Stell dir vor, du hast am Abend so eine einsame Witwe in der Bar aufgerissen und sie in der Nacht so richtig durchgefickt. Wenn du Glück hast, ist sie am Morgen noch da und du kannst sie aus dem Schlaf ficken! Es gibt doch nichts Besseres! Genau diese Worte Helmers, etwa vor einem Jahr bei einer Tagung in die Raucherrunde geworfen, kamen mir am nächsten Morgen als erstes in den Sinn. Und warum war das so? Klar, das Klong... Klong... Klong aus dem Nachbarzimmer hatte mich geweckt. Hörte der Kerl denn nie auf? Dieser Mensch war unmöglich. Nein, nicht weil er schon wieder mit dieser Kathinka Sex hatte, sondern weil er so primitiv war.
Auch Petra und ich hatte in der Nacht Sex gehabt, aber es war doch etwas völlig anderes gewesen. Nicht dass wir nicht auch unserer Lust gefrönt hätten, aber wir hatten unsere Bedürfnisse nicht auf diese animalische Art befriedigt, sondern im Verständnis für den anderen gestillt. Genau, das war das richtige Wort. Wir hatten unsere Bedürfnisse gestillt, er seine Geilheit befriedigt. Allerdings muss man auch zugeben, dass Petra und Kathinka sich grundlegend von einander unterschieden.
Petra war auch im Moment der Raserei, der Ekstase, der ultimativen Lust und Begierde eine Lady im wahrsten Sinne des Wortes, während diese Kathinka auch im wahren, im normalen Leben ein billiges Flittchen war, sich zumindest so gab. Gegen zehn Kathinkas hätte ich nicht eine Petra eingetauscht.
Petra! Ich lag auf dem Rücken und starrte in die Dunkelheit. Was für eine Frau! Jeder Moment an dem ich mit klarem Kopf an sie dachte, führte mir vor Augen, dass sie ein Geschenk war. Ein Geschenk, das man bekam, nicht etwas, das man sich einfach nehmen konnte, wenn einem der Sinn danach stand.
Petra! Die Blaupause dessen, was ich mir als Frau vorstellte. Eloquent, selbstbewusst, voller Schönheit an Geist und Körper und dabei anschmiegsam, zärtlich-wild und doch keine Sekunde anders als ladylike.
Petra! Ich spürte sie nicht mehr im Arm. Ich strengte meine Augen an. Nein, sie lag nicht mehr neben mir, nur ihr Duft und ihre Aura befanden sich noch im Zimmer und ließen es zu etwas Besonderem werden. Für einen Moment gab ich mich der Hoffnung hin, dass sie unhörbar leise ins Bad gegangen war. Doch tief in meinem Inneren wusste ich bereits, dass sie schon nicht mehr bei mir war. Petra war bereit, einem Mann alles zu geben und von ihm alles zu nehmen, aber sie hatte ihren eigenen Kopf, ihren eigenen Willen und ging ihre eigenen Wege.
Dazu gehörte wohl auch, dass sie eine strenge Trennung zwischen Annäherung, Zuneigung und Abhängigkeit vornahm. Einen Abend, eine Nacht mit mir zu verbringen, war für sie OK, diese Nacht in den Morgen hinein zu verlängern, ihr das Außergewöhnlich zu nehmen, das war nichts für sie. Petra kam und ging, wie sie es für richtig hielt. Nein, ich war nicht überrascht, dass sich Petra nicht mehr bei mir befand.
Um dem Klong... Klong... Klong zu entgehen, stand ich auf und ging ins Bad. Mit dem aufleuchten des Lichtes musste ich sofort grinsen. Auch diesmal hatte Petra eine Nachricht hinterlassen, war nicht grußlos gegangen. Nur konnte ich diese Nachricht beim besten Willen nicht mitnehmen.
