn verbrachte. Unser Gespräch floss träge vor sich hin. Es gab keine Aufregung, keine Diskussion. Für mich hatte er den besonderen Reiz, dass ich mir nun vorstellte wie es wäre, wenn Gabi gar nichts mehr an hätte. Sie musste einen schönen Körper haben und wenn sie beim Liebesspiel ebenso sinnlich war, wie in ihren normalen Bewegungen, saß da ein Juwel vor mir. Allerdings war mir auch klar, dass ich dieses Juwel wohl nie erringen würde, hatte ich doch aus dem Gespräch entnommen, dass Gabi am Sonntag schon wieder zurück fahren würde. Zuwenig Zeit, um eine Bekanntschaft aufzubauen und viel zu wenig Zeit um diese Bekanntschaft zu vertiefen.
Gegen Mitternacht trennten wir uns. Meine Salatschüssel war leer und Sabine hatte sie schon gespült. Nach einer letzten Zigarette verabschiedete ich mich und ging in meine eigene Hütte, die mir nun auf einmal leer und verlassen vorkam. Ich stellte die Schüssel in die Küche und ging nach oben in mein Schlafzimmer. Lange lag ich im Bett und konnte nicht einschlafen. Das lag zum einen an der sommerlichen Hitze, die immer noch deutlich spürbar war, aber auch an der Hitze in meinem Körper und von beidem gab es kein Entkommen. Irgendwann stand ich auf und stellte mich hinter mein Fenster. Der Garten lag im vollen Licht des Mondes, im Haus von Sabine und Willi war alles dunkel.