- I -
Wir hatten uns vor ein paar Tagen auf der Party eines gemeinsamen Studienkollegen wiedergetroffen. Nach Jahren, in denen ich nichts von Eva gehört hatte, obwohl wir uns ein paar Jahre zuvor während Studiums dauernd gesehen hatten. Eva wohnte damals mit einer Freundin von mir zusammen. Die WG von Anja und Eva war quasi das Hauptquartier unserer Clique gewesen damals.
Nach dem Studium zerlief sich das dann und Eva war seit einigen Jahren aus der Stadt verschwunden. Das letzte, was ich von ihr gehört hatte, war, dass sie angeblich irgendeinen Typen in Frankfurt heiraten wollte, vom dem wir alle noch nie etwas gehört hatten.
Vor ein paar Tagen dann stand sie in der Küche von Ulf, einem Freund aus Studientagen. Der soundsovielste Geburtstag. Ich war gerade damit beschäftigt, eine Prosecco-Flasche zu öffen, von der der Korken abgerissen war, und das erste, was ich von Eva mitbekam, war nicht ihr Gesicht, sondern dieses langgestrecktes „Naaaaaaaa, kennst Du mich noch“, direkt neben meinem Ohr.
Ich muss zugeben, dass ich ein wenig Gänsehaut bekam und eine zehntel Sekunde brauchte, bis ich dieses samtige und zugleich kehlige „Naaaaaaa“ zuordnen konnte.
Ich stellte die Proseccoflasche weg und nahm Eva in den Arm.
„Mmmmmh“, schnurrte Eva. „das ist gut. Drück mich mal fest, das kann ich gerade gebrauchen.“
Fand ich auch, dass sich das gut anfühlte Eva zu drücken. Ich presste sie noch ein wenig fester an mich, dann schlang ich die Arme um ihre Taille, lehnte mich leicht zurück und blickte ihr in die Augen. „Was machst Du denn hier. Ich dachte, Du wärst irgendwo in Frankfurt oder so und hättest da geheiratet.“
Eva kräuselte die Stirn: „Hätt’ ich auch fast. War aber leider alles nicht so geil. Was mir am Anfang nicht klar gewesen ist.“
„Oh, das tut mir leid. Bist Du denn wieder in Berlin, oder irgendwie nur zu Besuch.“
„Gerade bin ich für ein paar Tage bei Anja. Meine Sachen habe ich erstmal in Frankfurt bei meinen Eltern abgestellt. Die ganze Garage ist voll. Aber eigentlich war mein Plan, wieder her zu kommen und mir ein Zimmer oder eine kleine Wohnung zu suchen. Da unten halt ich’s nämlich nimmer mehr aus.“
„Oha! Und was ist mit der Heirat? Ich war ja ehrlich gesagt fast etwas eingeschnappt, als ich plötzlich von Anja hörte, dass du dich verehelichen willst. Irgendwie hätte ich mich da schon über eine Einladung gefreut.“
Anja lehnte sich in meine Arme, die noch immer um ihre Taille lagen und legte ihre Arme auf meine Schultern.
„Ach Max, es gab doch gar keine Hochzeit. Natürlich wärst Du sonst eingeladen worden. Aber was ich erlebt habe, das waren einfach nur zwei Jahre Psychokrieg.“
„Shit. Ehrlich? Wieso das denn“ Ich blickte Eva ungläubig an. Sie war mit ihren 1.65, ihrer weiblichen Figur, der brünetten Hochsteckfrisur und ihren braunen warmen Augen schon rein optisch die Verkörperung einer Frau, die man sofort ins Herz schoss. Jemand, der schnell mal als Kuschelmaus bezeichnet wurde, auch wenn das immer auch ein wenig einfältiger klang als Eva in Wirklichkeit war.
Wer Eva sah und sich nur ein paar Minuten mit ihr unterhielt, der schloss sie normalerweise gleich ins Herz. Sie war eine Frau, die bei Männern eigentlich sofort Beschützer-Instinkte weckte. Und Männer, die ihr gefielen, waren zumindest früher fast immer solche Beschützter-Typen gewesen. Männer, an deren Schulter man sich auch mal anlehnen konnte. Und ehrlich gesagt hatte ich mir nie viel Hoffnungen gemacht, ihr über das Freundschaftliche hinaus näher zu kommen. Beziehungsweise hatte ich auch niemals großartig darüber nachgedacht.