Mit Lippenstift stand auf den großen Spiegel geschrieben: Das Glück liegt im Einzelnen, das große Glück in vielen Wiederholungen, ohne sich zu wiederholen. Es führt ins Unendliche. 1x, 2x viele Male! Sehen wir uns heute abend für...? Und hinter diesem Fragezeichen war eine liegende Acht platziert, das mathematische Zeichen für Unendlichkeit! Und darunter? Klar doch eine Lilie! Pfeifend stellte ich mich unter die Dusche.
Doch dann erstarb das Pfeifen plötzlich. Ein Gedanke, der mir kurz vor dem einschlafen in den Sinn gekommen war, war jetzt wieder präsent. Heute war der letzte Tag der Veranstaltung Am Vormittag würden wir uns noch einmal zu einem Vortrag mit Diskussion treffen und dann hieß es sich auf den Heimweg machen. So sehr ich mich freute, dass diese öde Tagung zu Ende war, so wenig Lust hatte ich, mich von Petra zu trennen. Aufgeschreckt durch diesen Gedanken, war ich wieder wach geworden und in meinem Kopf wurde eine Idee geboren.
Hatte ich nicht auch ein paar Tage Urlaub verdient? Hochmuth kam auch mal eine zeitlang ohne mich aus. Was wäre wenn? Also, wenn ich meine Abwesenheit von zu Hause, von der Firma, noch um ein paar Tage verlängern würde? Allerdings würde das nur Sinn machen, wenn Petra auch Zeit haben würde. Zeit und vor allen Dingen Lust. Ich hatte mir vorgenommen, heute Morgen mit ihr darüber zu reden. Doch das ging nun mal nicht ohne sie.
Allerdings, diese Nachricht am Spiegel zeigte mir, dass sie durchaus bereit war unsere Gemeinsamkeit fortzusetzen. Ich kam unter der Dusche hervor und trocknete mich langsam ab. Vor ein paar Stunden waren wir beide zusammen hier gewesen und hatten uns gegenseitig diesen Dienst erwiesen. Im Moment hatte ich nur ihre Nachricht und leider nicht sie persönlich bei mir. Ihre Nachricht! Die konnte natürlich nicht da stehen bleiben. Das Zimmermädchen, oder wer sonst auch immer für die Sauberkeit verantwortlich war, musste nicht unbedingt erfahren, was hier in diesen Nächten passiert war. Bevor ich die Nachricht mit viel Seife und noch mehr Wasser eliminierte, hatte ich sie abfotografiert. Diese Erinnerung wollte ich aufbewahren.
Einen Augenblick lang überlegte ich. Dann eilte ich aus der Tür, ohne darauf zu achten, was und ob überhaupt, noch etwas im Nebenzimmer passierte. Ich rannte die Treppe hinunter und hatte Glück. Zu dieser frühen Stunde war an der Rezeption noch nichts los. Freundlich begrüßte mich eine junge Frau. Sofort kam ich zum Kern meines Anliegens.
Kann ich meinen Aufenthalt verlängern? Ohne mit der Wimper zu zucken, bat sie mich, einen Moment zu warten, während sie ihren Rechner bemühte. Selbstverständlich, Herr Esser. Wie lange möchten Sie gerne noch bei uns bleiben? Ja, wie lange? Ich wusste es nicht.
Vorerst mal bis einschließlich Donnerstag. Allerdings mit der Option auf eine weiter Verlängerung, wenn das möglich ist! Wieder sah sie in ihren Rechner. Selbstverständlich, Herr Esser. Darf ich die Buchung für Sie vornehmen? Ich nickte und hatte gute Laune! Das ging einfacher und schneller, als ich erhofft hatte.
Im Frühstückssaal war ich ziemlich alleine, was mich allerdings nicht störte. Während ich meinen Kaffee trank, feilte ich an einer Nachricht für Petra. Immer wieder begann ich aufs neue, bis ich die passenden Worte gefunden hatte.
Spieglein, Spieglein an der Wand. Was fragt mich die Schönste im ganzen Land? Aber sicher Prinzessin, lasst uns reisen, die Unendlichkeit des Glücks uns gegenseitig beweisen.
