Sie hatten sich bei der Geburtstagsparty von Wolf getroffen. Durch Zufall. Bernd war ohne große Freude hingegangen. Wolf war zwar sein Freund, aber der Kontakt war in der letzten Zeit doch etwas lose geworden. Bernd war sich im klaren darüber, dass dies hauptsächlich an ihm selbst lag. Zu sehr knabberte er noch an der Trennung von Katja. Auch Tatjana, war nicht mit allzu großer Vorfreude erschienen. Sie war eine Kollegin von Elfi, der Ehefrau von Wolf. Und es wurde so, wie erwartet. Zumindest am Anfang. Zwar war das Essen gut und die Stimmung nicht minder, aber Tatjana kannte niemand außer Elfi. Meist stand sie, wie das sprichwörtliche 5. Rad, am Rande einer Gruppe und hörte zu, ohne sich intensiv an dem Gespräch zu beteiligen. Auch Bernd fühlte sich irgendwie einsam. Natürlich kannte er etliche der Anwesenden, aber er war nicht glücklich, immer und immer wieder nach Katja gefragt zu werden. Sicher, ihre Trennung lag nun schon fast ein Jahr zurück, aber viele der Leute sah er nicht so häufig und so waren die Fragen zwar nur natürlich, für ihn aber unangenehm. Wie Tatjana, schlenderte er von Gruppe zu Gruppe, ohne sich irgendwo wirklich wohl zu fühlen.
Das änderte sich erst, als Tatjana geradezu in ihn hineinlief. Dabei schwappte etwas von dem Saft über, den sie im Glas hatte und traf unglücklicherweise Bernds Polo. Tatjana schreckte zusammen und ließ fast das Glas fallen. Das tut mir entsetzlich leid, entschuldige bitte, stammelte sie. Never mind, antwortete Bernd lachend. Ist ja so gut wie nichts passiert. Das trocknet wieder. Aus diesem Unfall entwickelte sich so etwas wie ein Gespräch, das Bernd mehr und mehr faszinierte. Tatjana war nicht dumm und dazu noch herrlich spontan und witzig. Schon nach kurzer Zeit, konnte auch sie ihrem Missgeschick, die lustige Seite abgewinnen. Was bin ich froh, dass Wolf im Juli Geburtstag hat. Stell dir mal vor, es wäre Dezember! Bernd sah sie fragend an. Dann hätte ich sicher Glühwein gehabt und du hättest rote Flecken und einen heißen Bauch! Beide lachten. Eine Weile standen sie so beieinander und unterhielten sich. Irgendwann schlug Bernd vor, sich in eine etwas ruhigere Ecke zu verkrümeln. Dort können wir ungestörter reden. Ist doch ziemlich laut hier. Tatjana nickte zustimmend. Im Wintergarten fanden sie eine Korbmöbel Gruppe und setzten sich. Die großen Glasscheiben waren geöffnet und ließen den süßen Duft des frisch gemähten Grases herein. Es war eine angenehme, leise geführte Unterhaltung. Beide erzählten sich aus ihrem Leben, soweit sie es für notwendig erachteten und beide waren gute Zuhörer. Bernd war überrascht, wie gut er sich auf Anhieb mit dieser jungen Frau verstand. Aber auch Tatjana hatte Grund, nachdenklich zu werden. Da war ein Mann, der ganz normal mit ihr redete. Keine Anmache, keine Versuche extrem witzig oder geistreich zu sein. Es war eine gute Unterhaltung, die sie da führten. Tatjana ging mehr aus sich heraus, als sie es gewohnt war.
