Der Raum lag im Dunkeln. Ich wusste, dass es draußen sehr kalt war und ich wusste, dass das Geräusch der nahen Autobahn zu hören sein würde, wenn ich die Balkontüre öffnete. Komisch, im Sommer, wenn man mehr draußen war, vernahm man das leise, durch den Wald gedämmte Geräusch der auf der Autobahn fahrende Autos kaum. Im Winter aber, wenn die Blätter von den Bäumen gefallen waren, dann, ja dann, hörte man die Autobahn deutlich. Aber im Winter saß man ja auch nicht auf dem Balkon. Da ging man, also ich, höchstens zum rauchen raus.
Jetzt war Herbst. Es war Abend und dunkel. Dunkel draußen, dunkel drinnen und vor allen Dingen dunkel in meinem Herzen. Ich hatte kein Licht angemacht, als ich mich in mein Wohnzimmer gesetzt hatte. Auch der Fernseher blieb aus. Ich starrte gewohnheitsmäßig dahin, wo er stand, aber ein Interesse daran fernzusehen, hatte ich nicht. Mir war nicht danach, mir war nach gar nichts. Auch nicht nach essen. Also saß ich im Dunkeln, lauschte dem ticken der Uhr und wartete darauf, dass die Gedanken aus meinem Kopf verschwinden würden.
Das Telefon klingelt. Sollte es, ich hatte keine Lust dran zu gehen. Der Anrufbeantworter schaltete sich nach dem fünften Klingeln ein: Caroline, was soll das denn? Die Stimme meines Freundes Alex klang erbost, herrisch ungeduldig! Warum gehst du nicht ans Telefon, machst mir nicht die Türe auf? Warum läufst du vor mir davon? Wir können doch über alles reden! Jetzt hab dich nicht so wie ein eingeschnapptes Gör! Eine Pause trat ein. Jetzt geh schon ran! Ich weiß, dass du zu Hause bist! Wieder eine Pause. Du bist unmöglich! Dann war die Verbindung unterbrochen.
Sagte ich schon, dass Alex mein Exfreund ist? Nein, dann werde ich das wohl mal erklären müssen. Und auch das, warum ich nicht mit ihm reden will! Nie wieder!
Wenn man mein Leben von außen betrachtet, dann sieht es so aus, als wäre alles Sonnenschein. Und genau genommen war es das auch bis vor ein paar Tagen.
Ich heiße Caroline Bender, bin 38 Jahre alt und Assistentin der Geschäftsleitung bei einem Verlag, der wissenschaftliche Bücher verlegt. Assistentin heißt nun nicht, dass ich Sekretärin mit erweitertem Aufgabenfeld bin, es heißt viel mehr, dass ich im Auftrage unserer Chefs, Probleme löse, Pressetermine vereinbare, unsere Autoren zusammen halte und all die Dinge tue, die Chefs eigentlich tun sollten, dazu aber keine Zeit, vielleicht auch keine Lust haben.
Natürlich ist das kein Nine-to-Five-Job aber er macht mir Freude und entspricht ziemlich genau den Vorstellungen die ich hatte, als ich Journalismus und Germanistik studiert habe.
Auch sonst war alles gut in meinem Leben. Obwohl schon lange selbstständig habe ich ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern und vor allen Dingen zu meinem etwas jüngeren Bruder. Kaum eine Woche vergeht, in der ich meine Eltern nicht sehe und mindestens ein langes Telefongespräch mit meinem Bruder führe.
Natürlich gab es da zeitweise auch noch Männer in meinem Leben. Mal kürzer, mal länger, mal was fürs Herz, aber auch schon mal nur was fürs Bett. Nein, ich bin kein Flittchen, aber ich stehe auf dem Standpunkt, dass man Sex in gewisser Weise losgelöst von der Liebe sehen sollte. Klar, man kann nicht einfach so mit jedem in die Kiste steigen. Sympathie, vielleicht sogar etwas mehr, muss meiner Meinung nach schon dabei sein.
