Nennen wir sie Martina.
Natürlich heißt sie ganz anders, aber wir wollen sie ja nicht bloßstellen. Martina war so Mitte dreißig, groß gewachsen und schlank. Sie hatte lange, rote Haare, die ihr weit den Rücken hinunter fielen. Wenn sie sie offen trug. Das war aber selten der Fall. Meist trug sie ihre Haare zu einem Zopf geflochten und dann aufgesteckt.
Martina war Fachärztin für Anästhesiologie und Notfallmedizin und fuhr als Notärztin in unserer Rettungswache.
Ich hatte gerade meinen Lehrgang als Elektrotechniker beendet. Seit meinem Zivildienst fuhr ich ehrenamtlich im Rettungsdienst.
Sonntagmorgen, 05 Uhr. Nicht zum ersten Mal überlegte ich mir, ob ich mir nicht ein vernünftigeres Hobby hätte aussuchen können. Am Wochenende so früh aufstehen, das war schon beinahe masochistisch. Dennoch, ich tat es immer wieder, weil mir mein Hobby eben Spaß machte.
Es war gegen 06 Uhr, als ich die Wache betrat. Der Nachtdienst war wach und man konnte sehen, dass sie eine anstrengende Nacht hinter sich hatten.
Auf dem Tisch standen die Koffer und warteten darauf neu bestückt zu werden und auf dem Schreibtisch lagen stapelweise Notfallprotokolle.
Ein kurzes Hallo, wie gehts? das mit einem Brummeln beantwortet wurde und der schnelle Griff zur Kaffeekanne. Nach dem ersten Schluck half ich dem Kollegen, die Koffer aufzufüllen, trug sie mit ihm zum Auto und begann den Fahrzeugcheck.
Alles in bester Ordnung. Auf dem Rückweg begegnete ich dem Nachdienstdoktor, der endlich mit seinen Protokollen fertig war und nach Hause eilte.
Mein Kollege trank noch eine Tasse Kaffee mit mir und wir plauderten über die Unzulänglichkeiten der Rettungsdienstleitung und die Notwendigkeit, dass endlich ein neues Notfalleinsatzfahrzeug (NEF) beschafft werden musste.
Die Karre ist absolut ausgelutscht. Die kommt nicht mehr auf Touren. Aber du wirst es ja selbst merken, wenn du nachher damit fährst.
Mit diesen Worten stand mein Kollege auf und verschwand nach Hause. Jetzt war ich alleine in der Wache.
Ein Blick auf den Dienstplan zeigte mir, dass ich mit Frau Dr. W. Diensthaben würde. Allerdings war sie noch nicht da.
Gegen 08 Uhr machte ich mich, immer noch alleine, auf den Weg in die Kantine um zu frühstücken. Ich holte mir Kaffee, zwei Brötchen, etwas Wurst und Käse, sowie ein Joghurt und stellte alles auf ein Tablett. Das Tablett trug ich an einen freien Tisch und begann mein frugales Mal.
Diesmal schaffte ich es tatsächlich mein Frühstück fertig zu essen und meinen Kaffee fast auszutrinken, bevor der vermaledeite Alarm losging.
Also ließ ich das benutzte Geschirr stehen, rannte zur Tür hinaus und stieg in mein Auto. Die paar Meter auf dem Klinikgelände zum vereinbarten Treffpunkt mit den Ärzten fuhr ich ohne Sondersignal. Ich meldete mich bei der Leitstelle und bekam sofort die relevanten Einsatzdaten. Wolfstraße 24; der Name Schulze; unklare Bewusstlosigkeit.
Wie ich solche Verdachtsdiagnosen hasse. Das konnte alles sein.
Zu meinem Erstaunen kam nicht Frau Dr. W. die Rampe herunter gerannt, sondern Martina.
Morgen. Was geht ab? Unklare Bewusstlosigkeit! Weißt du wo es hin geht? Ja
Mehr Worte wechselten wir nicht.
Um diese Uhrzeit ist Sonntagmorgens selbst in eine Großstadt nicht viel los und so kamen wir zügig voran..
Nach kurzer Zeit waren wir am Notfallort.