„Das war wirklich die Hölle, was ich da erlebt habe. Ich weiss schon, warum ich damals im Studium immer hübsch in der Frauen-WG mit Anja geblieben bin und nicht mit irgend so einem Arsch zusammengezogen bin.“
„Ähh, ich weiss nicht, ob Du drüber sprechen magst, was Dir da Frankfurt passiert ist in den letzten Jahren. Aber Du weisst, dass Du immer einen Freund in mir hast.“
Mir kam dieser letzte Satz fast etwas zu schmalzig vor. Fast ein bisschen peinlich, hier so auf Frauenversteher zu machen. Ich fand, dass das eigentlich nicht so richtig zu mir passte. Um so erstaunter war ich, als ich sah, dass Eva plötzlich richtige Tränen in den Augen hatte.
„Mann, Max, das ist alles total peinlich. Mir ist da so eine riesige Scheisse passiert mit dem Typen, das kann ich gar nicht alles erzählen.“
Plötzlich liefen ihr die Tränen wie dicke Kullern über die Wangen. Ich zog Eva an meine Brust und nahm sie schützend in den Arm.
„Hey, Schnucki, Du musst gar nichts erzählen, wenn Dir irgendwas peinlich ist. Ich will nur, dass, Du weisst, dass hier einer ist, der absolut auf Deiner Seite ist. Nur für den Fall, dass das nicht sowieso absolut klar ist.“ Ich streichelte ihr beruhigend über die Schultern.
„Ich hab sowieso nicht verstanden, warum Du auf einmal aus der Stadt abgehauen bist und man dann hörte, dass da plötzlich dieser Typ in Frankfurt war, und dass da gleich vom Heiraten die Rede war.“
„Ach, Max, wenn Du wüsstest.“
Eva hatte ihr Gesicht in meine Schulter vergraben und ihre Arme um meinen Hals geschlungen. Irgendwie fand ich, dass wir uns mal aus der überfüllten Küche verziehen konnten. Dauernd drängelten sich Leute an uns vorbei, die an irgendeine Salatschüssel wollten oder nach Sekt und Bier-Flaschen auf der Küchenzeile angelten. Also schnappte ich mir die Proseccoflasche und schob Eva in richtig Veranda.
„Jetzt erstmal Prost. Ich freu mich total, dich wiedergetroffen zu haben. Und dass Du zurück nach Berlin kommst, das find’ ich wirklich super.“ Wir stießen an und nahmen einen langen Schluck aus den Sektgläsern und machten es uns auf der Treppe bequem, die von der Veranda runter in den Garten führte.
„Und warum meinst Du jetzt, Du kannst das nicht mal erzählen, was da passiert ist? War das denn so schlimm mit dem Typen?“
Eva hatte sich zwischen meine Beine gesetzt, hatte lehnte sich gehen meinen Körper, als säße sie in einem Sessel. Und sie fühlte sich sagenhaft gut an, wie sich sich förmlich in mich hinein kuschelte. So gut, dass ich leider fast einen Ständer bekam und schon etwas Angst hatte, sie könne das bemerken.
„Weisst Du, das hat eigentlich ganz normal angefangen. Den Olaf kannte ich noch flüchtig aus dem ersten Studienjahr damals in Frankfurt, bevor ich zu Euch nach Berlin gekommen bin. Der ist mir nur nie richtig aufgefallen. War einfach irgendso ein Typ, der irgendwas mir Wirtschaft studierte. Irgendwie hat der mir aber, als ich dann nach Berlin gezogen bin, immer mal wieder so ganz seltsame Postkarten geschiclt. So ohne Absender, auf denen stand ‚Wenn ich errate, von wem die Karte ist, dann lädt er mich auf einen Cocktail ein‘. Solche Karten eben.
