Ein Raum, groß genug, um ein mittleres Flugzeug darin zu parken. Viel Kristall, edle Sitzmöbel, zu Gruppen zusammen gestellt, viel Grün. An der Stirnseite der Eingang, mit zwei sich gegenläufig drehenden Glastüren, ständig in Bewegung. Betritt man den Raum versinkt man fast in der Tiefe des Teppichs. Auf der rechten Seite eine Fensterfront, ewig lang, ewig hoch. Auf der rechten Seite, aus edlem Holz, eine ziemlich lange Theke. Dahinter junge, schlanke Damen in engen, dunklen Kostümen. Weiße Blusen, bunte Halstücher. Blond überwiegt. Stark geschminktes Lächeln und professionelle Höflichkeit. Gerade gegenüber dem Eingang, in unendlich scheinender Ferne, eine grüne Wand aus Blättern. Dicht genug, um zu verhindern, dass man Einzelheiten sieht, luftig genug um zu erkennen, dass dahinter Menschen sind. Und diese Menschen, das waren wir!
Wir, das waren etwa zwanzig Männer und vier Frauen, die der gemeinsame Beruf aus allen Teilen der Republik hier in diesem Hotel versammelt hatte, um eine Woche lang Neuheiten aus der Branche zu hören, zu tauschen, um neue Kontakte zu knüpfen. Networking eben.
Der Erste Tag lag nun fast hinter uns. Gestern im Laufe des Tage angekommen, als Tagungsteilnehmer geoutet und dann sofort mit einem Anstecker mit Namensschild nahezu stigmatisiert, hatte man sich erst einmal bei einem Stehempfang etwas beschnuppert.
Zum Teil kannte man sich ja von ähnlichen Veranstaltungen, zum Teil waren aber auch durchaus neue Gesichter zu sehen. Meiners zum Beispiel, der mit mir an einem dieser mit Hussen verkleideten Bistrotische stand und auch jetzt schon wieder ein Glas Cognac in der Hand hielt. Oder Gorrenfloh, der immer so scheinheilig tat, aber alles jagte was nur in etwa seinem Beuteschema entsprach. Und das war einfach genug: Weiblich.
Von den Frauen kannte ich keine. Und nach erster Inaugenscheinnahme, wollte ich auch keine kennen lernen. Sie waren die typischen Vertreter ihrer Art. Sie hatten sich in der männlichen Domäne nach oben geboxt und auf dem Weg dorthin jede Menge Wissen angesammelt, aber auch jede Menge, nämlich fast alles, ihrer Weiblichkeit verloren. Anatomisch immer noch Frau, auch wenn sie das so gut es irgend ging, in maskuliner Aufmachung verbargen, war ihre Frausein meist nur noch reduziert auf die anatomischen Attribute, die sich eben nun mal nicht wegleugnen lassen
Auch jetzt wieder lief so ein Exemplar von Stehtisch zu Stehtisch. Mir schauderte, wenn ich sie nur sah. Groß gewachsen war sie ja und der Hosenanzug in dem sie steckte, sah auch tausendmal besser aus, als die Blazeranzüge unserer Bundes-Angie. Auch über die Figur konnte man nicht meckern. Da steckte bestimmt ganz viel eisernes Training dahinter. Stunden, verbracht im Fitness Studio, mit Bauch-Beine-Po.
Die brünetten Haare waren zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden. Die Spange saß offensichtlich so fest, dass die Gesichtshaut extrem gestrafft wurde. Das Gesicht war auffällig geschminkt und dadurch nahezu ausdruckslos. Innerlich schüttelte ich mich, als sie sich zu mir und Baumann stellte. Das Eye-Catching hatte sie voll im Griff. Baumann schenkte ihr sofort seine volle Aufmerksamkeit.
