Die zehn Minuten, die Cosima brauchte bis sie wieder da war, brauchte ich, um mich wenigstens halbwegs wieder einzukriegen. Ich sah einem spannenden Abend entgegen, denn ich vermutete, dass Cosima nun einiges erklären würde. Cosima trug eine elegante Jeans und ein Top. Allerdings trug sie die Haare weiterhin offen und hatte keine Brille auf. Sie setzte sich mir gegenüber und schenkte, nach einem fragenden Blick, zwei Gläser ein.
Schön, dass du da bist. Ich nehme an, dass du einige Fragen hast. Hattest du wohl gestern schon, aber nach Lage der Dinge, werden meine Antworten jetzt anders ausfallen, anders ausfallen müssen. Ich nickte und wollte gerade zu sprechen anfangen, als sie die Hand hob.
Um eines muss ich dich bitten. Ich verlange absolute Diskretion von dir! Gegenüber jedermann! Habe ich dein Versprechen? Auf jeden Fall, beeilte ich mich zuzustimmen.
Ok, dann schieß los! Sie setzte sich entspannt zurück und sah mich an. Leichter gesagt als getan. Konnte ich sie mit meinen Vermutungen konfrontieren? Sie grinste mich an. Hat die Katze deine Zunge gefressen?
Du bist also Psychologin, bist promoviert? Ja, nickte sie. Und du therapierst nur Frauen? Nicht nur, aber meistens. Jetzt wusste ich nicht mehr weiter. Zögernd fragte ich, Und meine Schwägerin gehört auch zu deinen Patientinnen? Welche Schwägerin? Sie schien ehrlich erstaunt. Na Anne, die eben erst gegangen ist. Cosima griff nach ihrem Glas. So, dass ist deine Schwägerin! Bedauerlich! Das hätte nicht sein müssen, ich meine, dass du sie gesehen hast. Ein blöder Zufall! Jetzt bestehe ich erst Recht auf Diskretion, vor allen Dingen ihr gegenüber. Verstanden? Wieder nickte ich und versprach es.
Dann schwiegen wir beide. Viele Fragen lagen mir auf der Zunge, aber ich traute mich einfach nicht, sie auszusprechen. War das alles, was du wissen wolltest? Ich hob die Schultern. Noch nie zuvor hatte ich mich so in der Falle gefühlt, wie jetzt.
OK, dann erzähle ich dir mal was. Vielleicht beantwortet dir das deine Fragen. Aber wunder dich nicht, ich bin nicht zimperlich. Ich nickte. Ich auch nicht!
Sag mal, hast du Sex? Die Frage kam unerwartet. Wie meinst du das? Sie rollte mit den Augen. Ist das so schwer zu verstehen? Ich will wissen, ob du Sex hast, regelmäßig! Ich schüttelte den Kopf. Aber hin und wieder schon? Ein Nicken war die Antwort. Mit wem? Kam es wie aus der Pistole geschossen. Wieder zuckte ich mit den Schultern. Was antwortet man darauf? Immer mit der selben Frau? Nein! Und wo bekommst du diese Frauen her? Keine Ahnung, das ergibt sich manchmal so! Also, keine Liebesbeziehung, nur Sex! Ja, meist, gab ich der Einfachheit halber zu. Cosima nahm einen Schluck. Bezahlst du für Sex? Geht diese Frage nicht ein bisschen weit? Fragte ich zurück. Also, ja! Meinte sie trocken. Den Schlussfolgerungen dieser Frau war ich nicht gewachsen. Warum? Kam schon die nächste Frage. Weil es einfacher ist! Cosima nickte.
Findest du dass es schwer ist, eine normale Frau zum Sex zu überreden? Ich dachte nach. Eigentlich ja. Frauen ließen sich nicht so leicht überzeugen. Männer waren da wohl einfacher gestrickt. Ja! War meine Antwort. Was denkst du, warum das so ist? Weil Frauen anders ticken? Auch, aber es gibt noch einen anderen Grund. Und der wäre? Ich war ehrlich interessiert.