„Was? Echt? So hat der Dich aufgerissen? Das ist ja allein schon total stalkermäßig.“
„Tja, das sehe ich heute auch so. Damals fand ich das einfach spannend. Leider.“
„Und gab es da noch mehr solche Karten?“
„Allerdings. Ich bekam dauernd so Briefe und Postkarten ohne Absender, gelegentlich mit einer Andeutung drin, die mich auf seine Spur schicken sollte. Mal war das ein Foto von einem Café in Frankfurt, in dem wir mal zusammen einen Cappuccino getrunken haben, woran ich ich aber gar nicht erinnern konnte. Im nächsten Brief stand dann wieder nur ein einziger Satz, so etwas wie ‚Denkst Du auch manchmal an das Rosenrot?’. Das ist so ein Laden in Frankfurt, wo wir angeblich mal zusammen waren. Ich glaube aber, dass das noch ganz viele andere dabei waren. Jedenfalls konnte ich mich an Olaf gar nicht erinnern. Jedenfalls nicht in diesem Zusammenhang.“
„Wow. Der wollte es aber wissen.“
„Allerdings. Und irgendwann hab ich sogar Mails bekommen von einer Adresse namens wer-schreibt-dir-hier@yahoo.de“
„Und Du hast angebissen?“
„Und ich hab angebissen.“ Eva seufzte, legte ihren Kopf gegen meine Brust und blickte in den Sternenhimmel hinauf. „Und das hätte ich mal besser gelassen, wie ich heute weiss.“
Ich legte meine Hände auf Evas Oberarme und streichelte sie. „Find ich zwar alles ein bisschen spooky, so als Anmache, aber ehrlich gesagt ist das allein ja nun noch nicht schlimm.“
„Das alleine wäre auch gar nicht schlimm, aber irgendwann war ich so neugierig darauf geworden, wer da mit mir Schnitzeljagd spielt, dass ich natürlich rausbekommen wollte, wer dahinter steckt. Du musst Dir vorstellen, dass ich dauernd Mails bekam, in denen stand, ich würde überrascht sein, wenn ich rausbekäme, wer er in Wirklichkeit sei. Und dass ich ihn sehr gut kennen würde. Und dass er schon immer fasziniert von mir war. Solches Zeug eben. Ich bin ja lange gar nicht darauf eingegangen, weil ich das am Anfang auch ein wenig zu blöd fand. Aber dann bin ich irgendwann eben wieder mal zu meinen Eltern nach Frankfurt gefahren, und da war ich eben doch neugierig und hab’ eben einfach mal gefragt, ob wir uns treffen wollen. Ich war halt einfach neugierig. Und ausserdem haben mir die ganzen Komplimente natürlich schon gefallen. Und irgendwie hat er sich ja auch ziemlich viel Mühe gegeben. Was ja irgendwie süß war. Fand ich damals jedenfalls.“
„Und dann habt ihr Euch getroffen und es hat real auch gefunkt?“
„Irgendwie erstmal gar nicht. Wir haben uns getroffen und sind Cocktails trinken gegangen und irgendwie merkte ich, dass er mich total gern küssen würde. Und ich dachte: Hey, jetzt bist du 500 Kilometer nach Frankfurt gefahren und hast diesen Typen getroffen, also kannst Du ihn auch einfach mal küssen. Morgen fährst Du ja wieder nach Berlin.“
„Wow!“ Ich staunte nicht schlecht. So also konnte man Frauen wie Eva aufreissen? „Und wieso bist Du dann nach Frankfurt zurück und wolltest ihn sogar heiraten? Wenn es zuerst gar nicht gefunkt hat?“
„Der hat einfach immer weiter Mails geschrieben und mich angerufen und mir immer wieder gesagt, wie toll ich sei, wie sehr er auf mich abfährt. Und sooo schlecht fand ich ihn ja auch wieder nicht. Es hat eben nur nicht gleich gefunkt zwischen uns. Irgendwie konnte ich auch ganz gut mit ihm reden am Telefon. Das war wie eine Rückversicherung. Wann immer irgendwas scheisse lief hier in Berlin, im Studium oder mit einem Typen oder so, immer war Olaf am Telefon und interessierte sich total für mich, machte Komplimente und sagte mir, dass er mich auf Händen tragen würde, wenn ich hier gerade mal wieder von einem Mann enttäuscht worden war. Und so weiter und so weiter.“
„Und dann bist Du nach Frankfurt und warst mit ihm zusammen?“
„Nee, erst war er ein paar Mal in Berlin.“
„Echt? Hatte ich nie mitbekommen.“
„Naja, da hab ich auch für gesorgt, dass das keiner mitbekommt. Olaf war damals schon in einem Job drin. Unternehmensberater. Hatte total Kohle. Wenn er in Berlin war, dann waren wir immer im Hotel. Und zwar immer in richtigen Luxus-Suiten im Steigenberger oder so. Einmal sogar im Adlon. Der hat’s richtig krachen lassen.“
„Autsch. Da hätte ich mit meinem Einzimmer-Wohnklo aus Studententagen auch nicht wirklich mithalten können.“
Eva drehte sich zu mir um und sah mich an. „Hättest Du das denn gewollt?“
„Ähhh, naja, ich fand schon, dass Du eine super Frau bist. Irgendwie…“ ich lachte verlegen, „irgendwie schon.“
Eva ließ ihren Kopf wieder gegen meine Brust sinken und blickte in den Nachthimmel. „Hättest Du mir vielleicht mal sagen sollen. Dann wär’ ja vielleicht alles anders gekommen, als es dann kam.“
Ich spürte, wie mein Herz ein kleines bisschen zu pochen anfing. Hieß das etwa, dass da etwas gegangen wäre, wenn ich’s versucht hätte? Ich schluckte die Frage, die mir auf den Lippen lag, erstmal runter.
