Das satte Brummen des Motors wurde von smoke on the water übertönt, die Serpentinen der Schwarzwaldstraße lagen hinter mir. Immer wieder fuhr ich durch Dörfer, die im hellen Sonnenschein lagen. Ich fuhr sozusagen der Sonne entgegen. Und ich hatte blendende Laune. Ein Blick auf die Uhr. Wie immer war ich viel zu früh dran. Kurz entschlossen, lenkte ich auf den Parkplatz vor einer Kirche und hielt an. Jetzt einen guten Kaffee in der Sonne trinken, das würde meine gute Laune ins unermessliche steigern.
Ein Straßencafe war schnell gefunden und eine nette Bedienung brachte mir den gewünschten Trank. Tief atmete ich die frische Luft ein und griff dann nach einer Zigarette. So ließ es sich aushalten. Meinen Kaffee in kleinen Schlucken trinkend, besah ich mir meine Umgebung. Kinder hasteten, unter schweren Schulranzen gebeugt, von der Schule nach Hause, die Älteren, meist mit einem Rucksack, oder einem Bodybag versehen, ließen es langsamer angehen. Hin und wieder sah ich eine junge Frau mit Kinderwagen, oder ein älteres Mütterchen mit Einkaufsnetz Idylle pur. Ich lehnte mich zurück, gönnte mir eine weitere Zigarette und ließ meinen Gedanken freien Lauf.
Vor drei Tagen war ich im Schwarzwald angekommen. Hundemüde und völlig ausgebrannt nach über neun Monaten angestrengter Arbeit, oft sieben Tage die Woche und noch öfter mehr als 16 Stunden am Stück. Aber dann war es geschafft. Das Projekt war abgeschlossen, ich brauchte dringend Ruhe. Und diese Ruhe, das wusste ich, würde ich nur im Schwarzwald, in diesem eigentlich bekannten Skiort bekommen. Im Sommer war da weniger los. So schnell, wie mir der Gedanke gekommen war, so schnell war der Entschluss gefasst, die Buchung erledigt. Die Ferienwohnung war frei. Schon am nächsten Tag war ich früh morgens auf der Autobahn Richtung Süden unterwegs.
Ankommen, auspacken, eine Runde im zum Haus gehörenden Hallenbad schwimmen, dann einkaufen. Und dann? Mit einem Glas Wein auf dem Balkon sitzen und ins Tal schauen. Dabei den würzigen Duft von Heu einatmen und runter kommen. Früh ging ich ins Bett und schlief die ganze Nacht durch. Auch die nächsten zwei Tage bewegte ich mich kaum aus der Wohnung. Nur das morgendliche Schwimmen, das musste einfach sein. Ich spürte, wie ich langsam wieder zu mir kam. Und mit diesem Erkennen, wuchs auch die Lust auf Unternehmungen. Vielleicht eine kleine Wanderung? Oder nach Freiburg? Ich liebe diese Stadt mit ihren verwinkelten Gässchen. Mal sehen, was der morgige Tag brachte.
Dann fiel mir ein, dass ein Freund Geburtstag hatte. Obwohl ich dem digitalen Zeitalter nicht ablehnend gegenüberstehe, bin ich in einigen Dingen durchaus konservativ, man kann auch sagen analog. Zum Beispiel mein Adressbuch. Alt, fast schon zerfleddert und oft liebevoll geklebt, begleitet es mich schon mein halbes Leben.
Ich suchte die Nummer und während ich auf die Verbindung wartete, fiel mein Blick auf einen Namen. Birgit Schramm, eine Freundin aus Jugendtagen, die es nach Abitur und Studium irgendwo hier in die Nähe verschlagen hatte.
Das Geburtstagskind meldete sich, wie wechselten ein paar Worte, dann war das Gespräch beendet. Und wieder fiel mein Blick auf das Adressbuch. Birgit! Ein Zeltlager fiel mir ein, irgendwo an einem See. Das musste kurz nach dem Abi gewesen sein. Dort hatten wir uns angefreundet, aber so richtig war nie etwas aus uns geworden. Nur einmal hatten wir, spät abends, einen Waldparkplatz aufgesucht und im Schutz der Dunkelheit ein wenig Petting gemacht. Ich musste in mich hinein grinsen, Damals war das das höchste der Gefühle. Wie anspruchslos man damals war. Ich hab meine Rostlaube tiefer gelegt von Reinhard Mey fiel mir ein. Genauso, war es damals gewesen. Wenn auch nur dieses einzige Mal.
Sollte ich, oder sollte ich nicht? Eine ganze Weile kaute ich an dem Gedanken herum. Doch dann hatte ich mich entschieden. Warum eigentlich nicht. Das Rufzeichen ertönte ein paar Mal. Ja, bitte? Ich meldete mich und fragte, ob Birgit zu sprechen sein. Sie war es selbst, die Stimme hätte ich nicht mehr erkannt. Birgit mich aber auch nicht. Sie brauchte eine ganze Weile, bis sie wusste, wer ich war. Dann aber war das Hallo groß. Wie geht es dir? Was machst du? Wo bist du? Lachend beantwortete ich die Fragen und war selbst neugierig.
Als ich nach einer halben Stunde auflegte, der Flatrate sei gedankt, war ich mit Birgit verabredet. Aber erst nach 14.00 Uhr. Bis 13.00 Uhr bin ich der Schule und dann muss ich ja auch erst nach Hause. Richtig, sie war ja Lehrerein. Birgit gab mir ihre genaue Adresse. Ich versprach, Kuchen mitzubringen.
