Tinas Profil (Teil2)
‚Alle meine Entchen schwimmen auf dem See, schwimmen auf dem See…‘ - Als ich Tina am nächsten Tag in der Kaffeeküche traf, flötete sie schon wieder ihr dämliches Lied sich her und feixte.
„128 Mails in einer Nacht. Ich hab den ganzen Morgen gelesen. Freu mich schon, wenn ich nachher nach Hause komme.“
Oh weia, so hatte es bei mir auch angefangen. Ich hatte wochenlang nichts anderes zu tun, als mich über die ganzen Zuschriften zu freuen. Oder zu ärgern. Zu sortieren. Zu antworten. Antworten unabgeschickt wegzuschmeissen. Antworten abzuschicken und mich dann zu ärgern. Hin- und her zu mailen.
„Du hast doch noch nichtmal ein Profilbild drin. Darf ich mal fragen, was du da in dein Profil reingeschrieben hast, als du zu Hause warst?“ fragte ich vorwurfsvoll.
„…Vötzchen unter Wasser, Schwänzchen in die Höh’.“ Renate nervte weiter mit ihrem blöden Fick-Entchen-Lied.
„Boah, bist du blöd. Sag schon: Was hast du alles für Schweinereien angekreuzt auf deinem Profil?“
„Naja, das ganze Programm eben. Wenn schon denn schon.“
„Spinnst du?“
„Ach komm, Spaß muss sein.“
„Ey, ich find das echt nicht witzig.“
„Sag mal, was regst du dich denn so auf. Ist doch mein Profil. Kann ich doch machen, wie ich will. Das ist doch nur’n Profil, ey.“
Naja, irgendwie hatte sie ja recht. Im Grunde genommen wusste ich selbst nicht, warum ich mich so über Tina aufregte.
„Schon gut, mach was du willst.“
Ich holte mir nur schnell einen Kaffee und verschwand dann wieder im Lager. Musste mir allerdings selber eingestehen, dass ich es vor Neugier kaum aushielt. Also schnappte ich mir mein Smartphone und schloss mich aufs Mitarbeiter-Klo ein. Hastig tippte ich die Webadresse und suchte dann nach Tinas Profil. Mollytolly. Und dann traf mich fast der Schlag.
***
Du suchst eine Sau zur Frau? Prima, ich such die Liebe auf den ersten Fick!
Kleine süße Mollymaus, im wirklichen Leben eher schüchtern, mag es nass-versaut in allen Löchern. Wenn du genauso schmutzige Phantasien hast wie ich, dann lass uns zusammen unartig sein. Ich bin im wirklichen Leben ganz normal. Dafür bin ich privat um so wilder. Und genau das solltest Du auch sein!
PS: Vorsicht, ich habe viel nachzuholen! Das beste Kompliment für eine Frau ist ein vor Geilheit tropfender Schwanz!
PPS: Wenn Du der ‚Richtige‘ bist, dann will ich lang und viel Spaß mit Dir haben. Bis hin zu: Spätere Heirat nicht ausgeschlossen (smiley) Du siehst also, dass ich es ernst meine.
PPPS: Foto ist noch nicht freigeschaltet. Damit Du Dir ein Bild machen kannst: Ich bin 162 groß, hab hellrote Locken und derzeit 106 Kilo auf den Hüften. Wem mein herrlich dicker Arsch und meine Riesentitten nicht gefallen, der kann sich die Zuschrift sparen.
PPPPS: Ich such nix für nur zweimal in der Woche! One-Night-Stands können sicher lustig sein, aber Jungs, bedenkt, ich bin wirklich wirklich ausgehungert. UND DAS SOLLTEST DU AUCH SEIN!
PPPPPS: Stille Wasser ficken tief! Soll heissen: Ich mag gerne die etwas zurückhaltenden Männer, bei denen es noch etwas zu entdecken gibt!
Und jetzt: Ran an die Tasten, wenn Du in meiner Nähe wohnst. Ich werd’ bestimmt nicht ewig auf Dich warten!
***
Dazu hatte Tina so ziemlich alles an Vorlieben und Interessen angeklickt, was es da überhaupt zu klicken gab. Ehrlich gesagt wunderte mich nur, dass da nur 120 Männer geschrieben haben. Wollte Tina die 1000 sprengen, wenn sie erstmal Fotos von sich hochgeladen hätte?