Ihr Männer seid der Grund! Wenn ihr eine Frau rumgekriegt habt, fragt ihr euch, ob sie leicht zu haben ist und aus dieser Frage, macht ihr dann eine Meinung. Ihr seid nämlich ziemlich inkonsequent. Am liebsten hättet ihr eine Jungfrau mit jahrelanger Erfahrung, aber die gibt es nicht und ihr lasst die Frauen diesen Mangel auch spüren. Ich wollte widersprechen, doch sie gebot mir zu schweigen.
Ihr pflückt die Frauen wie Blumen, stellt sie für eine Weile in eine Vase auf den Tisch und wenn sie welk werden, oder ihr schönere Blumen findet, entsorgt ihr sie. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Tatsache. Wieder wollte ich was entgegnen, doch wieder ließ sie es nicht zu.
Auch Frauen haben körperliche Bedürfnisse, werden geil, wollen es unbedingt, aber sie haben Angst vor den Konsequenzen. Sie wollen keine Flittchen sein, nicht leicht zu haben und schon gar nicht genommen werden. Aber sie wollen Sex und sie wollen ihr Glücksgefühl erleben. Beide schwiegen wir.
Aus diesem Dilemma kommen viele Frauen nicht heraus. Es dauert lange, bis sie sich jemand anvertrauen können. Und am besten geht das bei einer Frau. Oft kommen diese Frauen zu mir und berichten von irgendwelchen seelischen Belastungen. Aber wenn man hinter die Fassade schaut, läuft es häufig auf das Gleiche heraus. Frust im Bett und Frust durch Mangel an Sex! Ich ließ ihre Worte auf mich wirken, fand aber keine Antwort. So hatte ich das noch nie gesehen.
Und du hilfst Ihnen dabei, das Dilemma zu überwinden? Ja! Und wie! Ich höre ihnen zu, versuche ihnen Selbstbewusstsein zu geben und ich rate Ihnen in ihren Körper hinein zu hören. Fragend sah ich sie an. Sie schüttelte, wie in Unverständnis, den Kopf. Klarer Fall, du weißt es nicht. Oder ist dir bekannt, dass 80% der Frauen beim Sex mit ihrem Partner keinen Orgasmus bekommen? Ich nickte! Aber es gibt ja auch noch andere Spielarten, warf ich ein. Typisch Mann. Ich meine nicht nur beim ficken. Ich meine überhaupt! Ich war skeptisch. Und wie soll sich das ändern? Die Frauen müssen sich ändern! Die Männer auch, das ist klar. Aber die Frauen müssen lernen, auf sich zu achten. Und sie müssen erkennen, was ihnen gut tut. Und wie tun sie das? In der Gruppentherapie!
Aha! Nix Aha. Das ist der einzige Weg. Indem sie sich mit einem anderen Frauenkörper beschäftigen, in dem sie von Frauen in und zu ihren Gefühlen geleitet werden, können sie erlernen und erkennen, was ihnen fehlt und wie sie es bekommen können. Was ich selbst nicht weiß, kann ich auch nicht einfordern. Sex zwischen Frauen? Warum nicht? Ich musste an Anne denken. Du machst aber auch Einzeltherapie? Sie grinste. Manchmal! Dann wurde sie wieder ernst.
Anne ist ein anderer Fall. Sie traut den Männern nicht mehr. Hat einige Enttäuschungen hinter sich. Sie vertraut niemand mehr. Aber sie hat Bedürfnisse und ich helfe ihr dabei, die zu befriedigen. Meine Neugierde fraß mich bald auf, aber ich sagte nichts. Jetzt grinste Cosima wieder. Sicher, ich zeige ihr schon so einiges, aber vor allen Dingen, den Umgang mit Spielzeug. Aber nicht nur? Nein, nicht nur! Ihr habt es also vorhin miteinander getrieben! Warf ich trocken ein! Cosima sagte nichts, lächelte aber. Also, doch ein Callgirl, allerdings eines für Frauen! Cosima schien nicht beleidigt zu sein. Wenn du das so sehen willst, habe ich nichts dagegen!
