Meine angespannte Aufmerksamkeit wurde jäh unterbrochen. Erst knackte es, danach ertönte ein leises Summen und dann war die quäkende Stimme meines Chefs zu hören.
Anne, sind Sie bitte so lieb und kommen in etwa einer viertel Stunde in mein Büro? Also, um neun? Danke!
Wieder war das knacksen zu hören und dann herrschte wieder Ruhe.
Wenn ich etwas noch mehr hasse, als dieses Gegensprechdings aus alten Zeiten, dann ist es wenn jemand meinen Vornamen anglisiert, also Änn, ausspricht. Und wenn dieser Jemand noch mein Chef ist, könnte ich ausrasten. Ich mag ihn nicht!
Vor vielen Jahren habe ich BWL studiert und bin dann irgendwann bei Hansen & Co. gelandet. Dort sollte ich das Controlling aufbauen, was ich auch getan habe. Aber dann hatte der alte Hansen genug vom Arbeitsleben und da der junge Hansen keine Lust hatte, die Firma weiter zu betreiben, hat er sie, gerade zur rechten Zeit, an einen großen amerikanischen Konzern verkauft. Der alte Hansen konnte für seine Angestellten gerade noch so viel erreichen, dass die Firma bestehen blieb. Der junge Hansen tat ein übriges und sorgte dafür, dass sein alter Spezi Roser, eine herausgehobene Stellung bekam. Er wurde Chef der Betriebswirtschaft, obwohl er wenig Ahnung davon hatte.
Die Amerikaner ließen uns weitestgehend in Ruhe, nachdem sie uns ihr System übergestülpt hatten, ja sie machten uns sogar zur Europazentrale des Konzerns. Roser war glücklich, ließ auf seine Visitenkarten Chefbetriebswirt drucken und spielte Abteilungsleiter. Formell gehörte die Buchhaltung auch zu uns, aber Frau Seeger, eine mit allen Wassern gewaschene Bilanzbuchhalterin, ließ sich von ihm nichts sagen. Da er das wusste, drangsalierte er mich.
Er belegte das ehemalige Büro von Hansen mit Beschlag und platzierte mich in dem kleinen muffigen Raum, der früher mal die Sekretärin beherbergte. Ich nehme an, wegen der Gegensprechanlage. Kein Tag verging, an dem er nicht zehn, oder zwanzig Mal dieses vermaledeite Dinge benutzte, vornehmlich dann, wenn er Besucher hatte.
Noch etwas hatten die Amerikaner eingeführt und Roser stürzte sich darauf. Ich finde es ja eine Unsitte, dass sich alle Welt mit Vornamen und Sie anspricht. Für mich ist das weder Fisch noch Fleisch. Aber Roser stand darauf. Und er nannte mich Änn!
Ich schluckte meinen Ärger hinunter und arbeitete weiter. Die Amerikaner wollten eine Prognose für das Geschäftsjahr haben. Oder besser, sie wollten sie aktualisiert haben. Konnten sie bekommen. War zwar viel Arbeit, aber immerhin machbar. Und sie würden mit den Zahlen zufrieden sein, das sah ich jetzt schon.
Eine Minute vor neun Uhr machte ich mich auf den Weg. Aus meinem Zimmer, zwei Schritte den Gang hinunter und dann stand ich vor Rosers Büro. Den direkten Weg hatte ich ihm und mir schon lange verbaut, als ich in einer Nacht- und Nebelaktion auf meiner Seite einen Aktenschrank aufstellen ließ. Die Tür war zu!
Höflich klopfte ich und trat nach Aufforderung ein. Roser räkelte sich hinter seinem Schreibtisch, auf einem der beiden Stühle davor saß, mit dem Rücken zu mir, sehr aufrecht und sehr angespannt eine Person, die ich nicht erkannte.
Rosers Erscheinung war mal wieder unterirdisch. Sein Frettchengesicht sollte wohl Würde ausstrahlen, zeigte aber irgendwie das Gegenteil. Sein grauer Anzug stand ihm nicht, Hemd und Krawatte passten nicht dazu und ließen ihn wie einen farbenfrohen Clown aussehen.