Ich spürte, wie ein gewaltige Portion Eifersucht in mir aufstieg. Im Grunde spürte ich, dass Tina das einzig Richtige tat: Sie sagte es genau so, wie es war. Und im Grunde hätte ich jeden Satz in ihrem Profil auch eigenhändig unterschreiben können. Nur war mir das in diesem Moment eben doch noch nicht klar. Aus irgendeinem verdrehten Grund war ich immer mit dem Gefühl an die Sache herangegangen, dass die Welt bzw. das Netz voller böser oder doofer oder perverser Männer ist, die man erstmal durch schwachsinnige Profiltexte vertreiben musste. Auf keinen Fall gebunden sollten sie sein. Natürlich wollte ich vor dem ersten Treffen schon eine Garantie haben, dass sie mir ewige Treue schwören würden. Rasiert mussten sie sowieso sein, von wegen Haare im Mund und so. Ich hatte Woche für Woche immer neue Anforderungen in mein Profil geschrieben, die jeweils zu Stande kamen, weil ich erstens das Gefühl hatte, dass sowieso immer neue Mails im Postfach landen würden, egal, was in meinem Profil stand, und weil die wenigen Treffen, die ich dann überhaupt zustande kommen ließ, vor allem als Vorlage benutzte, um die Latte für die Männer immer noch ein Stückchen höher zu legen. Kam einer mit unrasiertem Schwanz, forderte ich nächsten Tag eine glatte Rasur. Natürlich sollten weder Bärte noch Brillen ihre Köpfe zieren, und selbst einen Waschbrettbauch zu verlangen war ich mir nicht zu blöde, dabei hatte ich selber mit meinen 100 Kilo fast genauso viel Speck auf den Hüften wie Tina. Fand ich auch nur einen Rechtschreibfehler zuviel in einer Mail, antwortete ich patzig ‚lern erstmal Deutsch’. Dabei war ich selber nun auch nicht gerade eine Professorin. Kurzum: Ich hatte mich die letzten ein zwei Jahre im Netz benommen, als wollte ich mir selbst beweisen, dass ich jeden Mann haben konnte. Und dabei war das einzige Mal, dass dabei etwas Längerfristiges herausgesprungen war - nämlich das mit Udo - , nicht aufgrund einer Mail an mich zu Stande gekommen, sondern weil Udo mehrmals auf meinem Profil gewesen ist und ich ihn schließlich selber angeschrieben hatte. Das allerdings, trotz meines patzigen Profil-Verhaltens, mit einigem Erfolg. Immerhin trafen wir uns schon seit drei Monaten mehr oder weniger regelmäßig. Ohne dass ich mich dabei aber in Sicherheit wiegen konnte.
Kurzum: Ich ließ es ganz schön an den Männern aus und gestand mir nichtmal ein, dass ich mich insgeheim von nicht wenigen Zuschriften trtozdem aufgeilen ließ. Nur, dass ich, wenn’s ums wahre Leben ging, immer wieder ein Haar in der Suppe fand. Oder anders gesagt: Ich hatte einfach Angst. Angst, ausgenutzt zu werden. Angst, etwas noch Besseres zu verpassen. Angst, mich ‚wegzuwerfen‘, wie meine Oma es wahrscheinlich ausgedrückt hätte. Angst, dass man meine Sehnsüchte und mein Verlangen allzu deutlich spüren würde und ich dafür verachtet werden würde.
Das Problem war nur, dass ich es in dieser Situation, als ich mit zitternden Händen Tinas Profil las, überhaupt noch nicht geschnallt hatte, was mit mir los war. Dafür hatte ich Tina gestern nicht mein Profil gezeigt. Eigentlich wollte ich mit ihr über die peinlichsten Männerzuschriften lästern. Ein Abend unter Freundinnen, an dem man sich einig ist, wie bescheuert die Typen alle sind. Nur dass Tina da überhaupt nicht mitgemacht hatte, sondern plötzlich total geil wurde von all den Schwanzbildern und notgeilen Zuschriften und gleich selber ein Profil anlegen wollte.