„Wieso. Was kam denn dann eigentlich? Ich meine: Bisher ist das ja nun nicht soooo der Hammer.“
„Äh, nee, das war jetzt auch noch nicht die Stelle mit den Problemen. Die fingen an, als ich mich auf Doktoranden-Stellen bewarb und natürlich ausgerechnet in Frankfurt etwas bekam. Und Olaf darauf bestand, dass ich bei ihm einziehe und mir keine eigene Wohnung suche.“
„O-keeeee.“ Ich war wirklich gespannt, was jetzt kam.
„Dabei stellte sich dann heraus, dass er unfassbar eifersüchtig war. Und zwar absolut grundlos. Das war nämlich so, dass er tagelang auf Dienstreisen war bei irgendwelchen Unternehmen, wo er als Berater eben so arbeitete, und ich in Frankfurt in seiner Luxus-Wohnung saß und zur Uni ging. Und da fing das an, dass er dauernd Kontrollanrufe machte.“
„Autsch. Das ist natürlich hart.“
„Kann man wohl sagen. Und hart war sowieso sein Ding.“
Oha. Jetzt kam’s. Ich ahnte schon, was Eva mit „hart war sowieso sein Ding“ andeuten wollte und tätschelte ihr beruhigend die Schultern.
„Kann ich Dir echt vertrauen, Max? Du darfst das echt keinem erzählen. Und wenn ich nicht so fertig wäre, dann würde ich das auch wirklich für mich behalten. Aber irgendwie… ach Scheisse: Das kommt ja irgendwann sowieso alles raus.“
Ich sagte mal besser gar nichts ausser „Absolut. Von mir hört keiner was. Deshalb kommt da auch nichts raus. Völliger Quatsch. Egal was Du mir hier erzählst: Ich behalt’s definitiv für mich.“
„Ich weiss. Aber rauskommen wird’s sowieso.“
„Hä? Ich versteht nur Bahnhof.“
„OK.“ Eva atmete tief durch. „Also Olaf entpuppte sich bald als ziemlich pervers, was den Sex anging. Das war schon ziemlich… wie soll ich sagen… schmutzig.“
„Hey, Du weisst doch, was Woody Allen gesagt hat: Sex ist schmutzig, wenn man es richtig macht.“
„Ist lieb, dass Du mich aufheitern willst. Nur leider wars mit Olaf wirklich schmutzig. Und viel schlimmer war, dass er dauernd Filmchen von uns gedreht. Er stand total drauf, sich unseren Schweinkram auf dem Fernseher anzuschauen, während er mich fickt.“
„Und was ist da nun schlimmes dran? Macht doch eigentlich jeder.“
„Naja, das waren mehr so Unterwerfungs-Spiele. Das war schon ziemlich heftig alles. Und leider muss ich sagen, dass mich das Schmutzige am Anfang auch ganz schön angemacht hat. Olaf hat mich beim Vögeln immerzu mit Dirty Talk bombadiert. Dauernd gefragt ‚Bist Du meine kleine Sau‘? Und ich musste dann antworten: „Ich bin deine kleine Sau“. „Ja, ich lutsche gerne Schwänze“. „Ich bin Deine dreckige Arschvotze.“ Und immer so weiter. Und er hat das alles immer schön auf Video aufgenommen, wie er mich im Bett gefickt und fertig gemacht hat und ich dabei gewimmert habe und angefangen habe, nach seinem Schwanz zu betteln. Eben so richtiger Porno-Scheiss.“
Eva legte eine kurze Pause ein.
