Was für ein Flug … Zehn Stunden in der Business-Class. Und dann mit einem Speedboot zu einem Ort in der Welt, der höchstwahrscheinlich auf Google Maps nicht einmal einen Eintrag hatte. Es war einfach unglaublich.
Lisa spähte aus dem Fenster des Boots, das mit einem unglaublichen Tempo auf dem ruhigen Wasser dahinglitt und beobachtete die kleine Insel, die sich immer klarer vor dem Horizont abzeichnete. Es war dampfig heiß und es roch nach Meer.
Noch immer hielt sie das alles für verrückt.
Einfach unglaublich.
Ein Traumjob in einem luxuriösen Strandresort, einige leichte Aufgaben übernehmen und sich ansonsten den ganzen Tag lang verwöhnen lassen … Und sich dafür auch noch bezahlen lassen??? Das klang zu schön, um wahr zu sein.
Was hatte ihre beste Freundin ihr da nur eingebrockt?
„Sieh dir das an! Hast du schon mal so etwas Idyllisches gesehen?“ Mira hielt ihr das Phone hin.
Ja, vorhin. Auf den letzten gefühlten eintausend Fotos. Das Resort musste das Paradies auf Erden sein.
Hotel mit Pools und Bars in sämtlichen Ecken und Enden und alles auf einer kleinen Insel gelegen. Angeblich sollte es dort von Neureichen nur so wimmeln.
Mann, würden die anderen neidisch werden, wenn sie mit einer knackigen Urlaubsbräune zurückkamen.
„Was glaubst du, geben dort manche für eine Runde Champagner aus?“
„Keine Ahnung … Wieviel?“
„Fünfzigtausend“, Mira lachte. „EURO.“
„Blödsinn!“
„Steffi hat‘s mir vorhin geschrieben.“
„Echt? Aber … Gibt es so teure Drinks überhaupt?“ Um den Preis konnte man aber ziemlich viel Veuve Clicquot Brut trinken.
„Nein! Aber es gibt Leute, die an ganz besonderen Plätzen so viel dafür zahlen, Dummerchen.“
Mira zeigte ihr ein WhatsApp-Foto. Steffi grinste wie nach einem langen, erholsamen Urlaub.
„Was ist Armand de Brignac?“ Lisa runzelte die Stirn.
Noch nie gehört. Sie googelte Brut Rosé. Dreißig Liter …
Fünfundneunzigtausend Euro!
Die Luft blieb ihr weg.
„Ich … Ich glaube, ich kann das nicht.“
„Was?“ Mira sah sie müde an. „Was kannst du nicht?“
„Ich weiß nicht, ob ich mit Menschen zusammen sein will, die so viel Geld für etwas zu trinken ausgeben. Die müssen mich doch für komplett …“ Sie hatte nicht einmal das Geld für die Miete jeden Monat zusammen.
„Du siehst das verkehrt herum“, nickte Mira. „Besser, sie geben das Geld MIT uns und FÜR uns aus, anstatt für jemand anderen.“
Lisa presste die Lippen zusammen.
„Du und Steffi“, fuhr Mira fort. „Ich weiß, ihr mögt euch nicht. Aber sieh mal, sie hat sich ein Apartment gekauft. Wir beide dagegen müssen uns eine Wohnung mieten.“
„Ja, du hast recht.“ Lisa lachte. Das war schon immer ihr Problem gewesen. Dass sie zu viel nachdachte. Vielleicht sollte sie es einfach einmal laufen lassen und … genießen.
Zwanzig Minuten später war das Speedboot am Kai befestigt. In Richtung eines strahlenden Sonnenuntergangs.
Eine futuristisch anmutende Limo stand bereit und ein Fahrer in seidener Uniform öffnete ihnen die Tür und bedeutete ihnen einzusteigen. Schnell packte er ihre Taschen in den Kofferraum.
Wow.
Geräumig.
Sogar eine Minibar gab es und neben einer eisgekühlten Flasche Champagner standen auch noch andere Spirituosen sowie Weine und Biere bereit. Hmm … die Bar war unglaublich gut sortiert. Auch eine Flasche mit Milch war dabei!
Milch?!
Ob es … Kühe im Resort gab?
Sie blickte aus dem Fenster. Erwartete, auch noch andere Mädchen einsteigen zu sehen, aber unverhofft setzte sich die Limo in Bewegung.
„Sind wir die Einzigen?“, fragte sie den Fahrer. Er starrte sie kurz im Rückspiegel an und bedeutete ihr, dass er kein Deutsch sprach.
Mira schenkte sich einen Drink ein. Wodka.
„Wie viele hast du denn erwartet?“
„Na ja.“ Lisa zuckte mit den Achseln. „Mehr als nur uns zwei.“
„Auch einen?“, erkundigte sich Mira und hielt ihr Wodkaglas hoch.