Ich packte mein Smartphone ein und ging zurück in die Kaffeeküche. Ich war, um es milde auszudrücken, stutenbissig: „Ich hab mir gerade mal dein Profil angeschaut. Ich hoffe, du bist zufrieden mit deinen 128 Mails?“ Dabei klang meine Stimme wirklich sarkastisch.
Tina drehte sich um und zischte mich nun richtig giftig an. „Sag mal, was ist denn eigentlich dein Problem, du blöde Votze?“
„Uuups. So kenn ich dich ja gar nicht.“ Ich konnte nicht locker lassen. Offenbar hatte ich nicht gemerkt, dass nicht nur das Kaffeewasser, sondern auch Tina selbst schon am kochen war. Und auf einmal legte sie los, dass es fast dampfte und pfiff, als sie mich flüsternd zusammenstauchte…
„Im übrigen: Nein, ich bin NICHT zufrieden. Zufrieden wäre ich, wenn ich mich sofort auf der Stelle mit jedem einzelnen, der mir da geschrieben hat, treffen könnte. Wenn jeder einzelne der 128 Männer es mir in allen, aber wirklich allen Löchern nach Herzenslust besorgen würde. Wenn ich mich von oben und unten und hinten und vorn und in den Mund und den Arsch und die Votze aber sowas von abfüllen lassen könnte, dass ich davon platze.“ Sie kaute die Worte wir einen alten Kaugummi und spuckte mir jedes einzelne davon voller Wut ins Gesicht.
Ich hob abwehrend die Hände um sie zu beruhigen, aber Tina war jetzt nicht mehr zu bremsen.
„Ich hab nämlich mindestens ein Jahr lang keinen Mann mehr gehabt. Der letzte, der mich gefickt hat, war der Idiot von der Fleischtheke. Und daran will ich mich wirklich nicht erinnern. Ich will ficken und küssen und lutschen und lecken und schlucken und will mich gehen lassen dabei und will dass meine Ficker sich gehen lassen. Und ich will das nicht nur einmal, sondern immer. Immer wieder. Ein Leben lang. Ich will nicht mehr allein sein. Und ich will Sex. Und schon gar nicht will ich so ein Arschloch wie meinen Ex, der mir dauernd sagt, dass ich zu fett bin. Ich will Männer, die meine Pfunde richtig geil finden. Die nicht erst einen Porno schauen müssen, damit sie geil werden und wir mal Sex haben, sondern die so läufig und geil auf mich sind, dass man mit ihnen sogar Porno DREHEN könnte. Ich bin allein und ich bin ungefickt. Und in diesem scheiss Supermarkt werde ich nie einen kennenlernen, der was von mir will. Hier muss ich nämlich diesen bekloppten Kittel tragen und ja bitteschön ja dankeschön sagen. Und ich will auch nicht mehr auf Mister Right warten, sondern ich will Spaß, Spaß und nochmal Spaß. KAPIERT?“
„Ooops.“ Mehr als ein bescheuerte Ooops brachte ich nicht raus. Mir war die Kinnlade heruntergefallen. Blöderweise klang ich immer noch höhnisch und herablassend, so, als wäre Tina der letzte Trottel.
„Und im übrigen dachte ich, du seist meine beste Freundin und würdest das vielleicht verstehen. Und mir nicht bescheuerte Vorträge halten, weil mir Dein Profil nicht gefällt.“ Tina kannte kein halten mehr. „Und noch eins, wenn mir schon dabei sind: Rate mal, wer mich fast als erstes geschrieben hat? Dein toller Udo. Der war nämlich, als wir uns über sein Profil totgelacht haben, wahrscheinlich den ganzen Abend im Netz unterwegs und hat Profile angeschaut oder sonst was getrieben. Und der klang jetzt gar nicht so, als wenn er mein Profil doof fände, sondern hat sich ganz schön ins Zeug gelegt bei seiner Mail. Und der hat nicht nur einen leckeren Schwanz und ein paar ganz entzückende Vorlieben, sondern ist durchaus in der Lage, ein einsames Herz mit einer einzigen Mail ins Bett zu quatschen. Von wegen, das sei ja das romantischste Profil, das er seit langen gelesen hat. Er hätte noch nie eine Frau getroffen, die so sehr wüsste, wie es in ihm selber zugeht. Das sei ja, wie in einen Spiegel zu schauen. Weil bei ihm die Sehnsucht sich zu verlieben und die schlimmste sexuelle Gier einen ebenso verzehrenden Kampf miteinander ausfechten wie bei mir. Und er sei sich sicher, dass das erst aufhören würde, wenn er jemanden trifft, in dessen Brust sich Gier nach Verbotenem und Sehnsucht nach Liebe einen ebenso heftigen Kampf liefern wie bei ihm, und deshalb müsse er mich sofort treffen, egal ob im Bett oder nur für eine Minute am Kaffeeautomaten in der Stadtbibliothek. Er hätte das Gefühl, sein bei der Geburt getrennten Zwilling getroffen zu habe, so sehr spräche mein Profil ihm aus dem Herzen.“
Nicht mehr ‚Ooops’. Ich wurde knallrot und fing an zu hyperventilieren. „Wenn Du das machst, dann… dann…“ rang ich um Worte. Mein Udo hatte Tina angeschrieben? Einen Moment lang hoffte ich, sie hätte sich das nur ausgedacht um mich zu provozieren.