Obwohl Bernd nicht unempfänglich war, für weibliche Schönheit, unternahm er nichts, um Tatjana für sich zu gewinnen. Während ihres Gespräches hatte er sie unauffällig gemustert. Obwohl hübsch, entsprach sie nicht unbedingt seinem natürlichen Beuteschema und wenn doch, hätte er im Moment nicht die Kraft, aber auch nicht die Lust besessen, sich auf ein neuerliches Beziehungsspiel einzulassen. Nein, er nahm seinen selbst verordneten Urlaub von Frauen durchaus ernst. Und da dies so war, begann auch Tatjana sich zunehmend wohler zu fühlen. Sie spürte, dass sie keine Angriffe abwehren musste. Ganz einfach deshalb, weil keine kamen. Aufmerksam und entspannt lauschte sie Bernd, der interessant von seinem Beruf erzählen konnte. Bernd war Fluglotse und zuständig für die Vorfeldkontrolle. Durch seine Erklärungen begriff sie endlich Dinge, die ihr bei ihren bisherigen Flugreisen unverständlich geblieben waren. Aber auch Tanja kam zum Zug. Auch sie erzählte anschaulich von ihrer Tätigkeit als Restauratorin eines Museums. Bernd, der für Kunst nicht viel übrig hatte, begann langsam die Faszination Kunst zu begreifen. Der Abend nahm seinen Lauf und Bernd fürchtete schon den Augenblick, an dem Tatjana sich verabschieden würde. Was er nicht wusste war, dass es Tatjana ebenso ging. Dennoch kam irgendwann der Zeitpunkt, als die Gäste zum allgemeinen Aufbruch bliesen. Ohne es wirklich zu wollen, schlossen sich die Beiden der Allgemeinheit an. Draußen vor der Tür blieben sie noch einen Moment stehen und versicherten sich gegenseitig, wie sehr sie den Abend genossen hatten. Tatjana war es, die ganz gegen ihre sonstigen Gewohnheiten, Bernd ihre Telefonnummer anbot. Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir uns mal wieder treffen würden und dieses Gespräch fortsetzen könnten! Bernd war begeistert, aber tat so, als sei ihm der Gedanke bis dato noch gar nicht gekommen. Dabei hatte er schon den ganzen Abend überlegt, wie er wohl an diese Telefonnummer kommen könnte. Tatjana diktierte ihm ihre Handynummer, die er sofort wählte. Somit hatte auch Tatjana seine Nummer und beide speicherten sie unverzüglich ab, so, als sei es ein ganz besonderer Schatz.
Bernd fuhr nach Hause. Seine Gedanken waren nicht auf der Straße, sondern bei Tatjana. Doch., diese junge Frau hatte ihm sehr imponiert. Auch Tatjanas Gedanken beschäftigten sich immer wieder mit dem Abend. Noch als sie im Bett lag, rief sie sich einige Momente ihres Gespräches ins Bewusstsein. Lächelnd schloss sie die Augen und kuschelte sich in ihr Decke. Bernd ist nett! Seufzte sie und schlief mit dem Gedanken an ihn ein. Auch Bernd lag im Bett und dachte immer noch über den vergangenen Abend nach. Er war froh, dass er doch zur Party gegangen war. So hatte er wenigstens Tatjana kennen gelernt. Tatjana ist nett! Dachte er, bevor er mit einem Lächeln einschlief. Die nächsten Tage nahmen die Beiden wieder vollständig gefangen. Tatjana hatte den Auftrag bekommen, einen Flügel eines dreigliedrigen Altarbildes zu restaurieren und bei Bernd war während der Urlaubszeit sowieso immer die Hölle los. In den wenigen Ruhepausen dachte er oft an Tatjana und immer wenn er das tat, schlich sich ein leises Lächeln über seine an und für sich ernsten Züge. Auch Tatjana hielt oft in ihrer Arbeit inne um sich die Bilder dieses Abends ins Gedächtnis zu rufen. Schade, dass er sich nicht meldet! Dachte sie mehr als einmal. Dabei wusste sie nicht, wie oft Bernd schon das Telefon in der Hand gehabt, ja sogar schon ihre Nummer aus dem Speicher aufgerufen hatte. Aber immer wieder hatte er die Scheu empfunden, sie zu bedrängen.