„Schockiert?“
„Nöö. eigentlich nicht. Also nicht, dass ich’s jetzt übertrieben Vanilla-Sex finde, aber so richtig dolle schlimm find ich’s auch nicht.“
„Was wär denn für Dich richtig schlimm?“
Achtung, Max, Fangfrage. Jetzt nichts Falsches sagen.
„Na weiss nicht. Andreaskreuze im Keller, Tagelang im Käfig eingesperrt sein. So die richtig harte SM Nummer oder sowas. Da würde ich eher nicht so drauf stehen.“
„Aha. Und sonst?“
Mist, jetzt löcherte sie mich aber. Was wäre denn noch richtig schlimm.
„Weiss nicht. Tiere? Kram, der in die Toilette gehört vielleicht.“
„Tja. Und wie wäre es, wenn plötzlich Filme von Dir im Internet auf Amateur-Film-Portalen auftauchen, auf denen genau sowas zu sehen ist?“
„Ähhhh, nee, oder? Der hat jetzt keine Filme von Euch ins Netz gestellt?“ Ich verkniff mir mal, hier genauer nachzufragen, was da genau drauf zu sehen war.
„Leider ja.“ Eva seufzte.
„Ohne Deine Einwilligung?“
„Natürlich ohne meine Einwilligung. Oder würdest Du einwilligen, wenn man Filme ins Netz stellt, wo Du Dich vollpissen lässt oder Schwänze ablutschst, die eben noch in Deinem Popo gesteckt haben?“ Eva beugte sich vor, vergrub ihr Gesicht in die Hände und fing an zu schluchzen. „Ich bin soooo dermaßen bescheuert. So eine verdammte Scheisse.“
„Nee, so ein verdammter Arsch, dieser Typ. Ausserdem ist das ja wohl definitiv kriminell.“
„Natürlich ist das kriminell. Weiss ich selber.“ Eva schlug sich mit den Fäusten gegen ihre Stirn und jammerte. „Nur leider nutzt mir das nichts. Soll ich etwa zur Polizei rennen und Anzeige erstatten, weil dieses Schwein mich ins Netz gestellt hat?“
„Hmmm, weiss nicht. Geht man da zur Polizei? Oder nimmt man sich da einen Anwalt?“
„Scheissegal was man sich nimmt. Einen Strick nimmt man sich da am besten. Die Filme fliegen überall rum. Die werden sofort tausendfach kopiert, liegen auf irgendwelchen Festplatten von so Porno-Sammel-Wichsern herum und werden wieder irgendwo ins Netz gestellt. Und was hab ich dann davon, wenn ich den Arsch verklage? Dann sitze ich am Ende in einem Gerichtssaal und darf den ganzen Scheiss vor der Öffentlichkeit ausbreiten.“
„OK. Klar.“ Ich versuchte trotzdem, etwas Struktur reinzubringen. „Wie lange sind die denn schon im Netz?“
„Weiss nicht. Paar Wochen? Hab das jedenfalls erst vor ein paar Wochen gemerkt. Da bekam ich nämlich eine anonyme Mail von einem Kollegen von der Uni. Wahrscheinlich ein Student, der in einem Seminar bei mir sitzt. Jedenfalls ging das an meine Uni-Adresse.“
„Verflixte Scheisse. Ich denke trotzdem, dass man da ziemlich schnell handeln sollte und das einem Anwalt übergibt, der sich auf sowas spezialisiert hat. Ich meine: Gibt’s da nicht spezielle Dienstleister für sowas?“
„Ach Mensch, das hab ich doch trotzdem längst gemacht. Das war doch das erste, was mir eingefallen ist. Reputations-Management nennt sich das heutzutage. Aber allein schon da hinzuschreiben ist megapeinlich. UNd beim Anwalt war ich auch. Mann, war das peinlich. Dabei weiss ich noch nichtmal, was da alles im Netz rumgeistert. Weiss der Geier, wo dieser Porno-Wahnsinnige überall was hochgeladen hat.“
Ich fühlte mich offen gestanden etwas hilflos gerade. Eva schluchzte immer noch, was das Zeug hielt, und ich hatte absolut keine Idee, womit ich sie hätte trösten können. Dass man selber auch gerne so Schweinkram machte? Half jetzt ersten auch nicht weiter, konnte darüber hinaus auch nach hinten losgehen in dieser Situation. Das Problem war, dass ich dabei auch noch einen leichten Ständer in der Hose hatte, weil ich die Vorstellung, Eva bei solchen Spielchen zu erleben, nicht leicht aus dem Kopf bekam.