Richtig, Kuchen. Ich winkte der Bedienung, orderte einen weiteren Kaffee und fragte, ob es ein Kuchenbuffett gäbe. Als die Bedienung nickte, bat ich sie, mir vier Stück Torte zu richten. Das sollte für zwei Personen eigentlich reichen. Die Bedienung brachte mir meinen Kaffee und teilte mir mit, dass mein Kuchenpaket in der Kühltheke auf mich warten würde. Ich bedankte mich und bezahlte die Rechnung.
Während ich meinen Kaffee trank und eine weitere Zigarette rauchte, wurde es lauter. Ein paar Jugendliche hatten sich zum Eis verabredet. Nicht, dass mich das Lachen und Tratschen gestört hätte, aber ich dachte nun doch an Aufbruch. Nach dem letzten Schluck, drückte ich die Zigarette aus, packte meine Siebensachen und verschwand. Noch einmal kam ich zurück, um den vergessenen Kuchen zu holen, dann war ich wieder on the road. Diesmal begleitete mich Hotel California. Voll guter Laune, sang ich mit und fuhr gemächlich meinem Ziel entgegen.
Keine Frage, Birgit war älter geworden, sah aber immer noch gut aus. Wir saßen auf ihrer Terrasse, tranken Kaffee und unterhielten uns. Birgit erzählte von ihrem Leben, ich von meinem. Birgit hatte geheiratet, einen Oberstudiendirektor und war glücklich mit ihm. Zur Zeit war er auf Klassenfahrt im Piemont. Kinder hatte sie keine. Ich hatte nie geheiratet, hatte meines Wissens auch keine Kinder, war aber mit dem Status Quo glücklich! Wir redeten über alte Bekannte, über unsere Berufe und der Tag verging.
Als es so gegen 19.00 Uhr war, fragte ich Birgit, ob ich sie zum Essen einladen dürfe. Gerne nahm sie an, bat aber um ein paar Minuten, um sich umziehen zu können. Ich blätterte derweil in einem alten Jahrbuch unserer Schule, dass sie vorhin herbei geholt hatte. Plötzlich klingelte es. Machst du mal auf? Kam es aus einem Raum in der oberen Etage. Klar machte ich das.
Vor mir stand eine Frau mittleren Alters, die mich völlig entgeistert ansah. Frau Schramm ist im Moment gerade beschäftigt, versuchte ich sie zu beruhigen. Frau wer? Entschuldigung, Frau Baldur. Ach so! Wollen Sie nicht herein kommen? Ich bin sicher, Frau Baldur ist gleich wieder da! Zögernd kam die Fremde herein. Wer war es denn? Kam Birgits Stimme von oben. Bevor ich antworten konnte, sagte die Frau, ich bins, Susanna!
Birgit beugte sich über das Geländer der Treppe. Du meine Güte, mit dir hätte ich zu letzt gerechnet. Bin gleich da! Setzt euch doch! Schweigend folgten wir der Aufforderung und schweigend verliefen die nächsten paar Minuten. Dann kam Birgit und entspannte die Situation. Wolf Reimers, ein Freund aus Jugendtagen, zur Zeit auf Urlaub in der Gegend. Susanna Klein, eine Studienkollegin. Und dann zu der Frau gewandt, Wo kommst du denn so plötzlich her? Die grinste verlegen. Ich wollte dich einfach mal überraschen. Das ist dir gelungen! Wieder entstand eine peinliche Pause, nachdem Birgit erwähnt hatte, das wir gerade auf dem Sprung waren. Was blieb mir anderes übrig, als diese Susanna ebenfalls zum Essen einzuladen.
Um es vorweg zu nehmen, der Abend wurde anders, als ich es mir gedacht hatte. Die beiden Frauen schienen sich viel zu erzählen zu haben, aber ich spürte gleich, dass ich dem Gedankeaustausch im Weg war. Birgit versuchte wohl, mich das nicht merken zu lassen, aber für so etwas habe ich feine Antennen. Das Gespräch beim Essen ging nicht über das Oberflächliche hinaus.
Nach dem Espresso meinte ich dann deshalb auch, dass es für mich Zeit sei, aufzubrechen. Ich fahre euch noch schnell nach Hause und dann mach ich mich auf den Weg. Ein Widerspruch kam nicht. Wieder einmal winkte ich einer Bedienung, bezahlte für uns drei und kutschierte die Damen zu Birgit. Du bleibt heute Nacht natürlich bei mir! Diese Aufforderung galt leider nicht mir, sondern dieser Susanna.
Nicht mehr ganz so gut gelaunt, wie am Morgen, machte ich mich nach ein paar Worten vor Birgits Haus wieder auf den Rückweg. Shine on you grazy diamond begleitete meinen Weg und meine Gedanken. Später saß ich auf dem Balkon bei einem Glas Wein und der unvermeidlichen Zigarette.
Was hatte ich eigentlich erwartet? Nichts Bestimmtes, nur einen angenehmen Abend und ein gutes Gespräch. Nun, es war anders gekommen. Egal, ich ließ mir die Laune nicht verderben und genoss den milden Abend. Und meine Flasche Wein. Ziemlich spät ging ich ins Bett und schlief traumlos.
Der nächste Tag sah mich auf einer kleinen Wanderung über die Schwarzwaldhöhen. Kaum dass mir jemand begegnete. Nur an den weltberühmten Wasserfällen im Nachbarort und in den Geschäften der Uhrenstraße, wimmelte es von Touristen. Ich suchte mir ein gemütliches Lokal, etwas abseits der Touristenpfade, ließ mir ein gutes Abendessen servieren und kam dann ziemlich spät nach Hause. Nach einer erfrischenden Dusche, zog ich mich auf meinen Balkon zurück. Diesmal genehmigte ich mir einen Cognac. Und dann war es wieder Zeit, ins Bett zu gehen.