Verstohlen sah ich auf meine Uhr. Abendessen sollte es um 19.00 Uhr geben und diesen Augenblick sehnte ich herbei. Nicht dass ich Hunger gehabt hätte. Zumindest war er nicht so groß. Aber nach dem Abendessen, das wusste ich, würde diese Zwangsgemeinschaft auseinanderfallen und sich in kleinen Interessensgemeinschaften zusammenfinden.
Gorrenfloh hatte schon zwei, drei Gleichgesinnte um sich geschart, die später noch einmal ein wenig um die Häuser ziehen wollten, was im Klartext bedeutete, dass sie sicher in einem Club und in teuerer Gesellschaft landen würden. Entsprechendes Ende in einem Bordell nicht ausgeschlossen. Gorrenfloh hatte mich trotz gestern abend auch gefragt, ob ich mit wollte, aber mir stand der Sinn nach anderem.
Auch Meiners Plan konnte mich nicht wirklich begeistern. Auch er wollte in die Altstadt, aber sein Ziel war einfach eine Kneipe in der er sich an einen Tisch hocken, ein Bier nach dem anderen trinken und jedem seine Geschichte erzählen würde, der nicht schnell genug das Weite suchte.
Nein, ich bin kein Säulenheiliger, ganz und gar nicht. Man hat selten von mir gehört, dass ich ein gutes Glas Alkohol ablehne und ein intensives Gespräch, egal zu welchem Thema, ist für mich ein Genuss. Und ganz gewiss bin ich den Frauen gegenüber nicht negativ eingestellt. Aber, und dieses Aber ist wichtig. Wenn ich mich auf etwas einlasse, dann muss es Niveau haben. Das Gespräch, das Trinken und auch die Frauen, Labern, dass irgendetwas gesagt ist, ist genau so wenig mein Stil, wie das Saufen, nur damit man die entsprechende Bettschwere bekommt.
Und die Frauen? Nun, Ich will kein Betthäschen, keine Frau, die einfach für ein Glas Wein die Beine breit macht! Ich suche den Reiz sozusagen im Kampf. Eine Frau, die leicht zu haben ist, ist eben auch eine leichte Beute, und das im doppelten Wortsinn. Eine Frau muss Mann erobern, nicht erlegen.
Und genau das war der Grund dafür, warum ich endlich das Abendessen hinter mir haben wollte.
Gestern abend war ich nach Stehempfang, Abendessen und Smalltalk, in den Spa-Bereich des Hotels gefahren, hatte mich in den Pool gelegt und den Ausblick über die Stadt genossen. Nach einer kleinen Sitzung im Dampfbad, war ich im Bademantel auf mein Zimmer gegangen, hatte mir schnell ein legeres Outfit verpasst und war nach unten in die Bar marschiert.
Die Bar lag den Aufzügen gegenüber. Wieder musste man einen grünen Dschungel durchschreiten, dann öffnete sich eine Glassschiebetür und man betrat den dunklen Raum, dessen Dimension man nicht auf einen Blick erkennen konnte.
Die nahezu quadratische Bar in der Mitte dominierte den Raum. Obwohl sie so groß und klobig war, wirkte sie auf den zweiten Blick doch transparent. Um die Bar herum, waren kleinere und größere Sitzgruppen gestellt. Überall standen Bambuswände, die ebenfalls mit Grünzeug bewachsen waren und so in gewisser Weise Diskretion für Gespräche und mehr boten. Eine Besonderheit stellte eine etwas erhöhte Bühne dar, auf der ein weißer Flügel stand und vor diesem weißen Flügel saß auf einer weißen Klavierbank ein Frau in langer, roter Robe und spielte selbstvergessen vor sich hin.
Ich bin kein Musikkenner und kann die einzelnen Musikrichtungen nur schwer auseinander halten. Klassik, kann ich von Pop und diesen von Hipp-Hopp unterscheiden. Aber dann hört es auch schon auf. Aber ich weiß, was mir gefällt, auch wenn ich es nicht mit Namen benennen kann. Und das, was ich da zu hören bekam, das gefiel mir.