Eine Frage hatte ich noch. Sag, bist du lesbisch! Nur wer beides kennt, kann sich für das Richtige entscheiden! Das ist keine Antwort auf meine Frage! Doch! Nein! Bist du lesbisch? Nein, bin ich nicht! Aber ich habe auch nichts dagegen, mit einer Frau das Bett zu teilen! Also, Bi? Vielleicht! Und nach welcher Seite tendierst du mehr? Mal so, mal so!
Cosima sah auf die Uhr. Du musst jetzt gehen. Ich erwarte noch Besuch! Ich unterdrückte meine Frage und stand auf. Das war ein sehr interessanter Abend! Kann ich mir denken. Wir können ihn ja ein andermal fortsetzen. Und draußen war ich. Für einen Moment war ich versucht zu warten und in Erfahrung zu bringen, wer wohl ihr Besuch sei, doch ich fuhr dann trotzdem heim.
In dieser Nacht fand ich kaum Schlaf und war am nächsten Tag entsprechend schlecht drauf. Meine Schwägerin sah ich jetzt mit andern Augen. Und seltsam, plötzlich kam sie mir gar nicht mehr wie die Frau meines Bruders vor, sondern ich sah sie als attraktive Frau, deren sinnlicher Körper meine Gedanken beschäftigte.
Doch mein Besuch in der alten Heimat hatte noch eine viel größere Überraschung für mich bereit. Als ich zwei Tage später von einem kurzen Trip wieder zu meiner Schwägerin kam, saß die mit Cosima im Wohnzimmer. Offensichtlich hatte ich die beiden bei einer intensiven Unterhaltung gestört. Wenngleich Cosima ziemlich ruhig erschien, war Anne doch ziemlich nervös und hatte einen hochroten Kopf. Cosima kennst du ja. Sie hat mir von dir erzählt! Ich quittierte die Vorstellung mit einem Lächeln und gab Cosima die Hand. Ich will euch nicht stören und verschwinde gleich in mein Zimmer. Du störst nicht. Setzt dich doch. Anne wirkte noch nervöser, fast verstört.
Ein bedrückendes Schweigen legte sich auf uns, das Cosima schließlich brach. Es hat schon einen Grund, warum ich hier bin. Ach ja? Jedes weitere Wort konnte zuviel sein. Ich habe gestern lange mit Anne telefoniert. Um es kurz zu machen, Anne ist scharf auf dich, hat aber auch Angst davor, dass es eine Enttäuschung werden könnte. Jetzt wurde ich knallrot. Außerdem traut sie sich nicht, es dir zu sagen, dich zu fragen. Auch Anne leuchtete wie eine Tomate. Deshalb tue ich es für sie. Macht sie dich auch an? Willst du mit ihr ins Bett? Ich schwieg. So was hatte ich noch nie erlebt. Wir wollen eine ehrliche Antwort!
Ich suchte nach Worten. Man kann doch nicht, schon gar nicht, wenn jemand anderes dabei ist zugeben, dass man mit einer Frau ins Bett will. Anne knetete ihre Finger und ich suchte vergeblich nach einer Lösung. Cosima sagte nichts, sah mich nur an! Und? Ihre Frage war nicht ungeduldig, eher neugierig. Da ist doch lächerlich, suchte ich einen Ausweg in Allgemeinplätzen. Warum? Cosima war ganz cool. Willst du, oder willst du nicht? Ja, natürlich will ich! Bellte ich voller Frust Cosima entgegen. Dann sag es ihr doch! Jetzt wurde ich störrisch. Warum? Sie kann es ja auch sagen! Da hat er recht! Also? Auffordernd sah sie Anne an.
Die wand sich wie ein Wurm an der Angel. Ich würde gerne mit dir ins Bett flüsterte sie fast unhörbar, ohne mich anzusehen. Jetzt gab es kein zurück mehr. Ich mit dir auch! Gab ich fester zurück, als mir zu Mute war.