Seid ihr, Hoheit, bereit Euch mit mir heute abend zu treffen, werden wir diesen Tag wohl kaum mehr vergessen. Wenn ja, schickt Nachricht über Ort und Zeit und ihr findet mich für alles bereit!
Schon als ich die Nachricht abschickte, freute ich mich auf die Antwort, auch wenn ich wohl eine Weile darauf warten musste.
Ihre Antwort kam kurz vor der ersten Pause.
Nicht eine Prinzessin, sondern das Rotkäppchen ich bin. Und dem steht nach einem Treffen mit dem Wolf der Sinn. Darum komme ich Punkt acht Uhr genau, ich bin sicher, er wartet vor seinem Bau. Was dann passiert? Da bin ich offen, doch will ich mir eine schöne Nacht mit ihm erhoffen!
Ich musste mich schon sehr anstrengen, mir meine Freude nicht zu sehr anmerken zu lassen.
Schnell tippte ich die Antwort.
Der Wolf freut sich, doch ist der Moment noch so weit. Hat Rotkäppchen vielleicht schon am Nachmittag Zeit?
Leider nein, kam die Antwort ernüchternd und in Prosa zurück. Aber ich freue mich auf heute abend. Nun gut, man kann nicht alles haben und ich erfreute mich an dem Gedanken, dass Petra zugesagt hatte.
Der Rest des Vormittags schlich dahin. Schon vom Grundsatz her nicht sonderlich interessant, schleppte sich der Vortrag des außerordentlich schlechten Redners wie ein alter Mann vorwärts. Und wieder einmal kam ich nicht umhin zu erkennen, dass ein brillanter Geist, und den hatte Dr. Schröter nun mal, noch lange nicht dazu befähigte, einen guten Vortrag zu halten. Folien in großer Zahl flackerten in schneller Folge über die Leinwand, prall gefüllt mit Informationen und daher wenig informativ. Verstohlen schaute ich auf die Uhr. Die Zeit zog sch wie Gummi. Meine Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit schaltete sich ab und machte Platz für ein neues Programm. Und dieses Programm hieß Petra!
Wie würde der Abend verlaufen? Schon wieder essen gehen? Sicher, eine Option, aber das wäre einfallslos gewesen. Sofort ins Bett? Vielleicht mit einem Umweg über die Bar? Etwas in mir sträubte sich dagegen. Petra war kein Betthäschen, mit dem man sich nur zum Sex treffen konnte und wollte. Petra war im wahrsten Sinne des Wortes eine Lady. Sie hatte ein Anrecht darauf, ernst genommen zu werden. Und es widerstrebte mir, sie auf das rein Körperliche zu reduzieren. Nichts, aber auch gar nichts hätte mich dann noch gegen Helmers abgegrenzt. Und, was wichtiger war, Petra war dafür einfach zu schade.
Kurz vor Ende der Tagung kam ich zu dem Entschluss, es aus dem Hut zu spielen. Nichts desto trotz würde ich den freien Nachmittag dazu verwenden, mich durch die Stadt inspirieren zu lassen. Vielleicht fiel mir ja noch etwas ein. Konzert, notfalls Kino, vielleicht tanzen gehen? Hm, tanzen! Dafür war ich nicht der Richtige. Mein Rhythmusgefühl tendiert gegen null und richtig tanzen habe ich nie gelernt. Aber eine Option blieb es allemal.
Irgendwie war es komisch. Kaum war die Tagung vorbei, fühlte ich mich wie ein Schuljunge, der urplötzlich und völlig unerwartet Ferien bekommen hat. Obwohl sich das Hotel ja nicht verändert hatte, schien es mir plötzlich so, als gebe es mehr Raum, mehr Luft, war die Enge des Korsetts verschwunden. Ich ließ das Essen sausen und ging statt dessen in den Spa-Bereich. Vor mich hinträumend hing ich träge im Wasser und genoss die Momente der Ruhe.