Obwohl noch viele Plätze frei waren, setzte ich mich doch lieber an die Bar, bestellte einen Mojito und ließ mich vom Klavierspiel der Frau in Bann ziehen. Dieser unaufdringliche Geräuschteppich aus Tönen, aus Pfefferminzakkorden und dem leisen Murmeln der Gespräche um mich herum, ließen meine Gedanken auf Wanderschaft gehen.
Wie oft in meinem Leben hatte ich so in einer Bar gesessen, frei und ohne Zwang, meinen Beruf liebend, aber doch auch irgendwie hassend, weil er mich so sehr in Beschlag nahm, weil er mir die Freiheit nahm, mein Leben nach anderen Prinzipien zu gestalten.
Irgendwann machte die Pianisten eine Pause und ich öffnete die Augen wieder. Mein Blick suchte den Barkeeper um einen weiteren Mojito zu ordern. Statt ihm sah ich plötzlich schräg gegenüber eine Frau. Die Frau? Keine Ahnung, eine Frau eben. Aber sie unterschied sich irgendwie von den Barmiezen, die man so in diesen Hotels antraf.
Doch worin lag der Unterschied? Ich wusste es nicht, dachte aber darüber nach, während ich die Dame unauffällig musterte. Der Mojito war vorerst vergessen.
Da war zunächst das Gesicht. Trotz des nicht gerade hellen Lichtes sah ich doch, dass es angenehm geschnitten war. Ein schöner Mund, volle Lippen, wohl geschminkt, aber nicht zu sehr. Die Augenfarbe konnte ich auf die Entfernung natürlich nicht erkennen, aber wenn ich richtig sah, hatte diese Frau schöne, lange Wimpern. Als mein Blick das erste Mal auf sie fiel hatte sie den Kopf leicht zur Seite gedreht um die Pianistin zu sehen. Dabei war mir ihr klassisch, schönes Profil aufgefallen. Jetzt, da ich sie sozusagen en face sah, fand ich sie noch interessanter.
Obwohl ich vorerst nur ihren Oberkörper sah erkannte ich doch, dass sie, gleich mir, nicht aufgebrezelt war, sondern offensichtlich die legere Klamotte mit Stil vorzog. Nichts war Auffällig an ihrem Oberteil und gerade dadurch fiel es auf. Jetzt kamen ihre Hände in mein Blickfeld. Schöne Hände, elegante, feingliedrige Hände. Die Nägel waren blasrosa gefärbt und schienen nicht übermäßig lang zu sein. Alles in Allem eine Frau mit Stil, eine Frau mit Klasse und eine Frau mit Rasse.
Und offensichtlich war sie alleine hier, denn die Plätze links und rechts von ihr waren und blieben leer. Hatte die Musik sie hergeführt? Auszuschließen war es nicht, denn als die Pianisten wieder auf ihr Podium kletterte und anfing zu spielen, diesmal jazziger als vorher, drehte sich die schöne Unbekannte wieder auf die Seite. Nur wenn sie hin und wieder nach ihrem Glas Rotwein griff, bekam ich ihr Gesicht voll zu sehen.
Der Barkeeper grinste, als ich anstelle eines weiteren Mojito ein Wasser bestellte. Meine Blicke waren ihm nicht entgangen, doch als diskretem Angestellten des Hotels unterließ er jeglichen Kommentar. Und ich? Ich sah mir die schöne Fremde an und machte mir so meine Gedanken über ihr woher und wohin.
Was mochte sie von Beruf sein? Keine Ahnung! Hausfrau sicher nicht, nicht im üblichen Sinne. Aber sie sah mir auch ganz und gar nicht danach aus, als wäre sie eine der Bargängerinnen, die nach Abenteuern suchten. Ein oder zweimal war sie von einem der Unverbesserlichen angesprochen worden, doch sie hatte nur leise lächelnd den Kopf geschüttelt und weiter der Musik gelauscht. Wie alt mochte sie sein? Schwer zu sagen. Ende Dreißig, Anfang Vierzig? Möglich!