Seit zehn Minuten saß ich jetzt in dieser Fensternische und sah auf den sonnendurchfluteten Berthold-Brecht-Platz. Menschen hasteten hin und her, strömten in Scharen zur Außenbestuhlung der vielen Cafes, Bistros, Kneipen, die den Platz säumten. Schulkinder mit Ranzen auf dem Rücken, die nach Hause strebten, junge Mütter mit Buggy und Kiddyboard, vergeblich bemüht den quengelnden Nachwuchs mit Notfall-Brezel oder Trinkflasche ruhig zustellen. Teenager schlurften betont gelangweilt in Grüppchen und Gruppen, entweder sich lautstark unterhaltend, oder mit Stöpsel im Ohr, den Blick starr auf I-Phone und Co gerichtet über den Platz, während Anzugträger in ungewohnter Eile, auf der Suche nach einem Plätzchen fürs Mittagessen im Freien, den schwerbeladenen Hausfrauen auswichen, die gerade mit Tüten, Taschen und Netzen beladen, vom Markt kamen.
Alles in allem ein normaler Donnerstag, ein Idyll, an dem ich mich vielleicht hätte erfreuen, es zumindest still genießend hätte beobachten können, wäre da nicht ein klitzekleiner Umstand gewesen, der mir die Freude daran verdarb. Nein, ich war nicht zu meinem Vergnügen und auch keinesfalls freiwillig zu dieser Zeit an diesem Ort. Und nein, ich die erklärte Sonnenanbeterin, hatte mich nicht freiwillig in das schattige Halbdunkel von Joeys zurück gezogen. Ganz und gar nicht!
Ein Anruf Martinas, erwartet, gefürchtet und doch dann überraschend, war es gewesen, der mich fluchtartig meinen Schreibtisch verlassen und hier her eilen ließ. Sein Kalender ist von zwei Uhr bis um vier Uhr geblockt! Und er hat angekündigt, dass er außer Haus und nicht erreichbar sei!
Jetzt war es halb zwei und ich saß, wie gesagt, in der Fensternische von Joeys und wartete darauf, ob mein Freund tatsächlich, so wie es mir Martina schon vor drei Wochen in einem qualvollen Gespräch anvertraut hatte, fremdgehen würde!
Ganz offensichtlich war ich die Einzige, die nichts davon gemerkt hatte, dass Jochen sich außerhäuslich amüsierte. Wenn man so viele Jahre zusammen ist, wie wir, kann es schon mal passieren, dass das sogenannte Feuer der Leidenschaft ein ganz klein wenig nachlässt und zur mehr oder weniger heißen Glut wird.
Jochen war nie von allzu großer Leidenschaft getrieben gewesen, aber er macht, wie man sagen könnte, seine Sache nicht schlecht! Nicht, dass ich über große Erfahrung verfügen würde, Jochen war damals erst mein dritter Mann gewesen, aber immerhin hatte er mich dazu gebracht, weniger verklemmt zu sein, mich offener zu geben und Sex als Geschenk anzunehmen, von dem beide etwas haben konnten.
Sex fand plötzlich nicht mehr nur nach Terminplan und auch schon gar nicht nur im Bett statt. Jochen fand Gefallen daran, mich im Bad, in der Küche, oder auch mal im Wohnzimmer zu verführen und das konnte zu jeder Tageszeit passieren. Nein, schlecht ging es mir mit Jochen keinesfalls.
Obwohl, mir war auch aufgefallen, dass er sich, wie soll ich es sagen, keine allzu große Mühe mehr gab und hin und wieder hatte ich das Gefühl dass es ihm gar nicht Recht war, wenn meine Hand sich unter seine Decke schlich. Seltener als früher fand ich das Feld vorbereitet vor und wenn wir es dann trieben schien er weit, weit weg zu sein. Ich hatte es der Anspannung im Beruf zugeschoben.
