Meine Gedanken rasten durch meinen Kopf, überschlugen sich. Fielen die beiden gerade in diesem Moment übereinander her, rissen sich die Kleider vom Leib und begannen noch im Stehen an einander rumzufummeln? Was würden sie treiben, wenn sie auf dem Bett lagen? Sich küssen? Sich gegenseitig streicheln, oder einfach nur drauf los ficken?
Quälende Bilder brannten sich in meinem Kopf ein, ein Film lief ab, wie Jochen zwischen den weit gespreizten Beinen dieser Frau lag und sie mit Hingabe stieß. Ich hörte sie förmlich stöhnen und keuchen, ich hörte die Frau spitze Schreie ausstoßend, sich ihm entgegen werfen, seine Stöße erwidern. Ich sah, wie er von ihr abließ, sich auf den Rücken legte und sie auf ihn kam. Zuerst, um ihn zu blasen, dann um ihn zu reiten. Ich sah, wie er sie von sich weg drückte, wie sie sich hin kniete und für ihn die Beine breit machte, damit er sie von hinten stoßen konnte.
Seltsam, natürlich waren diese Bilder quälend, machten sie mich traurig, verletzten sie mich, aber sie sorgten auch für eine gewisse Erregung in mir. Eine komische Situation. Ich war mir sicher, dass mein Freund gerade Sex hatte, Sex mit einer anderen Frau und hatte, bei aller Traurigkeit, doch das Bedürfnis in mir, jetzt ebenfalls Sex zu haben.
Ein Gedanke setzte sich in mir fest. Würde ich jemals wieder Sex haben? Eines war für mich klar, mit Jochen konnte und wollte ich nicht mehr. Meine Gedanken fuhren Karussell, überschlugen sich, verschoben sich von Traurigkeit in Wut, in Zorn. Der konnte was erleben. Um mich abzulenken, malte ich mir aus, wie ich ihn zur Rede stellen, ihn mit seiner Untreue konfrontieren würde. Natürlich würde er alles abstreiten, aber ich würde schon für Beweise sorgen. Mit einem Schlag war mir klar, dass ich warten würde, bis die beiden, einzeln, oder zusammen, das Hotel verlassen würden. Ich würde sie fotografieren, dann schnell nach Hause fahren, das Nötigste packen und verschwinden.
Nur die Bilder würden auf dem Tisch liegen. Gleich um die Ecke war ja ein Drogeriemarkt. Wohin ich fliehen würde, das war mir noch nicht so ganz klar, aber da würde sich schon etwas ergeben. Notfall würde mich Martina sicher für ein paar Tage aufnehmen.
Mit solchen Gedanken verging die Zeit schneller als erwartet. Von der nahen Kirche her, hörte die Uhr schlagen. 4 Uhr, jetzt konnte es nicht mehr lange dauern. Und richtig, kaum fünf Minuten später kamen sie aus der Tür, kurz hintereinander. Schon hatte ich das Handy bereit und schoss zwei, drei Bilder. Ich hatte beide gut getroffen. Noch ein Bild, als sie mitten auf dem Platz waren, dann ging Jochen, ohne sich umzudrehen, ohne nach ihr zu schauen nach rechts ab, wo er vor zwei Stunden auch her gekommen war.
Ich hob die Hand, um die Bedienung auf mich aufmerksam zu machen, als ich plötzlich sah, wie die junge Frau den Platz ganz querte und genau auf das ‚Joey’s’ zu kam. Sie schlängelte sich anmutig durch die Tischreihen und setzte sich genau vor das Fenster, hinter dem ich saß.
Die Bedienung kam und sie bestellte sich einen Orangensaft. In ihren Stuhl zurück gelehnt, streckte sie ihr Gesicht in die Sonne und schien mit sich und der Welt zufrieden.
Ihr Orangensaft kam und sie nippte daran. Gerade als sie das Glas wegstellen wollte, hörte ich den melodischen Klang ihres Handys. Sie fummelte es aus der Handtasche, warf einen Blick auf das Display und meldete sich. „Hallo Schatz!“ Sollte Jochen....? Sie hörte einen Moment zu. „Nein, ich war bei Tamara. Jetzt bin ich schon fast wieder zu Hause.“ Wieder hörte sie zu, länger diesmal.