Also sagte ich einfach, wie ich es empfand: „Da ist Dir eine riesengroße Scheisse passiert. Was sagt denn der Anwalt dazu?“
Eva richtete sich auf und verschränkte ihre Arme vor der Brust und sagte mit Grabesstimme „Der Anwalt sagt, ich solle ihn verklagen. Nur leider ist mein toller Ex total krank im Kopf. Nachdem er die Post mit der Unterlassungsaufforderung vom Anwalt bei ihm ankam, hatte ich wüste Beschimpfungen per SMS bekommen. Ich Drecksvotze würde schon sehen, was ich davon habe, ihm Anwälte auf den Hals zu hetzen und so weiter.“
„Wahnsinn. So ein Arschloch.“
„Ja Mann, das ist total krank. Der versucht einfach, mich fertig zu machen. Dem ist alles egal dabei.“
„Aber sag mal, wie ist er denn überhaupt darauf gekommen, die Filme ins Netz zu stellen?“
„Eifersucht, glaube ich. Oder einfach totale Arschlochigkeit. Der hat eben dauernd den Wahn gehabt, ich würde mit anderen Typen rummachen.“
„Ähh, und? Ich meine: Hast Du?“ Ich versuchte, möglichst neutral und wenig neugierig zu klingen.
„Quatsch. ER war doch immer scharf drauf, dass ich es mit anderen mache.“
„Hä? Was soll das denn?“
„Ja, er hat dauernd im Internet nach ‚Mitspielern‘ gesucht. Ich war doch seine kleine *****. Da brauchte es natürlich auch Typen, die mich ficken.“
„Scheisse verdammt. Und das hat Du mitgemacht? Bist du wahnsinnig?“
„Mann, ja. Ein paar Mal. Leider.“
„Was heisst denn ‚ein paar Mal‘.“
„Achtmal. Um genau zu sein.“
„Entschuldigung, Eva. Das ist etwas peinlich gerade, aber wie hat man sich das vorzustellen? Und warum machst Du sowas denn mit?“
„Mann, Max. Weil der mich immer so bequasselt hat. Ich könne ihm vertrauen. Das sei das schönste Geschenk überhaupt für ihn. Und…“
Eva legte eine kleine Pause ein.
„…und weil es mich scharf gemacht hat, schmutzige Sachen zu machen. Verdammter Mist. Das ist eben schon geil, wenn man sich als Frau ein bisschen ausliefert. Das war eben alles so weit weg. Mein früheres Leben. Berlin. Die Freunde. Ich hab da einfach in Frankfurt in diesem Luxus-Appartement gesessen oder wir sind irgendwo hingeflogen, haben ein Hotelzimmer gemietet und da Sex-Spiele gemacht. Eben mit Männern. Ich weiss nicht. Ich kannte die ja gar nicht. Die waren dann einfach da. Das hat Olaf ja alles gemanagt.“
„Klar. Verstehe.“ Ich verstand natürlich gar nichts. Um ehrlich zu sein, fiel ich gerade aus allen Wolken.
„Sag mal, versprichst du mir, dass du dir die Filme niemals ansiehst?“
„Häh?“
„Ich will nicht, dass Du Dir die Filme siehst.“
Scheisse, dachte ich. Wie soll ich das denn anstellen? Ich versuchte, so seriös zu klingen wie möglich: „Klar. Natürlich.“ Dabei platzte ich vor Neugier, Eva auf diesen Filmen zu sehen...