„Ja, was dann? Sag mir mal, was dann ist. Dann sind wir nicht mehr befreundet?“
„Dann…“ mir fiel immer noch nicht ein, womit ich drohen könnte. Ich spürte nur, wie ein glühender Dolch aus Eifersucht und Machtlosigkeitsgefühlen in meiner Brust steckte. Ich hatte Tränen in den Augen.
Tina sah, dass ich gleich losheulte, aber anscheinend war ich ihr so auf die Nerven gegangen, dass sie nicht einfach mit ein paar Tränen von mir zu besänftigen war: „Jetzt sag ich Dir mal was. Ich habe überhaupt nicht vor, mich mit Deinem Udo zu treffen. Ich werde dem noch nichtmal antworten. Ich weiss nämlich sehr wohl, dass du meine beste Freundin bist und dass sowas absolut tabu ist, selbst, wenn du ihn auf den Mond schießt. Ich würde den noch nichtmal nehmen, wenn er dir völlig egal ist. Ich hab nämlich noch 127 andere Zuschriften. Und wer weiss, wenn ich jetzt mein Smartphone raushole und nachschaue, dann sind es vielleicht schon doppelt so viele. Ich habe nämlich Alternativen. Aber was du hast, das nennt man ein PROBLEM. Anstatt mir Vorträge zu halten, wie mein Profil auszusehen hat, und hier arrogant die Augenbraue hochzuziehen und mich wie die letzte Idiotin zu behandeln würde ich mich an deiner Stelle nämlich lieber mal um mein eigenes Profil kümmern. Da draußen sind nämlich noch ungefähr eine Million weiterer Frauen die solo sind. Oder noch schlimmer: Die nicht solo sind und einfach mal zwischendurch etwas Spaß haben wollen mit Männern wie deinem Udo. Und wenn dein Udo noch am gleichen Abend, an dem eine Frau aus seiner Stadt ein neues Profil online stellt, ihr flammende Liebeserklärungen mit Zwei-Seelen-ach-in-seiner-Brust zusendet, dann ist das wohl ein mehr als eindeutiges Zeichen dafür, dass Udo sich nicht ganz so gut gefickt fühlt, wie er sich eigentlich fühlen sollte.“
Tinas Worte drangen wie durch eine dicke Eisschicht zu mir. Ich hatte eine riesigen fetten Kloß im Hals. Es würgte mich regelrecht. Ich spürte mein Herz bis in den Hals hinauf schlagen, so doll, dass es in den Ohren wehtat. Und: Ich weinte. Bis zum letzten Moment hatte ich versucht, keine Träne rauszulassen, aber nun kullerten sie mir einfach über die Wangen.
Tina sah mich nun mit der gleichen heruntergefallenen Kinnlade an, die ich eben noch gehabt hatte. „Oh Mann, Anja, tut mir leid. Ich hätte es nicht sagen sollen.“
Ich biss auf meine Kiefer und versuchte, irgendwie dieses Würgen im Hals runterzuschlucken. Als Tina versuchte, mich in den Arm zu nehmen, machte ich mich so steif wie eine Leiche.