Ah Änn! Schön, dass Sie es einrichten konnten. Darf ich Ihnen Martin vorstellen? Die Gestalt vor Rosers Schreibtisch erhob sich und drehte sich um. Mir stockte der Atem. Der Typ der jetzt vor mir stand, war vermutlich in etwas so alt wie ich, also in den Vierzigern. Aber wie sah der denn aus?
Brauner Anzug, ein gelbes Hemd und dazu eine grüne Krawatte. Das Ganze gekrönt von einem Pullunder mit schrecklichem Karomuster. Und er Kopf erst. Die blonden, kurzen Haare exakt auf links gescheitelt, dazu eine Brille Marke Kassengestell Asbach Uralt. Ich schüttelte mich innerlich! Wie konnte man nur so rumlaufen!
Ich gab mir einen Ruck, setzte ein professionell freundliches Lächeln auf und streckte meine Hand aus. Als er sie ergriff meinte ich einen labberigen, toten Fisch in der Hand zu halten. Guten Tag! Seine Stimme passte. Klein, piepsig, unsicher. Was für ein (Alp-)Traum von einem Mann!
Nehmen Sie Platz, Änn, Ich schob mich möglichst weit von dem Typen weg auf den anderen Stuhl. Martin, dass ist also Änn, unsere Super-Controllerin (er deutete die Gänsefüßchen mit den Fingern an) und gleichzeitig sozusagen unsere gute Seele. Ich habe mir gedacht, dass sie sich etwas um Sie kümmern wird, damit sie möglichst schnell Anschluss finden bei uns. Und zu mir gewandt, Martin wird sich bei uns um den Aufbau einer Kostenstellenrechnung kümmern. Wir haben es weiß Gott nötig. Einen Moment hielt er inne und betrachtete seine Fingernägel. Martin ist MBA. Aber nicht irgendeiner, sondern ein echter St. Gallen Mann
Na und? Das ist auch nur eine Uni, wenn auch eine sehr Gute! Aber natürlich sagte ich das nicht. Sie können jetzt gehen, Änn. Ich führe Martin jetzt durch unseren Betrieb und bringe ihn dann zu Ihnen. Ich war also aus der Audienz entlassen. Doch schon an der Türe holte mich Rosers Stimme ein. Sie sorgen dafür, dass ein Schreibtisch und alles was er so braucht, zu Ihnen ins Zimmer kommt. Zumindest solange, bis er sein eigenes Büro hat. Darauf antwortete ich mal lieber nichts. Ich empfand es als Zumutung und als eine Frechheit. Roser wusste nicht erst seit heute, dass dieser Typ kam. Er hätte sich schon längst um alles kümmern können. Natürlich, antwortete ich, ohne mich umzudrehen und verschwand.
Die nächste Woche gestaltete sich als schwierig. Dieser Martin saß nun tatsächlich bei mir in diesem engen Büro und bekam immer mit, wenn Roser mich durch die Sprechanlage rief, oder mit irgendetwas, nach seiner Meinung Wichtiges, sagen musst. Als Martin, ich versuchte, ihn nicht mit Namen anzureden, mich zweimal Änn genannt hatte, sagte ich ihm höflich, aber bestimmt, dass ich Anne hieße und auch so genannt werden wollte. Er wurde tatsächlich rot, murmelte eine Entschuldigung und vermied in Zukunft ebenfalls eine namentliche Anrede.
Wir sprachen überhaupt nicht viel miteinander, oder besser gesagt, ich kümmerte mich nicht viel um ihn. Aber eines bemerkte ich doch. Fachlich gehörte er sicher zu den Besten seines Fachs und ich fragte mich, warum er ausgerechnet bei Hansen & Co. angeheuert hatte.