- II -
Zwei Tage später. Das Telefon klingelte. Ich hatte es, auch wenn keine Sekunde vergangen war, in denen ich nicht an Eva gedacht hatte, nicht fertig gebracht, bei ihr anzurufen. Wirklich eine Million mal hatte ich den Hörer in der Hand und ihre Nummer gewählt (die ja eigentlich Anjas Nummer war, die ich auch schon seit Monaten nicht mehr gesehen hatte), aber jedes Mal aufgelegt, noch bevor eine Verbindung aufgebaut war.
Immerhin, und darauf war ich irgendwie ziemlich stolz, hatte ich tatsächlich keinen der Filme gesehen. OK, ich gebe zu, ein paar Mal habe ich danach im Netz gesucht, aber dann mangels Erfolg auch irgendwann aufgegeben. Ich war einfach nicht dran geblieben. Und das war ja fast genau dasselbe, als wenn ich sie gar nicht gesucht hätte. Jedenfalls hatte ich mir keinen der Filme angesehen!
„Ich bin’s, Eva.“
„Hallo Eva. Klasse, dass Du anrufst. Wollte auch schon ein paar Mal anrufen.“ Das klang nicht wirklich überzeugend. Sondern eher nach schlechtem Gewissen. Und das war schonmal schlecht jetzt.
„Aha?“ Eva klang seltsam.
„Wie? ‚Aha‘. Alles in Ordnung?“
„Naja, ich hatte gedacht, dass Du mich anrufst.“
Shit! Hätte ich mal wirklich machen sollen. Irgendwie war ich dann zu… schüchtern? Irgendwie jedenfalls. Nach dem Hammer, den sie mir auf der Party erzählt hatte.
„Naja, ich dachte, Du willst vielleicht deine Ruhe haben oder so.“
„Ruhe? Vor was?“
„Vor Männern? Von mir? Weiss nicht“, gab ich zurück. Auch wenn das blöd klang.
„Du hast die Filme gesehen!?!“
Das war weniger eine Frage als eine Feststellung.
Puh, dachte ich. Wirklich gut, jetzt ehrlich und im Brustton der Überzeugung verneinen zu können.
„Natürlich nicht.“ Meine Stimme klang vielleicht einen Tick zu theatralisch, fand ich.
„Lüg nicht.“
„Ungelogen. Ich habe sie nicht gesehen. Das hab ich Dir versprochen, und das halt ich auch.“
Vorsicht, hämmerte es in meinem Hirn. Nicht übertreiben mit der Moral. Erstens wird’s nicht glaubhafter dadurch, zweitens sollte man sich den Hochmoralischen vielleicht verkneifen. Immerhin hatte Eva nicht die Möglichkeit, sich als moralische Instanz aufzuspielen.
„Nicht mal einen?“
„Nicht einen.“
„Aber Du hast danach gesucht?!!“
Schlechte Frage! Wie sollte man da antworten??
„Hey, Eva. Jetzt mal nicht so paranoid. Ich meine: Sooooo abenteuerlich ist das nun auch wieder nicht. Sind ja nun nicht die einzigen Filmchen, die man sich im Netz ansehen kann.“
„Naja, ich an Deiner Stelle hätte sie mir angeschaut.“
„Mann, jetzt komm mal runter. Erst nimmst Du mir das Versprechen ab, dass ich sie nicht anschaue, und dann machst Du mir so die Hölle heiss hier. Wie kommst Du denn darauf?“
„Wie ich darauf komme? Bist du blöd? Du hast nicht angerufen. Ist doch völlig klar, wie ich darauf komme. Ich erzähl Dir den ganzen Scheiss und Du meldest Dich nicht mehr. Was soll ich denn da denken? Ist doch klar, dass ich mir vorstelle, wie Du Dir die Filme anschaust und dabei wichst.“
Autsch! Das war jetzt nachvollziehbar. So hatte ich die Sache gar nicht betrachtet. Jetzt hieß es schnell eine gute Antwort zu finden.
