Diese Geschichte entstand mit der Unterstützung einer Koautorin, die noch dazu eine einzigartige Freundin für mich geworden ist.
Der letzte Arbeitstag des Jahres. Mehr oder weniger lustlos war ich wie immer ziemlich früh aufgestanden, hatte mich ächzend und stöhnend ins Bad begeben, in das grelle Licht geblinzelt und gähnend angefangen mir die Bartstoppeln aus dem Gesicht zu kratzen.
Anschließend stellte ich mich unter die Dusche. Langsam wurde ich wach. Die morgendlichen Verrichtungen liefen routinemäßig ab. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand setzte ich mich für einen Moment in mein Wohnzimmer und sah mir die Sechs-Uhr-Nachrichten an. Danach wurde es Zeit für mich ins Büro zu fahren.
Zum Glück waren die Straßen leer und ich erreichte ziemlich bald mein Ziel. In der ersten Stunde hatte ich noch meine Ruhe. Die Kollegen kamen später. Mit einer weiteren Tasse Kaffee machte ich mich daran die letzen, wichtigen Dinge zu tun. Der Tag nahm seinen Lauf. Bis Mittag war es der normale Tagesablauf, dann schlossen die Filialen und wir begannen mit den Jahresabschlussarbeiten. Zum Glück war es nicht mehr so schlimm wie früher, als wir noch Sparkonten abrechnen mussten. Es ging doch viel gemächlicher zu. Eigentlich hätte ich das Büro gegen 16.00 Uhr verlassen können, aber ich gestand mir ein, dass mich nichts nach Hause zog.
In diesem Jahr hatte mich meine Frau verlassen. Mit meiner Tochter war sie Knall auf Fall ausgezogen. Jetzt lebten sie bei dem Mann, wegen dem sie mich verlassen hatte. Weihnachten war glücklich vorbei, jetzt galt es noch Silvester zu überleben. Immer wieder musste ich daran denken, dass wir in den vergangenen Jahren Silvester immer mit guten Freunden gefeiert hatten. Diese Feier würde auch dieses Jahr stattfinden, nur eben ohne mich. Über Umwege hatte ich erfahren, dass an meiner Stelle jetzt der neue Freund meiner, noch nicht von mir geschiedenen, Frau dabei sein würde. Dieser Umstand machte mich nicht wirklich glücklicher.
In solche Grübeleinen versunken, fand mich auch schließlich meine Kollegin Claudia an meinem Schreibtisch sitzen. Sie wusste als Einzige wie es mir ging. Natürlich versuchte sie mich aufzumuntern, aber so recht gelang es ihr nicht. Schließlich kam die Meldung, dass der Jahresabschluss stand und jetzt gab es wirklich keinen Grund mehr im Büro zu bleiben. Ich war sowieso der Letzte gewesen. Ich fuhr den Rechner herunter, nahm den Mantel von der Garderobe und machte das Licht aus. Jetzt lag das Bürogebäude im Dunkeln. Auch ohne Licht fand ich den tausendmal gegangenen Weg und stand schließlich auf der Straße.
Die Nebelschwaden ließen das Licht der Laternen diffus erscheinen. Ich klappte den Kragen hoch, steckte die Hände in die Taschen und machte mich auf den Weg zu meinem Auto. Immer noch hatte ich es nicht eilig. Warum denn auch? Auf mich wartete niemand, höchstens meine leere Wohnung. Immer noch oder schon wieder, waren die Straßen leer. In weniger als 20 Minuten war ich zu Hause. Der Nebel war dichter geworden, man sah die Hand vor Augen nicht mehr. Aber meine Garage fand ich. Ich stellte das Auto hinein und gedachte nicht, es in den nächsten Tagen zu bewegen.