Nach dem plötzlichen und unerwarteten Tod seines Abteilungsdirektors, war sein direkter Vorgesetzter Nachfolger im Vermögensmanagement einer überregional tätigen Bank geworden und Jochen war auf die Stelle des Teamleiter nachgerückt. Jetzt führte er das Wealth Management und somit 20 Private Banking Berater. Natürlich war das ein großer Karrieresprung für ihn, aber das brachte eben auch viel Stress und zusätzliche Belastung.
Ich akzeptierte und fand mich damit ab, dass Jochen angespannter, ja zeitweise auch, abweisender war, als ich ihn sonst erlebt hatte.
Und dann war eines Abends Martina, meine beste Freundin, bei mir aufgetaucht. Martina arbeitete in der gleichen Bank, war dort im Marktmanagement tätig und kannte alle und jeden. Und natürlich kannte sie auch Jochen und weil sie oft Termine für ihn vereinbaren musste, hatte er sie für seinen Kalender freigeschaltet. Ein Fehler, wie sich herausstellte.
Denn Martina war aufgefallen, dass meist Donnerstags der Nachmittag geblockt und als privat gekennzeichnet war. Eigentlich nicht außergewöhnlich, hätte sie Jochen nicht an einem dieser Donnerstage zufällig mit einer Frau auf dem Berthold-Brecht-Platz gesehen. Und am darauffolgenden Donnerstag wieder.
Sie hatte mir die Frau beschrieben. Groß, mehr als schlank, ewig lange Beine. natürlich blond und langhaarig, hübsches Gesicht, aber ein wenig leer! Und du meinst....? Atemlos hatte ich es hervorgestoßen, atemlos und ungläubig. Martina hatte mit den Schultern gezuckt. Was weiß ich, aber ich finde es auffällig. Sie beugte sich zu mir herüber, so als wolle sie mir Geheimnis anvertrauen. Ich habe es nachgeprüft, sagte sie in verschwörerischem Ton und nickte dabei. Sie treffen sich immer drei Wochen hintereinander und dann ist eine Woche nichts!
Erst verstand ich nicht, dann wurde es mir schlagartig klar. Mutter Natur! Das war allerdings auffällig und trug nicht wirklich dazu bei, die in mir gesäten Zweifel zu beseitigen. Martina unternahm einen mehr als ungeschickten Versuch mich zu beruhigen. Sie nahm meine Hand und tätschelte sie. Das muss ja nichts bedeuten. Vielleicht braucht er sie nur zum bumsen!
Mir blieb fast die Luft weg. Unabhängig vom Zusammenhang mit Jochen, war ich doch verwundert. So eine Einstellung hätte ich von ihr nicht erwartet. Gleichzeitig wurde mir klar, wie wenig ich doch von meiner angeblich besten Freundin wusste. Klar, sie hatte Beziehungen gehabt. Frank, Jürgen und vor einem Jahr etwa mal für etwas längere Zeit einen Simon. Aber so eine Einstellung? Nur zum bumsen? Ich war mehr als verwirrt.
Jetzt guck nicht so, wie ein Moralapostel! Warum denn nicht? Wenn einem danach ist? Ich sagte nichts. Sag bloß, du hast nicht auch ab und an nur deshalb mit einem Typen gefickt, weil du geil warst, oder weil dich einfach nur interessiert hat, wie er so im Bett ist! Ich schüttelte den Kopf. Niemals! Martina lächelte spöttisch. Wers glaubt! Aber wenn du meinst!
Auf jeden Fall hatte mir Martina meine mutmaßliche Nebenbuhlerin ausgiebig beschrieben und dann, ein paar Tage später, mir mitgeteilt, dass sie sich offensichtlich City-Hotel treffen würden. Einerseits hätte sie die beiden ja vor dem Hotel gesehen und anderseits wäre sie bei Jochen gewesen und hätte rein zufällig eine Quittung des Hotels auf seinem Schreibtisch gesehen, die er, kaum hätte er ihren Blick gesehen, unauffällig habe verschwinden lassen.