„OK, dann sag ich Dir mal, wie mir zu Mute ist. Natürlich bin ich total scharf drauf, die Filme zu sehen. Weil ich dich total scharf finde. Weil ich wie die meisten Menschen auch einfach total neugierig bin. Und weil ich das Gefühl habe, dass das irgendwie zwischen uns steht. Ich hab wirklich tausendmal versucht, anzurufen, hab immer wieder den Hörer in der Hand gehabt, aber hab’s einfach nicht geschafft, weil ich nicht wusste, was ich hätte sagen sollen. Weil es sich die ganze Zeit so angefühlt hat, als hätte ich dich schon live gesehen. Obwohl das ja gar nicht stimmt. Scheisse verdammt. Ich brauch im Zweifelsfall ja nicht mal einen Film schauen, ich hab die Bilder davon ja sowieso im Kopf….“
Stille am anderen Ende der Leitung.
Und ich dann: „Hallo?“
Immer noch rührte sich nichts. Hatte Eva aufgelegt?
„Hallo? War das jetzt falsch? Hab ich irgendwas gesagt, was Dich verletzt hat?“
Dann, aber nach gefühlten Ewigkeiten: „Nein, im Gegenteil. Alles ist gut. Du bist wenigstens ehrlich.“
„Eva, können wir uns treffen?“
„Weiss nicht.“
„Hey, komm. Alles easy. Ich meinte das nicht so, dass ich nur diese Bilder im Kopf habe.“
„Wieso ‚nur’? ‚Nur‘ hast Du nicht gesagt.
Grrrrmppffff. Erst denken, dann reden. „Hab ich ‚nur‘ gesagt. Sorry.“
„Max?“
„Eeeeva?“ Ich stand etwas auf der Leitung.
„Max, sag einfach, wie es ist.“
„Hä? Was soll ich?“
„Ich will einfach, dass Du ehrlich zu mir bist. Das wäre mir total wichtig.“
OK. Ich hatte zwar keine Ahnung, worauf das hinauslaufen sollte, aber bitteschön: „Eva, echt. Es tut mir total leid, dass ich mich nicht gemeldet habe. Das lag glaub ich daran, dass ich schon etwas angetörnt war von dem, was Du da erzählt hast. Also ich meine jetzt nicht davon, dass das gegen deinen Willen im Netz steht, sondern eben davon, mir vorzustellen, wie du…“ Verflucht, konnte man sich hier leicht verheddern… „Jedenfalls habe ich glaube ich deshalb nicht angerufen. Weil ich…“
Mir fiel nicht ein, wie ich’s sagen sollte.
„Max?“
Herrje. Ich fühlte mich wie ein Schmetterling, der auf eine Stecknadel gespießt war, bei diesem ‚Max‘…
„Max, ich weiss das doch. Meinst Du, ich hab das nicht gemerkt?“
„Was gemerkt?“ Ich hatte ehrlich gesagt etwas weiche Knie.
„Auch Süßer. Dass Du einen Ständer hattest. Ich meine, den hattest Du ja schon vorher in der Küche, als Du ich im Arm gehalten hast.“
„Das ist eine Lüge!“ ich lachte theatralisch.
„Das ist keine Lüge.“ Man konnte Evas mildes lächeln durch die Muschel hören.
„Dass ich schon in der Küche einen Ständer hatte, das stimmt nicht. Das ist eine Gemeinheit.“ Ich spielte das trotzige Kind.
„Max?“ Evas Stimme klang jetzt auch ganz schön belegt. Und bei meinem „Ja?“ musste man hören, wie es mir die Kehle zusammen schnürte. „Ich find’s schön, wenn Du einen Ständer hast. …Und ich find’s süß, wie Du das vor mir versucht hast zu verheimlichen.“ Evas Sätze hingen in der Telefonleitung wie weisse Vögel, die aus starren dunklen Augen auf mich herab starrten.
Eine lange Pause entstand. Ich merkte, dass ich wohl am Zug war:
„Ich hol Dich jetzt ab.“ Meine Stimme klang wirklich mehr als belegt.
„Bist du dir sicher?“ Und das klang deutlich nach ‚Du weisst, was das bedeutet. Worauf du dich da einlässt?‘
„Ich bin in 15 Minuten da. Bist Du bei Anja?“
„Ja, ist aber nicht da.“
„M-hmmm“ zu mehr als einem wissenden Brummen war meine Kehle im Moment nicht mehr in der Lage. Gut zu wissen….