Mein Blick fiel zufällig auf die andere Seite des Raums. Der Mann, der auch immer noch da war, hatte sich etwas nach vorne gebeugt. Deutlicher sah ich ihn jetzt. Er hatte sein Handy am Ohr und redete mit jemand. „Wie kommst du darauf?“ Hörte ich die Frau wieder antworten. „Im Moment bin ich an der S-Bahn Haltestelle.“ Eine glatte Lüge. „Na dann halt nicht!“ Hörte ich sie sagen und schon hatte sie das Gespräch beendet. Das Handy landete auf dem Tisch und sie lehnte sich, wie es schien, selbstgefällig zurück.
Ich nahm eine Bewegung war. Der Mann war von der anderen Seite her gekommen und stellte sich jetzt etwas seitlich von mir auf, so dass er das offene Fenster vor dem sie saß im Blick hatte. Ich sah, wie auch er ein Foto machte und dann wieder zurück schlich.
Ein Verdacht kam in mir auf. Sollte er etwa der Partner der jungen Frau sein? Möglich war es. Die Junge Frau hatte ihr Handy wieder aufgenommen und hielt es jetzt ans Ohr. „Ich bin es. Du musst mir einen Gefallen tun. Wenn Peter anruft sag ihm, dass ich bis vorhin bei dir war.“ Sie lauschte kurz und lachte dann ins Telefon. „Sag ich dir ein anderes Mal. Jetzt muss ich erst mal machen, dass ich heim komme.!“ Dann legte sie auf. Wenig später hatte sie ihren Saft ausgetrunken, bezahlt und verschwand dann in der Menge.
Ich überlegte. Sollte ich meinen ursprünglichen Plan in die Tat umsetzen? Während ich die Frau beobachtet hatte, war mir nämlich ein Gedanke gekommen. Wahnwitzig zwar, aber immerhin machbar. Hin und her überlegte ich, doch dann kam mir der Zufall zu Hilfe.
Der Mann war wieder aufgestanden und machte sich dran zu gehen. Dadurch kam er nah an meinem Tisch vorbei. Ohne zu zögern, aber mit belegter Stimme, sprach ich ihn an. „Entschuldigen Sie bitte.“ Er wand mir mit fragendem Blick den Kopf zu. Langsam stand ich auf. „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich aufdringlich bin, aber es könnte sein, dass wir etwas zu besprechen haben.“ Er sagte keinen Ton, aber ich spürte, dass ich sein Interesse geweckt hatte.
Er blieb einfach stehen und sah mich an. Ich winkte ihn zu mir und reichte ihm die Hand „Sina Bauer.“ Zum ersten mal hörte ich seine Stimme „Peter Ries.“ Sein Händedruck war warm und kräftig. „Wollen wir uns nicht setzen?“ Er nickte und rückte sich mir gegenüber einen Stuhl zurecht. Fragend sah er mich an. Plötzlich verließ mich der Mut. Wie bringt man so ein heikles Thema zur Sprache? Was, wenn ich mich irrte? Aber immerhin, die Frau hatte von einem Peter gesprochen und das Foto, das er gemacht hatte, passte auch ins Bild.
„Entschuldigen Sie bitte, wenn ich vielleicht etwas Falsches vermute und sage, aber kann es sein, dass sie hier jemanden beobachtet haben?“ Er nickte langsam und bedächtig mit dem Kopf. Ich wurde mutiger. „Ihre Frau oder Freundin?“ Wieder nickte er. „Die blonde Frau mit dem blauen Kleid? Ein erneutes Nicken, aber diesmal gepaart mit einem fragenden Blick.
„Sie geht fremd?“ „Woher wissen Sie?“ Die Frage kam langsam, bedächtig, so als würde er die Antwort schon kennen. Ich senkte meinen Blick. „Weil sie vermutlich mit meinem Freund fremd geht!“ Stille! Eine lange, qualvolle Stille. Dann seine Antwort. „Ist nicht wahr, oder?“ In seiner Stimme war nicht der Zweifel ob der Tatsache, sondern mehr das Erstaunen, dass dieser Zufall wohl kein Zufall sein konnte. „Es scheint so“, bekräftigte ich meine Worte.