„Hey Anja, es tut mir leid. Wirklich wirklich. Ich wollte das nicht. Tut mir leid, dass ich dir so weg getan habe. Männer sind manchmal scheisse.“
Schließlich ließ ich mich doch von ihr in den Arm nehmen. Dann heulte ich einfach los. Ich heulte, wie ich seit langer langer Zeit nicht mehr geheult hatte.
„Hey, Du“, Anja streichelte mir über den Kopf und hielt mich fest. „So schlimm? Ist das sowas Ernstes mit Udo, dass es so wehtut?“
„Ja“, schluchzte ich. Und „Nein.“ „Ich weiss nicht. Doch. Ich dachte nur dass er… ach Scheisse. Ich bin so eine Idiotin.“
„Ach Mensch, Anja, du hast doch selber immer noch dein Profil online und lässt dir dauernd Mails von Männern schicken.“
„Ja, aber ich antworte nicht darauf“, flennte ich.
„Ehrlich? Nie?“
„Fast nie“, schluchzte ich. „Aber das ist etwas anderes.“
„Hey, das ist eben Internet. Frauen haben Profile und Männer schreiben die Briefe. Das ist wie beim Tanzen. Da fordern eben die Männer uns Frauen auf. Und wir können nichts anderes machen als toll zu sein und mit Blicken zu flirten.“
„Ja aber mich hat er noch nichtmal angeschrieben, sondern ich hab ihn angeschrieben.“ Ich heulte jetzt total heftig. Ich fühlte mich so gekränkt und hintergangen.
„Ja Anja, weil Du ein total ätzendes Profil hast. Ist doch logisch. Ich hab im Gegensatz zu Dir ja noch nichtmal Bilder bei mir drauf. Und trotzdem schreibt er mich an. Und bei Dir hat er nicht geschrieben, weil er einfach Angst hatte zu versagen. Kein Bart, keine Brille, keinen Bauch, keine Fehler in der Mail, keine ONS, keine gebundenen Männer, keine Ausländern, keine Dauermailer, keine Sofortficker. Ich meine: Wer soll sich da denn verlieben? Das ist ja schlimmer als eine Stellenausschreibung. Ist doch klar, dass er, wenn eine unter Tausend mal ein anderes Profil hat, eine Mail schickt. Und hey: Der kennt mich überhaupt nicht. Das einzige was ich weiss ist, dass er neugierig ist.“
„Weil ich scheisse bin.“ jetzt heulte ich erst recht.
„Du bist überhaupt nicht scheisse. Du bist genauso wie ich. Sonst hättest du ja wohl auch nicht sein Profil angeklickt. Da steht nämlich im Grunde nichts anderes drin als bei mir, nur eben aus männlicher Perspektive.“
„Nein, Udo findet mich einfach hässlich und zu fett und scheisse.“
„Hallo, hörst du dir selber zu? Ich bin zehn Kilo fetter als du. Und du bist das Gegenteil von hässlich. Du siehst aus wie Marylin Monroe, bloß mit 25 Kilo Übergewicht.“
„35!“
„Ja gut, von mir aus auch 35. Davon gehen aber mal zehn auf Deine Titten und zehn auf Deinen Arsch, und darauf stehen Männer bekanntlich.“
„Scheiss Hängetitten“, flennte ich. „Ich hasse sie.“
„Schätzchen, hör mir mal zu. Wenn deine Titten hängen, dann schleifen meine auf dem Fußboden. Du hast Körbchengröße Doppel-D. Die können nicht stehen. Du hast große schöne schwere Brüste, nach denen die meisten Männer verrückt sind.“
„Ich hab ‚E‘ und sie hängen.“
Tina lachte. „Na gut, von mir aus hast du F oder G oder Z. Aber fast alle Männer lieben große Brüste. Und Udo erst recht, sonst hätte er nicht mir geschrieben sondern irgendeinem schlanken Supermodel. Die Titten werden also nicht schuld sein.“
„Ich hasse dich.“ Ich heulte Tinas Schulter nass und hämmerte mit zitternden Fäusten voller Verzweiflung über mein Unglück gegen ihren Oberkörper.