Aber manchmal passt es eben. Da trifft man jemanden in einer Bar, oder auch nur im Kino. Man nickt sich zu, man wechselt ein paar Worte. Man sieht sich wieder, man redet intensiver und dann plötzlich spürt man, also ich, dass ich mich in gewisser Weise von diesem Jemand angezogen fühle. Und wenn das auf Gegenseitigkeit beruht! Und wenn die Stimmung passt! Nun, dann kann es auch zu mehr kommen.
Aber Vorsicht! Ich bin nicht leicht zu haben. Nicht dass ich mich zieren würde, aber wenn ich mich nicht zu einem Mann hingezogen fühle, dann geht auch nichts. Egal, was er versucht.
Doch trotz dieser Vorsicht, kann Frau natürlich auch an den Falschen geraten. Es gibt sie eben doch, diese Männer, die nur darauf aus sind, ihr Würstchen in den Honigtopf zu versenken und dabei nur an sich zu denken. Frau lernt dabei, dass sie manchen Frosch küssen muss, bis sich einer davon als Prinz entpuppt!
Aber es gibt sie natürlich, diese Prinzen. Mancher machte kurz Rast bei mir, bevor er weiterzog, doch der eine oder andere blieb auch länger. Frank zum Beispiel. Frank war mir auf einer Party vorgestellt worden. Ein ruhiger, in sich gekehrter Typ, der sich den ganzen Abend an einem Glas Wein festhielt und fast panisch reagierte, wenn er angesprochen wurde.
Eigentlich war er unscheinbar und wenig aufregend. Irgendwie kam das Gespräch in einer Runde, an deren Rand er auch stand, auf den Urlaub. Einer der Gäste wollte nach Island fahren, wusste aber nicht, was ihn erwartete.
Schon als das Wort Island fiel, weiteten sich Franks Augen. Und dann fing er an. Es schien nichts zu geben, was er über Island nicht wusste. Dieses Land schien ihn zu faszinieren. Die Gruppe zerstreute sich nach einiger Zeit und Frank blieb alleine zurück. Jetzt sprach ich ihn an und fragte nach Island. Insgeheim war es schon immer mein Wunsch, diese bizarre Landschaft kennen zulernen. Frank erzählte und erzählte und erzählte.
Als er mich unvermittelt fragte, ob ich mir seine Islandfilme und Fotos ansehen wollte, war das nicht der Versuch, mich in seine Wohnung zu locken. Ihm ging es wohl wirklich nur um Island.
Wir saßen auf seinem Sofa und blätterten Bildbände durch. Zu jedem Bild wusste er etwas zu sagen. Dann kamen die Fotos dran. Noch richtig in Alben eingeklebt und mit Unterschriften versehen. Irgendwann war es drei Uhr geworden und ich war rechtschaffen müde. Auch Frank fing an zu gähnen. Wir beschlossen, die Filme ein anderes Mal anzusehen und verabredeten uns auf den kommenden Freitagabend.
Frank versprach ein isländisches Gericht zu kochen und ich besorgte den passenden Wein dazu. Er hatte Hangikjöt gekocht und ich hatte einen Pinot Grigio mitgebracht, der sehr gut dazu schmeckte. Den obligatorischen Kaffee danach, tranken wir bei den Filmen.
Mir fiel auf, dass auf den älteren Filmen eine junge, ziemlich hübsche Frau immer wieder zu sehen war. Auf meine Frage hin, antwortete mir Frank ziemlich einsilbig, dass es sich dabei um Brinja, seine Exfrau handelte. Ich merkte, dass es ihm unangenehm war und sagte nichts mehr dazu.