Nein, ich würde mich in meiner Wohnung verkriechen. Vielleicht ein Buch lesen und erst wieder zum Vorschein kommen, wenn die vermaledeiten Feiertage endgültig vorbei waren. Ich hatte keine Lust mehr auf Menschen und deren glückliche Gesichter. Langsam ging ich die Treppe nach oben, schloss meine Wohnungstür auf und zog langsam den Mantel aus. Das Telefon blinkte. Leider erschien nur „Unbekannt“ auf meinem Display. Dabei hatte mein Herz schon einen Sprung getan, als ich das Blinken gesehen hatte. Würde sie heute versucht haben mich zu erreichen?
Offensichtlich nicht, denn sie kam immer mit angezeigter Nummer. Enttäuschter als ich es mir gedacht hatte, setzte ich mich in mein Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Was für ein Programm. Nichts als Langeweile. Dennoch hielt ich aus, da ich sonst nichts zu tun hatte. Ziemlich spät ging ich ins Bett und nahm das Telefon mit. Vielleicht würde sie doch noch anrufen. Ich versuchte mich auf mein Buch zu konzentrieren, aber das fiel mir von Minute zu Minute schwerer. Schließlich fielen mir die Augen zu. Sie hatte nicht angerufen.
Nennen wir sie Danielle. Ich hatte sie im Internet kennen gelernt und mich mit ihr angefreundet. Botschaften gingen hin und her und irgendwie merkten wir, dass wir zusammen passten. Eigentlich gab es nur ein Problem, besser gesagt zwei. Eines davon wäre zu lösen gewesen. Die Entfernung zwischen uns war erheblich, aber solange die Bahn mehr oder weniger zuverlässig und mehr oder weniger pünktlich fuhr, ist das zu vernachlässigen. Schwieriger wog das zweite Problem. Sie war in etwa um die Hälfte jünger als ich. Nächtelang hatten wir erst gechattet, dann miteinander telefoniert. Wir waren uns näher gekommen, verstanden uns prima.
Nur der Altersunterschied machte uns einen Strich durch die Rechnung. Aber konnte ich ihr das verübeln? Wohl kaum. Ein junges Mädchen sollte sich nicht an einen alten Sack binden. Natürlich wäre eine Beziehung auf Zeit, ein Zweckbündnis zum gegenseitigen Vorteil möglich gewesen. Aber selbst wenn Danielle gewollt hätte, ich hätte es nicht gekonnt. Dafür wäre sie mir einfach zu schade gewesen. Immer mehr musste ich mir eingestehen, dass ich mich in sie verliebt hatte. Und das obwohl ich nur ihre Stimme und einige wenige Bilder von ihr kannte. Selbst in meinen Träumen war sie präsent. Es verging wohl kaum ein Augenblick des Tages, an dem ich nicht an sie dachte.
In unseren nächtelangen Telefongesprächen hatten wir ein aufregendes Spiel gespielt. Ich hatte sie eingeladen Silvester mit mir zu verbringen. Stundenlang schmiedeten wir Pläne, wie wir diese wenigen Tage mit Leben erfüllen konnten. Unzählige Dinge fielen uns ein, wurden lachend verworfen und dann doch wieder ins Programm mit aufgenommen. Es war ein schönes und ungefährliches Spiel. Ich hatte meine Einladung ernst gemeint und Danielle wusste das auch. Und obwohl sie das Spiel mit machte, wusste ich doch genau, dass sie nicht kommen würde. In quälenden Augenblicken unserer Telefonate war uns, war mir klar geworden, dass das nie etwas werden würde. Entsprechend bedrückt war ich auch.
Meine Träume wurden von Danielle beherrscht. Kurz nach dem Aufwachen am Silvestermorgen hatte ich, unter dem Eindruck meines Traumes, das beglückende Gefühl, dass sie heute kommen würden. Doch je klarer meine Gedanken wurden, umso klarer wurde mir auch, dass ich mich nur einem schönen Traumbild hinterher sehnte. Mein erster Blick galt dem Telefon, das direkt neben mir lag. Stumm und ohne Lichtzeichen von sich zu geben, lag es da. Danielle hatte nicht angerufen. Seit zwei Tagen hatte ich ihre Stimme nicht gehört. Warum ich sie nicht anrief? Ganz einfach. Ohne das gegenteilige Wissen konnte ich mir einreden, dass sie einfach keine Zeit gefunden hatte. Würde ich mit ihr reden, das befürchtete ich, wäre auch ein Ende unserer Fernbeziehung so sicher wie das Amen in der Kirche.