Eine Ahnung davon bekam ich, als ich bemerkte, dass er mehrmals täglich mit seiner Mutter telefoniert. Er schien mir ein Pedant zu sein, denn er rief sie immer zu den gleichen Zeiten an. Zu hören bekam ich nicht viel. Höchstens mal ein, ja Mama, oder ein vielleicht, Mama!
Nur einmal, als ich gerade ins Zimmer kam, hörte ich ein Gespräch das er mit jemand anderem führte. Ich entnahm daraus, dass er bei seiner Mutter wohnte. Vielleicht war das der Grund, warum er hier eine Stelle gesucht hatte. Aber was ging es mich an? Oder anders gefragt, interessierte es mich? Nein! Es interessierte mich keine Bohne. Dieser Langweiler war für mich kein Mann, sondern bestenfalls ein Abziehbild eines Mannes.
Mein Männerbild war überhaupt eher schwarz-weiß. Es gibt interessante Männer und Männer, die das nicht sind. Und bei den interessanten Männern gab es noch eine Unterteilung. Singles und Gebundene. Leider gab es mehr Gebundene, als Singles und für mich gab es überhaupt keine.
Na ja, so ganz stimmt das nicht. Ich hatte auch mal einen interessanten Mann geheiratet, doch der war auch für andere Frauen interessant gewesen. Ich hatte drei Jahre gebraucht um zu erkennen, dass er mehrere Nebenjobs hatte. Nebenjobs, bei anderen Frauen. Schließlich warf ich ihn raus, ließ mich scheiden und zog in eine andere Stadt. Seitdem war mir kein interessanter Mann mehr begegnet und wenn doch, dann einer aus der Kategorie gebunden!
Aber Frau kann auch alleine leben. Die Hauptlast der Hausarbeit liegt auch in einer Beziehung bei der Frau, in sofern keine Änderung. Das Einzige, was Frau wirklich vermissen kann, dass ist Sex. Und um dieses Vermissen zu kaschieren, gibt es ja genug Möglichkeiten. Die eigenen Hände, alles was lang und hart ist und das professionelle Spielzeug. All das hatte ich. Und ich hatte noch etwas. Ich hatte Frank!
Frank ist Unternehmensberater und wir hatten mit ihm zu tun, als wir unser Meldewesen reorganisierten. Natürlich haben wir viel telefoniert und wenn er bei uns war, auch so irgendwie Kontakt bekommen. Zuerst rein beruflich, dann etwas freundschaftlicher. Frank fiel nicht wirklich unter die Kategorie interessanter Mann, aber er war auch nicht uninteressant. Zufällig trafen wir uns bei einer Städtereise, die ich auch gebucht hatte und begannen noch am ersten Abend eine heiße Affäre.
Frank tat mir gut, aber mehr als Sex wollte ich nicht von ihm. Und er nicht von mir. Und so fuhr ich ein, oder zweimal im Monat über das Wochenende zu ihm. Oder er kam zu mir. Bei ihm hole ich mir, was mir meine Hände und Spielzeuge nicht geben konnten und genoss seine schier unerschöpfliche Ausdauer und seinen Einfallsreichtum. Es gab so manches Wochenende, an dem wir nur äußerst selten das Bett verließen und auch dann konnte es passieren, dass er seinen steifen Schwanz an mich drückte und mich in der Küche nahm. Oder im Keller, oder im Fahrstuhl. Klar, dass mir das gefiel.
Am Wochenende war es wieder soweit. Kaum hatte ich am Freitagnachmittag das Büro verlassen, war ich auch schon auf dem Weg zu Frank. Eine Stunde Fahrt, die mir nicht schnell genug verging und schon, noch in der Diele, begann das Wochenende. Wie meist, mit lustvollem ausziehen und anschließend mit einer gemeinsamen Dusche. Frank hatte eine Eigenart, einen Fetisch, der mich verrückt machte. Im positiven Sinn, versteht sich. Drauf gekommen, waren wir per Zufall und als er mir seine Vorliebe gestand, erfüllte ich ihm seinen Wunsch mit Freuden.