Koffer, EGK, Sauerstoff und BTM-Box. Tausendmal geübte Handgriffe liefen mechanisch ab. Ein kurzes Suchen am Klingelschild und gleichzeitige Verwunderung dass der Rettungswagen noch nicht da war.
Die Türe öffnet sich und wir rannten die Treppe hinauf.
Dritter Stock. Natürlich. Altbau. Ebenfalls natürlich! Hoffentlich wiegt der Patient jetzt nicht auch noch eine Tonne.
An der Wohnungstür empfing uns eine aufgeregte, junge Frau. Bitte, kommen Sie schnell, mein Freund ist tot. Tränen standen in ihren Augen.
Das klang gar nicht gut. Sie wies uns den Weg ins Schlafzimmer.
Unser Patient lag nackt auf dem zerwühlten Doppelbett. Halb auf dem Rücken, halb auf der Seite, die Augen geschlossen.
Wir stellten unsere Utensilien ab. Martina ging zum Patienten hin, berührte ihn an der Schulter und sprach ihn an. Keine Reaktion.
Ich hatte schon die Kabel des EKG in der Hand und klebte sie auf seinen Brustkorb. Ein Knopfdruck und gespanntes Warten. Währenddessen überprüfte Martina die Atmung und gab Entwarnung. Tiefe, feste Atemzüge, mit einer fünfzehner Frequenz. Puls leicht verlangsamt, 50 Schläge!
Das EKG war wie aus dem Lehrbuch. OK, ein bisschen langsam vielleicht, aber ein guter Sinusrythmus. P-Welle, ORS-Komplex und ST-Strecke waren deutlich zu sehen und in keiner Weise ungewöhnlich.
Nur, unser Patient war bewusstlos. Ich hatte einen Verdacht, wollte aber der Ärztin nicht vorgreifen. Dennoch nahm ich ein kleines Gerät aus dem Koffer und machte es bereit.
Ohne etwas zu sagen ging Martina einen Schritt auf die Seite und ich piekste unseren Patienten mit einer kleinen Nadel in die Fingerkuppe. 2 Minuten später hatten wir das Ergebnis. Der Blutzuckerwert war auf 50 gesunken.
Die nächsten Handgriffe erfolgten schnell und professionell. Zugang legen, Infusion anhängen und Glucose spritzen.
Wie ist das denn passiert, fragte Martina die junge Frau.
Keine Ahnung. Plötzlich hat er die Augen verdreht und ist bewusstlos geworden.
Ich drehte mich um. Jetzt nur nicht lachen. Die Geschichte war mir sonnenklar. Sonntagmorgen, Ruhe, ausschlafen. Gemeinsames aufwachen, ein bisschen kuscheln und ein gemütlicher Sonntagmorgenfick.
Wenn man dabei aber vergisst, das man Diabetiker ist?
Ein Blick auf Martina zeigte mir, dass sie zum gleichen Schluss gekommen war.
Langsam fing die junge Frau an, sich zu beruhigen. Sie setzte sich sogar aufs Bett und strich ihrem immer noch eingetrübten Freund die Haare aus der nassen Stirn.
Endlich war auch der Rettungswagen da und die Kollegen bereiteten unseren Patienten auf den Transport vor. Ich nahm inzwischen die Personalien entgegen. Jetzt saß die junge Frau mir gegenüber auf dem Sofa.
Während ich die notwendigen fragen stellte und meine Buchhaltung machte, sah ich immer mal wieder hoch. Nettes Mädchen. Aber ein unfolgsamer Morgenrock. Man konnte ihren Busen mehr als nur erahnen und einmal blitzte der Morgenrock soweit auf, dass man zwischen Ihre Beine schauen konnte.
Reiß dich am Riemen, dachte ich. Du bist im Dienst. Ehrlich gesagt fiel es mir nicht sehr schwer. Das Mädel entsprach nicht unbedingt meinen Träumen, obwohl sie hübsch war.
Der Patient war eingeladen und Martina fuhr im Rettungswagen mit. Ich zockelte langsam hinter dem Wagen her. Eile war jetzt nicht mehr geboten.
Nach der Übergabe der Notaufnahme fuhr Martina mit mir in die Wache zurück. Koffer auffüllen, Notfallprotokoll schreiben.