Ohne große Lust stand ich auf und verrichtet die notwenigen Arbeiten. Bald war die Wohnung aufgeräumt und sauber. Schwierig war das nicht gewesen, war ich doch die meiste Zeit nicht zu Hause. Dann machte ich einen kurzen Besuch bei meinen Eltern. Weit musste ich dazu nicht gehen. Meine Mutter nötigte mich zu einem Mittagessen, das ich nicht wollte und mein Vater bestand darauf, dass ich Silvester mit ihnen verbrachte. Es kostete mich reichlich Mühe ihn davon zu überzeugen, dass dies eine schlechte Idee sei. Ich ging in meine Wohnung zurück und schloss mich ein. Ich wollte niemanden sehen oder hören. Nur das Telefon, mein treuer Begleiter in den letzten 14 Tagen, war ständig bei mir. Vielleicht rief Danielle ja doch an. Aber das Telefon blieb stumm.
Mit einem Buch machte ich es mir gemütlich und fing an zu lesen. Doch die rechte Konzentration wollte einfach nicht aufkommen. Auch nicht die erhoffte Muse. Irgendwann sah ich auf die Uhr. 16.00 Uhr. Wenn unser nächtliches Spiel Realität geworden wäre, würde sie jetzt am Bahnhof ankommen und ich würde sie das erste Mal sehen. Wie hatte ich mir das ausgemalt. Ja selbst ein Erkennungszeichen hatten wir vereinbart. Ich schüttelte den Kopf, um die trüben Gedanken zu verscheuchen. Hatte ja doch keinen Sinn. Danielle würde nie zu mir kommen und so wie es aussah, würde sie auch nicht mehr anrufen. Das Spiel war aus!
Es war viertel vor fünf, als ich mir in der Küche gerade einen Kaffee gekocht hatte. Mit der Tasse in der Hand ging ich in mein Wohnzimmer, um weiter zu lesen. Eben wollte ich mich in meinen Sessel fallen lassen, als es klingelte. Noch immer die Tasse haltend, ging ich zur Tür und öffnete sie. Dann machte es „Pling“ und die Tasse samt Inhalt fiel mir aus der Hand. Scherben und Kaffee bildeten eine aparte Mischung auf meinem Parkettboden. Meine Kinnlade fiel herunter und ich war unfähig zu sprechen. Denn vor meiner Tür stand..... Danielle! Ich erkannte sie sofort. Ich zwickte mich, um zu überprüfen ob ich noch träumen würde. Nein, ich war hellwach. Danielle war tatsächlich gekommen und stand vor meiner Tür, zusammen mit einer bauschigen Reisetasche.
Ich bat sie herein und minutenlang standen wir uns gegenüber, ohne ein Wort zu sagen. Wir lächelten uns nur an. Dann ließ sie ihre Tasche fallen und warf sich mir um den Hals. „Ich hatte solche Sehnsucht nach dir. Ich musste einfach kommen.“ Ich war immer noch unfähig zu sprechen, drückte sie einfach nur fest an mich. Die nächsten Minuten verliefen turbulent. Rede und Gegenrede flogen hin und her. Schließlich wusste ich, dass sie sich heute Morgen kurz entschlossen auf den Weg gemacht hatte. Seit zwei Tagen hatte sie mit sich gerungen. Deshalb hatte sie auch nicht angerufen, hatte auf einen Anruf von mir gewartete, um einen letzten Impuls „pro“ oder „contra“ zu bekommen. Ich war der glücklichste Mensch auf der Welt.