Wieder herrschte Stille zwischen uns. „Wie haben Sie es heraus bekommen?“ Seine Frage traf mich unerwartet. Aber er ließ mir Zeit, mich zu sammeln. Langsam erzählte ich ihm meine Geschichte. „Und Sie?“ Schloss ich sie wenig später ab. Er zuckte mit den Schultern. „Zufall! Vor zwei Wochen habe ich sie in das Hotel verschwinden sehen.“
Wir schwiegen. „Ich frage mich, wie lange das schon so geht!“ „Keine Ahnung, aber sicher schon eine Weile!“ Er nickte. „Länger als ein paar Wochen?“ „Bestimmt.“ Ich berichtete ihm, was Martina über die Kalendereinträge gesagt hatte.
„Lassen Sie uns woanders weiter reden. Mir geht die Nähe des Hotels auf den Nerv.“ Da konnte ich ihm nur zustimmen. Froh, einen Verbündeten, oder doch zumindest einen Leidensgenossen, getroffen zu haben, folgte ich ihm, ohne zu fragen wohin er mit mir gehen würde.
Ein anderes Lokal, ein Biergarten mit uralten Kastanien. Während unseres Weges hatten wir kein Wort miteinander gewechselt und auch jetzt, als unsere Getränke vor uns standen schwiegen wir uns an. Dann plötzlich fing er an zu erzählen. Wie sie sich kennen gelernt hatten, sich in einander verliebt, wie sie ihr Leben gemeinsam gelebt hatten. Drei Jahre waren sie schon zusammen, ein Jahr weniger, als Jochen und ich. Plötzlich und unvermittelt fragte er mich, „glauben Sie, dass es Liebe ist?“ Ich verstand ihn. „Vermutlich!“ Langsam nickte er. „Oder meinen Sie, dass es den beiden nur um Sex geht?“ „Vielleicht?“ Antwortete ich leise, eingedenk dessen, was mir Martina so en passant gesagt hatte.
„Ich bin also nicht gut genug für sie!“ Stellte er leise fest. „Und ich nicht gut genug für Meinen?“ Feststellung, oder Frage? Ich selbst wusste es nicht. Sein Blick traf mich und leises Interesse schwang darin mit. „Kann ich mir nicht vorstellen!“ Meinte er trocken, lächelte aber leicht dabei. Diese Wendung war mir unangenehm und so stellte ich ihm, etwas provokant, die Frage, „und warum denken Sie dann, dass sie nicht gut genug sind für Ihre Frau?“ „Freundin!“ Stellte er richtig. „Oder nein, Exfreundin!“ „Sie wollen ihr nicht verzeihen?“ Er schüttelte nachdrücklich den Kopf. Wieder schwiegen wir, aber ich unterbrach die Stille mit meiner Frage. „Warum meinen Sie, dass Sie nicht gut genug für sie sind? Oder wollen Sie nicht darüber reden?
„Weiß ich, was im Kopf einer Frau vorgeht?“ Stieß er fast unwillig hervor. „Können Sie mir sagen, was Frauen wollen?“ Ich wollte etwas sagen, doch er ließ mich nicht zu Wort kommen. „Wollt ihr kuscheln, wollt ihr Zärtlichkeit, wollt ihr Sex, wollt ihr ein Vorspiel, wollt ihr nur ficken, wollt ihr einmal, zweimal dreimal? Was wollt ihr eigentlich?“ „Und was wollt ihr Männer?“ Parierte ich die Frage. „Immer nur, wenn ihr wollt, oder dürfen wir Frauen auch wollen? Dürfen wir auch mal genießen, oder müssen wir euch nur dienen, damit ihr zufrieden seid?“ Ich hatte mich in Rage geredet und mehr von mir verraten, als ich wollte. Mit kämpferischem Blick sah ich ihn an.