Ich weiß nicht mehr, wie wir darauf gekommen sind, auf jeden Fall hatten wir den aberwitzigen Plan beschlossen, zu überprüfen, ob er wirklich eine Geliebte habe. Zu diesem Zweck würde sie mir sagen, wann der nächste geblockte Termin im Kalender auftauchen würde.
Und heute war es also soweit. Wieder ein Donnerstag und wieder von zwei bis vier. Deshalb saß ich da, deshalb hatte ich meine Arbeit im Stich gelassen, deshalb drehte ich mein Glas nervös in meinen Händen. Zum gefühlt hundersten Mal sah ich auf die Uhr. Immer noch mindestens eine viertel Stunde. Ich versuchte mich abzulenken und sah mich um.
Das Joeys war so gut wie leer, was man vom Außenbereich nicht behaupten konnte, da waren alle Tische besetzt. Meist mit Gruppen oder Pärchen. Im Innenraum war nur noch ein Gast, aber der saß, wie ich, nahe beim Fenster, nur auf der anderen Seite des Raums. Wie ich auch, im Halbschatten und deshalb nur schemenhaft zu erkennen.
Den Blick auf den Platz gerichtet, dachte ich über alles Mögliche nach, auch über Martina. Wie hatte sie doch an diesem Schicksalshaften Abend doziert?
Sex kann man auf zweierlei Arten sehen. Als Bestandteil einer Beziehung, oder als freie Entscheidung, Bedürfnisse des Körpers zu befriedigen. Und die hat man naturgemäß auch dann, wenn der Partner mal gerade nicht da ist. Und dann? Sie sah mich bei der rhetorischen Frage an. Man kann es sich selbst machen, oder man krallt sich jemand, der es einem besorgt.
Ich war baff. Martina, diese ruhige und wie es schien abgeklärte Frau, der ich bestenfalls in Ausnahmefällen nächtliche Handarbeit zugetraut hätte, ging mit irgendwelchen Typen ins Bett. Und das offensichtlich nicht zu selten. Und ich? Nun, ich war in meinen Beziehungen immer treu geblieben und hatte, nur ganz selten zur Selbsthilfe gegriffen. Ich kam mir irgendwie langweilig und prüde vor.
Plötzlich spannte sich alles in mir an. Jochen kam über den Platz geschlendert, seine Blicke wanderten suchend von rechts nach links. Ich lehnte mich schnell zurück, da ich nicht von ihm gesehen werden wollte. Nach bangen Augenblicken beugte ich mich vorsichtig vor. Jochen hatte beigedreht, ging nun mit gesetzten Schritten auf den Eingang des City Hotels zu und verschwand zwischen den sich öffnenden Flügeln der automatischen Schiebetür. Also, doch!
Jetzt beherrschte mich nur noch eine Frage. Würde ich sein Flittchen erkennen. Meine Augen scannten die Umgebung Viele Frauen waren zu sehen, auch die eine oder andere Blonde, doch keine ging ihm nach. Vielleicht war sie schon vorher gekommen? Schon stellte ich mir die Frage, ob ich gehen, oder bleiben sollte, da sah ich, wie eine blonde Frau nach ihrem Handy griff, dass vor ihr auf dem Tisch lag, eine Nachricht las und aufstand. Groß, schlank, blond, lange Beine. Blaues Minikleid und hohe Schuhe. Sie packte ihr Handy in die voluminöse Handtasche und strebte mit schnellen Schritten dem Eingang des Hotels zu.
Ich war wie erschlagen, konnte es nicht fassen. Die Frau war mit Sicherheit jünger als ich, deutlich jünger. Ihre Figur konnte man als tadellos bezeichnen. Und wahrscheinlich war sie im Bett auch besser als ich! Aller Mut verließ mich und nur mit Mühe konnte ich meine Tränen zurück halten.