Lisa sah kurz die vielen Sorten durch und schüttelte den Kopf.
Sie wollte nur noch duschen und dann ins Bett. Der Flug war viel zu lang gewesen. Morgen würde sie erst einmal ordentlich joggen gehen und dann … Wer weiß, was das Resort für sie vorgesehen hatte.
Gähnend sah sie sich die vorbeiziehende Landschaft an. Hübsch. Der perfekte Urlaubsort. Am liebsten hätte sie kurz die Augen zugemacht und gedöst, doch sie wollte nichts verpassen.
Und plötzlich …
Fuhren sie auch schon in die riesige Anlage ein. Überall brannten Lichter. Das sah wie ein Märchenpalast aus. Lisa klappte das Kinn herunter. Wie sollte man sich hier ohne eine Landkarte zurechtfinden? Ob es dafür eine App gab, die einen an den richtigen Ort lotste?
Wow.
Parks. Pools. Der Strand. Wie aus einem Film. Am liebsten wäre sie gleich dorthin.
Ein Golfplatz war hinten rund um einen malerischen See angelegt. Mira hatte letztens gemeint, es gäbe sogar Stallungen, um auszureiten, und zig andere Sachen, die sie gar nicht alle aufzählen konnte.
Hier waren eindeutig Milliardäre zuhause.
Der Wagen hielt gleich neben einem der prächtigen Gebäude beim Hauptpalast.
Lisa war von der Pracht und dem Glanz so erschlagen, dass sie zögerte, als der Fahrer ihr öffnete. Was hätte sie jetzt dafür gegeben, wie Aschenputtel in einem silberweißen Kleid und durchsichtigen Kristallheels aus ihrer Kutsche steigen zu können und vorbei an den vielen Statuen die geschliffenen Stufen hinauf zu defilieren.
Dagegen kam sie sich in ihren Skinny-Jeans und dem weißen Top fast underdressed vor.
„Mira.“
„Mhm?“, kam es verschlafen zurück.
„Wir sind da.“
Lisa stieg aus und Mira kroch hinterher.
Der Fahrer lächelte, murmelte etwas in einer fremden Sprache und verabschiedete sich. Und da war die Limo auch schon fort.
„Hey! Unsere Taschen!“
„Ach“, winkte Mira ab. „Die kümmern sich sicher darum … Mensch! Ist ja geil hier!“
„Und nun?“
Mira nickte die Stufen hinauf.
Offenbar sollten sie eintreten.
Lisa setzte tapfer einen Schritt vor den anderen. Die Sohlen ihre Sneakers knirschten auf den Stufen. War das Marmor? Und da drüben! Gold? Elfenbein? Oh Mann!
Sie atmete tief durch und trat in die Empfangshalle ein. Unvorstellbar, dass das hier nur das Nebengebäude neben dem „Haupthaus“ war.
Ihr Blick verlor sich hoch über ihnen an der mit Kristalllüstern übersäten Decke.
Das hier … Es war alles unglaublich. Allein die Teppiche mussten ein Vermögen wert sein. Dazu die Bilder an den Wänden und …
„Ihr müsst die neuen Mädchen sein“, vermutete jemand hinter ihnen. Mit befehlsgewohnter, kühler Stimme.
Lisa wirbelte herum.
Eine Frau.
Athletisch. Schlank. Dunkel. Wespentaille. Ihr Alter war schwer einzuschätzen. Was wahrscheinlich an ihrer wunderschönen glatten Haut lag, an ihrer eleganten Brille und dem langen schwarzen Zopf, der bis zu ihren Pobacken hinabreichte. Der seidene, wie ein Kimono geschnittene Mantel, der sich hauteng an sie schmiegte, ließ sie ziemlich geheimnisvoll aussehen. Aus irgendeinem Grund blieb Lisas Blick an der Stelle hängen, an der der Mantel ihre großen, spitzen Brüste im Zaum hielt und sich am unteren Ende so raffiniert wieder teilte, dass er die Fantasie anregte. Der Stoff war so dünn, dass man jederzeit ihre harten Knospen darunter erkennen konnte, und der Schluss lag nahe, dass sie das Ding nur abstreifen musste, um völlig nackt zu sein.
Lisas Mitte spannte sich an. So … hatte sie noch nie auf den Look einer anderen Frau reagiert, aber bei dieser war es … anders. Der Blick der pechschwarzen Augen schien durch sie hindurchzusehen – und dazu ihr energisches Gesicht, die leicht nach innen gewölbten Wangen …
Viel länger als notwendig starrte Lisa auf die verschlungenen Muster des Seidenmantels.
Die Frau verzog amüsiert die Mundwinkel.
„Dann wollen wir mal sehen, dass ihr aus euren Sachen kommt. Folgt mir bitte.“