„Pass auf, entweder, du schießt Udo in den Wind, oder du regst dich jetzt ganz schleunig ab, nimmst dein Smartphone, rufst ihn an und sagst, dass du ganz fürchterlich scharf auf ihn bist und endlich mal richtig von ihm gefickt werden willst. Und dann machst du hier deinen Kram fertig, setzt dich ins Auto, fährst zu ihm und vögelst dir mit ihm die Seele aus dem Leib. Denn wie ich die Sache sehe ist dein Udo ein ganz schön geiler Bock, dem es gerade gewaltig in den Eier juckt. So sehr, dass er wildfremden Frauen ohne Foto im Profil Mails schreibt. Und die Frage ist nur, wer davon etwas abbekommt. Irgendeine hergelaufene ******** aus dem Internet oder du. Und wenn ich du wäre, dann würde ich ihm so gründlich den Saft aus den Eiern holen, dass er danach nicht mehr in der Lage ist, überhaupt den Computer anzuschalten.“
„Was?“
„Nicht ‚was?’! Fick ihn, dass ihm hören und sehen vergeht. Erschlag ihn mit deinen Titten. Puscher ihm in den Mund während er Dich leckt. Melk ihn mit Möse und Arsch ab. Lass ihn die Zunge in Deinen Po stecken. Mach es richtig doll und dreckig. Die ganze Nacht am besten. Fick ihn und lass dich ficken, dass er die nächsten drei Tage keinen mehr hochbekommt. Mach’s ihm, wie er es noch nie bekommen hat. Ich meine: Sooo geil sieht er jetzt auch nicht aus, dass er hier sonstwas wegficken würde. Das ist doch ein ganz normaler Typ der auf mollige Frauen steht und richtig schön geil und schmutzig ficken will. Wahrscheinlich nur eben etwas öfter als zweimal im Monat oder so.“
„Nee nee, warte mal. Ich soll ihm die Zunge in den Po stecken?“ Ich fasste es nicht. Ein paar Mal schon hat Udo versucht, mich da hinten zu lecken. Ich hatte mich irre geschämt und ganz unsagbar schmutzig gefühlt. Hatte Udo etwa in nur einer einzigen Mail an Tina sowas geschrieben? Mich hatte er nur immer mit Andeutungen traktiert und ich hatte ihn an der ganz kurzen Leine gehalten und war immer ausgewichen.
„Hab ich nicht gesagt, Anja. Er soll DIR die Zunge in den Po stecken. Oder sonst einen Scheiss. Ach Menno, eben irgendwas, worauf er steht.“
„Warum soll er darauf stehen?“ ich starrte Tina forschend an. „Hat er das etwa geschrieben?“
„Jetzt krieg nicht gleich wieder eine Krise. Hat er nicht. Er hat nur geschrieben, dass er wie ein junges Hundewelpen an meinem Popo schnüffeln will. Dass er mit seiner nassen kalten Nase an meinen süßen Popo stupsen möchte. So’n Zeug eben.“
„DAS HAT ER GESCHRIEBEN? Was soll denn das? Warum schreibt der denn solche Sachen. In seiner ersten Mail?“ Ich war vollkommen entrüstet. Immer noch am heulen mischte sich eine tierische Wut mit meiner Verzweiflung. Dieser Arsch!
„Weil er’s von Dir nicht kriegt? Und weil er scharf drauf ist? Weil er gerne animalischen wilden Sex haben will und gerne mein Popo beschnüffeln will und wahrscheinlich ja nicht schnüffeln, sondern ganz anderen Schweinkram machen will und weil er es darüber hinaus drauf hat, sowas in ganz süßen lustigen Sätzen zu verpacken? So dass man selber Lust drauf bekommt? Weil man sich beim Lesen vorstellt, wie er wie ein kleiner Hund hinter mir hockt und zu bellen anfängt und dann plötzlich auf mich auf springt und los rammelt? Und weil das geil ist, sich das vorzustellen? Weil er… einfach Phantasie hat?“
„So! ein! Arsch! Ein verdammter!“ Ich war echt entrüstet.