Es war ein Freitagabend, als er sich dann schließlich doch entschloss, Tatjana anzurufen. Das Telefon klingelte mehrmals durch, aber niemand meldete sich. Enttäuscht setzte sich Bernd an seinen Schreibtisch und las sich durch ein Fachmagazin. Nach einer halben Stunden meldete sich sein Handy. Tatjana. Er sah es auf dem Display. Seine Laune stieg. Entschuldige bitte. Ich lag in der Badewanne und kam nicht an mein Handy. Für einen Moment stellte sich Bernd diesen Anblick vor. Tatjana nackt in einer Wanne voller Schaum. Aber genau so schnell, verscheuchte er den Gedanken auch wieder. Das war völlig ausgeschlossen. Und doch! Wenn er so darüber nachdachte? Ein toller Anblick müsste das sein! Wolltest du was Bestimmtes? Nein! Eigentlich doch. Es ist lange her, dass wir miteinander gesprochen haben und da dachte ich, es wäre an der Zeit, es wieder einmal zu tun. Ich wollte dich einladen, mit mir etwas trinken zu gehen. Oder Essen, wenn du möchtest! Tatjana schwieg. Wirklich? Kam es zögerlich. Ja natürlich! Du, das wäre schön. Wann hast du denn gedacht? Also ehrlich gesagt heute, gleich. Aber wenn du keine Zeit hast, dann sage du, wann du kannst. Doch heute ist OK. Wann und wo? Sie verabredeten sich für 20.00 Uhr, in Kochs Bistro Bernd war etwas zu früh und wartete voller Ungeduld auf Tatjana. Als die schließlich kam, bekam er vor Staunen kaum noch den Mund zu. Tatjana trug heute ihre langen, dunklen Haare offen, nur von einem silbernen Haarreif gebändigt. Angezogen hatte sie eindunkelblaues Top und eine weiße Hose. So hübsch hatte er sie gar nicht in Erinnerung. Er stand auf und ging ihr ein paar Schritte entgegen. Als sie dann schließlich am Tisch saßen, bestellten sie sich eine Kleinigkeit zu essen und fingen an sich zu unterhalten. Es wurde wiederum ein gemütlicher Abend, der bei einem Espresso und noch etlichen Gläsern Wasser eine endlose Schleppe bekam. Es war schon lange nach Mitternacht, als sie sich an Tatjanas Auto von einander verabschiedeten. Lange noch sah Bernd den entschwindenden Rücklichtern nach, bis er schließlich selbst zu seinem Auto ging und ebenfalls nach Hause fuhr.
Ihre Treffen wurden häufiger. Wenn sie sich zwei oder drei Tage nicht sehen konnten, telefonierten sie, oder schrieben sich E-Mails und SMS. Bernd glaubte Tatjana schon ewig zu kennen und Tatjana ging es nicht anders. Manchmal saß Bernd in seinem Sessel und starrte ins Dunkel. Mochte er Tatjana nur so, oder mochte er sie richtig! Den sexuellen Reiz, den sie inzwischen auf ihn ausübte, mochte er nicht als Indikator sehen. Er wusste, oder genauer, er fühlte, dass er ziemlich ausgehungert nach Zärtlichkeit war. Das aber sollte kein Maßstab sein. Sie hatten nie darüber gesprochen, so als wäre eine gefühlsmäßige Beziehung nicht in ihren Gedanken enthalten. Er wusste nicht, ob und was Tatjana für ihn empfand. Er wusste es ja selbst nicht so genau. Tatjana ging es nicht anders. Sie hatte Bernd schätzen gelernt. Aber mehr? Sie wusste es nicht. In ihr schlief latent die Angst, ausgenutzt zu werden. Zweimal war ihr das schon passiert. Und für ihren Geschmack, war das genau zweimal zuviel.