Später am Abend saßen wir dann auf der Couch tranken Wein und unterhielten uns. Worüber? Klar über Island. Frank wurde mitteilsamer. Schließlich erzählte er mir, dass er Brinja am Gullfoss kennen gelernt hatte. Sie kamen ins Gespräch und er verliebte sich in sie. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie seine Liebe erwiderte. Erst bei seinem übernächsten Besuch wurden sie ein Paar und heirateten ein Jahr später. Die Hälfte des Jahres lebten sie hier, die andere Hälfte auf Island. Doch nach drei Jahren kam die Ehe in die Krise. Was diese Krise auslöste, sagte er zunächst nicht, verwies nur darauf, dass sie unterschiedliche Vorstellungen hatten.
Erst viel später, als der Alkohol seine Zunge noch mehr gelöst hatte, deutete er an, dass Brinja Sex als Pflicht ansah. Ich machte große Augen, weil ich mir das einfach nicht vorstellen konnte. Doch Frank belehrte mich eines Besseren. Brinja war nicht direkt prüde, oder frigide, aber sie empfand Sex als Pflicht und nicht als Lust, wohingegen Frank das genau anders herum sah.
Ich weiß nicht mehr, was der Auslöser war, aber diese aseptische Diskussion über Sex, weckte meine Lust und Frank schien es genauso zu gehen. Schließlich fingen wir an, uns zu küssen und zu streicheln und wenig später verwöhnten wir uns gegenseiti8g mit den Fingern. Lange spielten wir dieses Spiel, das wir mit der Zeit auch auf andere Spielarten ausdehnten. Frank ließ mich mehr als einmal durch seine Finger und seine Zunge zum Orgasmus kommen und als er sich schließlich in mich versenkte, konnte ich allerdings keinen weiteren Orgasmus genießen.
Frank war einer von denen, die länger bei mir blieben. Oder ich bei ihm, wie man es nimmt. Wir fuhren zusammen nach Island, genossen wunderschöne Wochen in der Einsamkeit und hatten ganz viel, sehr zärtlichen und ausdauernden Sex. Doch dann spürte ich, dass ich ihn verlassen musste. Island und Sex als einziger Zusammenhalt für eine Beziehung, war mir zu wenig. Frank interessierte sich nicht für Theater, für Kino, für Musik. Wir trennten uns in Freundschaft.
Hin und wieder telefonieren wir miteinander und eine ziemliche lange Zeit haben wir uns unregelmäßig, wenn auch mit großen Abständen dazwischen, getroffen und einen schönen Tag und eine noch schönere Nacht verbracht.
Frank blieb nicht der Einzige. Immer mal wieder fand ich jemand, der mir meine Einsamkeit vertrieb. Und schließlich war es Alex.
Alex kam einmal im Monat mit seinem Equipment zu uns ins Büro und wer wollte, konnte sich nach vorheriger Anmeldung von ihm die Verspannungen aus dem Schulter- Nackenbereich massieren lassen. Auch ich nahm seine Dienste gerne in Anspruch und so lag es nahe, dass ich auch in seine Praxis ging, als mir mein Arzt Massagen verschrieb. Was soll ich sagen, irgendwann funkte es zwischen uns und ich hatte wieder einen Partner.
Wir gingen zusammen aus, besuchten das Theater und auch schon einmal ein Musical und vor allen Dingen hatten wir Sex. Alex war anders als Frank. Nicht weniger zärtlich aber experimentierfreudiger und oft auch wilder. Und vor allen Dingen verstand er es, mich an den unmöglichsten Orten zu verführen. Ich erinnere mich genau daran, wie er eines Abends im Kino plötzlich seine Hand auf meinen Oberschenkel legte, sich unter meinen Rock tastete, seine Finger auf die Wanderschaft schickte und meinen Slip beiseite schob. Ganz zärtlich streichelte er mich und brachte mich ganz langsam immer näher zu meinem Orgasmus. Keine Frage, dass ich von dem Film nichts mehr mitbekam. Ich war zu sehr damit beschäftigt, nicht aufzufallen.