„Hallo, soll er jetzt an meinem Popo schnüffeln oder an deinem?“
„Das muss ich mir echt überlegen.“ Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
„Schnucki, auch wenn ich jetzt nicht so die erfolgreichste Jägerin aller Zeiten bin, so ist doch eines vollkommen klar. Es geht kaum mal eine Beziehung auseinander, wenn der Sex noch richtig geil ist. Das heisst im Umkehrschluss: Wenn du ihn willst, dann sorg dafür, dass es im Bett klappt. Oder lass ihn wenigstens dafür sorgen. Oder wie auch immer. Jedenfalls fickt in drei Gottes Namen. Und zwar so viel und lang und heftig und versaut wie es nur irgendwie geht. Oder du suchst dir einen anderen. Dann passt es nämlich sowieso nicht mit Euch. Alles andere kannst du vergessen! Es ist vollkommen egal, ob er mir geschrieben hat oder irgendjemand anderem da draußen in der weiten Welt. “
„Eben. Der Arsch. Wer weiss, wem er noch alles schreibt.“
Tina fasste mich an beiden Oberarmen an und begann mich zu schütteln.
„Willkommen in der Realität. Was dachtest du denn, was er macht? Zu Hause sitzen und stricken? Während du mit deiner besten Freundin dein Postfach durchstöberst und dich an Fick-Mails aufgeilst?“
„Ich geil mich nicht dran auf. Ich wollte dir nur zeigen, wie bescheuert die sind.“
„Ahhh ja. Und deshalb schaust du dir jeden Abend dein Postfach an. Und zeigst mir das auch noch stolz wie Oskar.“
„Ich geil mich trotzdem nicht dran auf.“
„Und genau das, Schätzchen, ist dein Problem. Mit genau dieser blöden Haltung schaffst du es, noch den letzten Idioten in die Flucht zu treiben. Sich Schwanzbilder zuschicken lassen und sich dann trotzig hinzustellen und zu behaupten, du willst sie gar nicht. Aber selber Bilder von Deinem Arsch ins Netz stellen.“
„Vielleicht schau ich mir lieber Gesichtsbilder an als Schwanzbilder?“ entgegnete ich trotzig.
„Sag mal, bist du so blöd oder tust du nur so? Warum hast du denn selber kein Gesichtsbild drin? Weil dich sonst jeder Idiot erkennt. Das ist unsere Mitarbeiterin Frau Anja Müller. Frau Müller bedient an der Käsetheke und ist ausserdem auf Swingerportalen aktiv. Sie steht auf Spermaschlucken, Fisten und Analverkehr. Kannste ja gleich einen Aushang am schwarzen Brett machen. Natürlich hat kein vernünftiger Mensch ein Gesichtsportrait im Netz. Ausser, wenn ihm eh schon alles egal ist. Wo soll also das Problem sein?“
„Dann will ich wenigstens etwas ästhetische Bilder sehen, nicht immer nur Schwänze.“
„Dann will ich wenigstens etwas ästhetische Bilder“, äffte mich Tina nach. „Vielleicht sind Schwänze ja ästhetisch? Vielleicht ist es langweilig, sich Waschbrettbäuche oder Popos in Jeans anzuschauen, weil ich mir die den ganzen Tag in jedem Quelle-Katalog anschauen kann? Vielleicht WILL ich ja Schwänze sehen? Oder zumindest beklage ich mich nicht und stöhne, wie langweilig das ist? Ich meine, wenn Dir Schwänze zu langweilig oder zu unästhetisch sind, dann schaff dir ein Profil bei Parship an.“
„Du bist doof.“ Ich musste zum ersten Mal selber schmunzeln.
„Nö, einigermaßen geil. Und immer noch traurig, dass ich dir das mit Udos Mail gesagt habe. Das war doof.“
„Nee, das war richtig. Ist besser, wenn ich’s weiss als wenn nicht.“ Ich streichelte Tina über die Wange.
„Ich würde wirklich nie mit einem Mann mit dem du…“
„Ich weiss“, flüsterte ich. „Tut mir leid, dass ich so doof war mit deinem Profil.“
„Scheiss drauf. Nicht schlimm.“
„Und was soll ich jetzt machen mit Udo?“
„Weiss nicht. Hast schon recht: Wenn man kein Vertrauen in die Typen hat, kann einem ganz schön die Lust vergehen. Aber: Sind die anderen besser?“
Tina hatte Recht. „Weiss nicht. Sind wir besser?“
„Ich weiss nur: Wir müssen deutlich schlimmer werden. Wir sind einfach viel zu brav und artig und wollen immer nur den Einen. Da wird man dann leider immer wieder verarscht.“
„Wir sollten viel mehr ficken.“
„Sag ich ja.“